Berlin: „Francesca da Rimini“, Riccardo Zandonai

Dante Alighieri muss es gewusst haben, dass Francescas und Paolos Liebesbeziehung in der Realität gute zehn Jahre dauerte, ehe sie vom Gatten Giovanni „lo sciancato“ oder auch Gianciotto entdeckt und mit dem Tod beider bestraft wurde. Schließlich war er mit ihrem Neffen in Ravenna, woher die Sünderin stammte und wo der Dichter seine letzten Lebensjahre verbrachte, befreundet. Für die ewige Gerechtigkeit zählte wohl nicht die in la divina commedia vorgebrachte Entschuldigung mit der Verführungskraft der Geschichte von Lanzelot und Ginevra, die Francesca geltend machen wollte. Ein viel überzeugenderes Argument hatte da schon Boccaccio mit der Erfindung des Betrugs an Francesca, der vorgegaukelt wurde, der schöne Paolo sei nicht nur Brautwerber für seinen missgestalteten Bruder gewesen, sondern der künftige Gatte selbst. Der Dichter Gabriele D’Annunzio, der sein Schauspiel für seine zeitweilige Geliebte Eleonora Duse schrieb, nannte das Stück recht verächtlich „una poema di sangue e voluttà“ und überließ es dem Librettisten Tito Ricordi für die damalsungeheure Summe von 25.000 Goldmark zur Bearbeitung, der es um ein Viertel kürzte und von vielen im decadentismo üblichen Schwülstigkeiten befreite. D’Annunzio missfielen die Änderungen nicht, er war Ricordi sogar dabei behilflich, Schwierigkeiten zu überwinden, indem er unter anderem die schönen Zeilen „nemica ebbi la luce, amica ebbi la notte“ beisteuerte. Auf die Neuzeit ist auch die Einführung von Tristan und Isolde in den Text zurückzuführen, zwar nur als kurzes Zitat, aber doch viele Parallelen enthüllend, so die Brautwerbung durch den späteren Geliebten, der Liebestrank entspricht in etwa der Liebesgeschichte, die Rolle des Verräters Melot gleicht der Malatestinos. König Marke und Gianciotto allerdings haben kaum etwas gemeinsam, und Isoldes Liebestod hat nichts mit Francescas Klage zu tun.

© Monika Rittershaus (Premierenbesetzung)

Musikalisch findet man in der Männer- und Frauenwelt sehr unterschiedlich charakterisierenden Musik Riccardo Zandonais, der im Todesjahr Wagners geboren wurde, für den zweiten und vierten Akt, in denen Krieg und Tod die Hauptrolle spielen, Anklänge an den Verismo, die von Frauen dominierten Akte wie der erste und dritte scheinen eher vom französischen Impressionismus beeinflusst zu sein. Erinnerungsmotive durchziehen durchgehend die Partitur.

Regisseur Christof Loy hat an der Deutschen Oper Berlin bereits eine Reihe von selten gespielten Opern, in deren Mittelpunkt eine starke Frauengestalt steht, inszeniert. Korngolds Heliane vollbrachte ihr Wunder, Els liebte den Schatzgräber Schrekers, la Fiamma verzehrte sich, und gerade finden die Proben für Giordanos Fedora, ebenfalls eine schillernde Frauengestalt, statt. Alle diese Produktionen (und hoffentlich auch die erst noch zu erlebenden) waren glückerweise frei von ästhetischer Brutalisierung, Politisierung, Agit-Prop-Gehabe und sonstigen Unarten moderner Regie, aber so erotisch, glitzernd, schillernd sie auch von ihren Erzeugern einst geplant waren, so kühl, ja eiseskalt, so distanziert und die Figuren denunzierend konnten sie ausfallen, wenn zum Beispiel Francesca sich mit dem fiesen Malatestino balgt und an die Stelle von sangue e voluttà zumindest stellenweise nun Verwässertes und Banalisierendes zu erleben sind. Dazu trägt die wunderschöne, aber Eiseskälte ausstrahlende Bühne von Johannes Leiacker ebenso bei, wie es die zeitlos wirkenden Kostüme von Klaus Bruns tun. Nix Renaissance in all ihrer Farbenpracht, dafür viel Schwarz, und auf den bunten Blumen wird auch schnell nur noch herumgetrampelt. Man wird von der Optik nicht abgestoßen, aber sie trägt auch nicht dazu bei, dem Zuschauer das Geschehen und das Personal nahe zu bringen. Letzteres ist um viele schnieke Herren erweitert worden, die geradezu akrobatisch Krieg spielen und auch immer wieder da auftauchen, wo sie eigentlich nicht hingehören.

© Monika Rittershaus (Premierenbesetzung)

Die Wiederaufnahme hätte wahrscheinlich gar nicht stattfinden können, wenn nicht der geschäftsführende Intendant Seuferle als Ersatz für die erkrankte Sängerin der Titelpartie die Sopranistin Ekaterina Sannikova, gerade am Tag zuvor in Turin ihre letzte Francesca gesungen habend, aufgetrieben hätte, die zwei Stunden vor der Vorstellung in Berlin eingetroffen war und nun vom Bühnenrand her die anspruchsvolle Partie sang, während die Spielleiterin Eva-Maria Abelein, der Ursprungs-Francesca aus der Premiere zum Verwechseln ähnlich, die Rolle spielte. Die Einspringerin machte ihre Sache sehr gut, setzte einen lyrischen Sopran für die schwierige Partie ein und schwächelte nur, und das verständlicherweise, zum Schluss in den hochdramatischen Passagen. Der neue Paolo war der Mexikaner Rodrigo Garuli, genauso bello wie sein Vorgänger in der Partie, mit einem in der Tiefe wunderbar farbigen Tenor begabt, der auch keine Höhenprobleme kannte, nur im Passaggio fahl klang. Inzwischen doch auch für den ungeliebten Gianciotto recht reif, aber stimmlich präsent, war Ivan Inverardi erneut der betrügende und betrogene Gatte. Philipp Jekal sang einen sonoren Ostasio, Thomas Cilluffo war mit durchdringendem Charaktetenor der fiese Maletestino. Aus der Schar der Gefährtinnen Francescas ragten Maria Vasilevskaja als Samaritana mit so lieblichem wie präsentem Sopran, Meeschot Marrero als Biancofiore mit leuchtender Stimme und Lucy Baker als Smaragdi mit sattem Mezzosopran heraus. Bis zum letzten Akt durchhaltend und dann sogar ein tatsächlich zum Renaissancestück passendes Kostüm tragend, war Dean Murphy als Giulare eine Art Maskottchen der Aufführung.

© Monika Rittershaus (Premierenbesetzung)

Ein besonderes Lob gebührt dem Orchester der Deutschen Oper Berlin unter dem Dirigenten Iván López-Reynoso, der die Partitur ihre Farbenpracht entfalten ließ, die unterschiedlichen Stimmungen hörbar machte und einen wahren Klangrausch entfesselte. Ihm gelang es über weite Strecken hinweg, die Nüchternheit der Bühne vergessen und das Orchester zum Star der Aufführung zu machen.

Ingrid Wanja, 25. Oktober 2025


Francesca da Rimini
Riccardo Zandonai

Deutsche Oper Berlin

8. Vorstellung am 24. Oktober 2025
nach der Premiere am 14. März 2021

Regie: Christof Loy
Musikalische Leitung: Iván López-Reynoso
Orchester der Deutschen Oper Berlin