Bregenz: „Der Freischütz“, Carl Maria von Weber (Wiederaufnahme 2025)

Überwältigend, unbedingt sehens- wie hörenswert ist neben der Neuproduktion von Œdipe auch die Reprise des Freischütz vom vergangenen Jahr. Wer diese Aufführung schon im letzten Jahr sah, wird sie in diesem Jahr vielleicht noch mehr zu schätzen wissen, auch wenn sie nicht unumstritten ist.

Zum Auftakt ihrer letzten Spielzeit hat Intendantin Elisabeth Sobotka das Stück 2024 auf den Spielplan gesetzt. Es war zuvor auf der Bregenzer Seebühne noch nie zu sehen. Webers Freischütz, der 1821 in Berlin mit sensationellem Erfolg uraufgeführte wurde, reüssierte bald schon als Inbegriff der „deutschen Oper“ und ist bis heute trotz einiger uneinsichtiger Szenen und trotz des naiven Librettos eine der populärsten Opern.

Philipp Stölzl (Regie, Bühnenbild und Licht) geht den Fallstricken des Librettos allerdings nicht auf den Leim. Sein Bregenzer Freischütz erweist sich auch in diesem Jahr trotz aller Einwände, die man durchaus geltend mache könnte (musikwissenschaftlich ist die Fassung angreifbar), als theatralisches Groß-Spektakel, das mit einem spektakulären Bühnenbild aufwartet, mit suggestiven Beleuchtungseffekten und souveräner Personenregie, und das ist entscheidend! Es geht schließlich nicht um Wissenschaft, sondern um Theater.

© Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann

Man sieht ein in geradezu filmischem Realismus gebautes, halb zerstörtes, im Wasser halb versunkenes Dorf in Deutschland (Samiel: „Dies Dorf ist ein verfluchter Ort! Wer gehen kann, ging längst schon fort. Und ich verrat euch auch, warum – nach dreißig langen Jahren Krieg strich Gott sich nachdenklich den Bart und strafte dieses Dreckskaff hart!“). Es ist kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg: windschiefe Hütten, eine alte Mühle, ein halb versunkener Kirchturm. Die stimmungsvolle Szenerie ist winterlich verschneit. Sie steht im Wasser, Baumruinen ragen gen Himmel, Knochen, Skelette und allerhand Unrat ragen aus dem Morast. Die schaurige Spielfläche einer poetisch-magischen Welt, auf der Stölzl das Drama als Mischung aus Musical und schaurigem Gruselfilm à la Sleepy Hollow von Tim Burton abschnurren lässt, untermalt von allerhand Toneffekten wie schreienden Vögeln, Wolfsgeheul, Windjammern, imposantem Donner und krachendem Eis. Der Freischütz als Hörspiel gewissermaßen mit ca. 40 Prozent gesprochenem Text, mit einer neuen Textversion, basierend auf dem Libretto von Friedrich Kind nach der gleichnamigen Erzählung von August Apel (Dialogfassung von Jan Dvořák nach einem Konzept von Philipp Stölzl). Die Dramaturgie des Stücks wurde stark verändert, zusammengerafft und konzentriert auf publikumsfreundliche zwei Stunden, die pausenlos gegeben werden.

Mir fiel in diesem Jahr die stark ironisch-komische Grundierung der Inszenierung auf. Max, der scheinbar Agathe erschossen hat, fragt sich: Hat denn der Himmel mich verlassen? Samiel antwortet „Der Himmel schon. Nur ich bin da…Ich tröste dich. Ich bin dir nah.“ Eine diskrete Anspielung auf das Thema homosexuellen Begehrens, das im Stück steckt. Max wird von Kaspar verführt (wie im Erlkönig bei Goethe) und lässt sich auf ein höllisches Rendezvous ein. Bei Stölzl ist es Samiel, der Max verführen will und ihm ungeniert körperliche Liebe anbietet.

Moritz von Treuenfels (Samiel) und Oliver Zwarg (Kaspar)
© Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann

Dass es in der Handlung neben der Konfrontation von Jägerleben und dem Walten dunkler Mächte auch um das Thema Erwachsenwerden sowie das Thema Sexualität in der Ehe und die Rolle von Geschlecht und Sexualität für die Identität, um Triebhaftigkeit während der Adoleszenz, Voraussetzungen der erwachsenen Sexualität in einer restriktiven Vätergesellschaft geht, um Versagensangst auf Seiten Maxens und Entjungferungsangst auf Seiten Agathens, wird zumindest angedeutet.
Es ist eine dunkle, grausame Faust-Geschichte, die Stölzl erzählt, mit Anspielungen auf das tragische Ende der Apel-Vorlage. Er versucht die Unglaubwürdigkeit des Kind‘schen Librettos glaubwürdiger zu machen, die Frauenfiguren aufzuwerten und das Stück für heutige Zuschauer unterhaltsamer zu gestalten. Der schwerwiegendste Eingriff des Regisseurs: Er lässt Samiel als zynische Mephistogestalt (Jäger in Rot) auftreten. Diese führt durch die Handlung, schlägt gotteslästerliche Kapriolen, klettert auf Bäume, taucht aus dem Wasser auf wie ein Fisch, kommentiert, korrigiert, ironisiert die Handlung, gibt einige Anspielungen auf den Bodensee zum Besten und sorgt schließlich für ein gutes Ende. Samiel richtet sich ans Publikum: „Mein hochverehrtes Publikum! Das war es! Unsre Zeit ist um. Agathe tot. Und Max verschieden. Das macht Sie … doch nicht … unzufrieden? Chères Mesdames, es war doch klar: Ihr Ticket ist nicht rückzahlbar. Wer sich am schlechten Ende stört, hat Pech. So ist die Kunst. Gehört Ihr Mann vielleicht zu den Banausen, die sich vor zu viel Drama grausen? Die stets nur Unterhaltung wollen, wenn sie mal ins Theater sollen? Sie hadern? – Gut. Ich gebe zu, es lässt mir selbst auch keine Ruh. Ich fühl mich plötzlich… sentimental… Das Ganze scheint mir zu brutal! Was wär‘s mit einem guten Ende? Wenn nötig mit absurder Wende? Mein Kaspar stirbt auf freiem Feld, Max kriegt Agathe, Job und Geld, Ihr Tod war… sagen wir: eine Ohnmacht. Vor Schreck. Und falls jetzt jemand hohnlacht, soll er in der Hölle schmoren!“

© Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann

Stölzl hat das Stück also radikal umgeschrieben, ja umgebaut, denn er misstraut der Deutschen Nationaloper, vor allem der Religiosität und der Gottgläubigkeit des Librettos. Er nimmt Samiel (Mephistopheles als Sprachrohr Stölzls) aufs Korn, und zeigt den Eremiten einmal nicht als frommem Mann in der Kutte, sondern als geradezu groteske Erscheinung, halb Turandot, halb Rauschgoldengel, halb Gottesmutter Maria, im exotischen Kostüm, das länger wird, als er auf der riesigen Wasserschlange, in der Samiel sitzt (sie speit auch schon Mal Feuer), gen Himmel fährt. Ein Extralob übrigens für die historisch fantasyhaften Kostüme von Gesine Völlm!

Stölzl macht sich über die romantische Oper ungeniert lustig, so scheint es, respektlos gewiss, aber intelligent, frech und auf hohem intellektuellen Niveau. Seine Blasphemie mit Herz Jesu, Taube und Gotteslamm im Strahlenkranz auf den Mond projiziert, ist starker Tobak

Ernstgenommen wird die Oper, wie sie musikalisch ist, vom energischen Dirigenten Patrik Ringborg (neu am Pult)wie den Sängern. Die Besetzung har sich gegenüber dem letzten Jahr verändert: Johannes Kammler singt einen regielich gewollt feminierten, gleichwohl kultivierten Ottokar. Franz Hawlata ist nach wie vor ein kraftstrotzender Kuno, Irina Simmes eine selbstbewusste, betörend schön singende, lupenreine Agathe, Katharina Ruckgaber ein eher rustikales, gewitztes Ännchen, Oliver Zwarg ein dämonisch virilen Kaspar und Attilio Glaser ein männlicher, kraftvoller Max, der Eremit von Frederic Jost ist eine singschauspielerische Autorität, auch der Kilian von Michael Borth lässt keinen Wunsch offen. Dem Schauspieler Moritz von Treuenfels gebührt Hochachtung für seine sportive Leistung als Mephisto-Conférencier und Samiel.

Katharina Ruckgaber (Ännchen), Eremit, Irina Simmes (Agathe) und Attillio Glaser (Max)
© Bregenzer Festspiele / Anja Koehler

Über die Notwendigkeit der neu komponierten Bühnenmusiken, lässt sich nach wie vor streiten. Immerhin ist Patrik Ringborg ein sorgfältiger, gewissenhafter und energischer Sachwalter Webers und seiner intensiven und so klangsinnlichen wie intelligenten Musik. Die Wiener Symphoniker spielen im Jahr ihres 125. Geburtstages (seit 1960 spielen sie alljährlich in Bregenz) ohne Fehl und Tadel, klangschön, mit flottem, dramatischem Tempo und kraftvollem Drive. Zuverlässig wie immer lässt sich der Prager Philharmonische Chor hören. Der einzigartige Bregenzer Sound – ein Wunder der Übertragungstechnik – ist wieder einmal fulminant.

Wie gesagt: Das ist kein originaler Weberscher Freischütz, eher ein kommentierter, erweiterter. Aber alles in allem eine suggestive, geradezu hollywoodreife Opernshow der Extraklasse, ein Mitt-Sommernachts-Alp-Traum am bzw. im Vorarlberger Bodensee. Eine Aufführung, die man – als Verehrer wie als Verächter des Stücks – nicht verpasst haben sollte. Noch hat man in diesem Jahr Gelegenheit, sie zu erleben. Im nächsten gibt es Giuseppe Verdis La Traviata in der Inszenierung von Damiano Michieletto auf dem Spielplan der Seebühne.

Dieter David Scholz, 19. Juli 2025


Der Freischütz
Carl Maria von Weber

Bregenzer Festspiele

Besuchte Aufführung: 17. Juli 2025

Inszenierung: Christoph Stölzl
Musikalische Leitung: Patrik Ringberg
Wiener Symphoniker

Weitere Aufführungen: 18., 19., 20., 22., 23. Juli 2025

Trailer