Der Sissi-Mythos ist bis heute ungebrochen, nicht zuletzt auch durch die Sissi-Filme mit Romy Schneider, die jedes Jahr um die Weihnachtszeit im Fernsehprogramm auftauchen. Dass es auch eine Operette „Sissy“ (mit y!) von Fritz Kreisler gibt, ist heute nicht mehr so bekannt. Dabei war sie nach ihrer Uraufführung 1932 im Theater an der Wien sehr erfolgreich und wurde 289mal en Suite gespielt. Eigentlich ist „Sissy“ nur ein Singspiel, bei dem Kreisler viele Melodien seiner Geigen-Solostücke verwendet hat. Nur wenige Stücke sind für die Operette neu komponiert worden, darunter „Ein stilles Glück“ und „Ich wär’ so gern einmal verliebt“. Einer der Hauptohrwürmer „So marschieren die bayerischen Soldaten“ (Kreislers „Wiener Marsch“) wird in der Bremer Inszenierung nur kurz angesungen. Insgesamt ist die musikalische Substanz des Werkes eher schmal. Vielleicht hat man deshalb in Bremen das Stück mit fünf Liedern von Georg Kreisler (der sogar über mehrere Ecken mit Fritz Kreisler verwandt ist) angereichert und so eine Prise schwarzen Humors beigemischt.
Regisseur Frank Hilbrich, dem das Bremer Theater viele hervorragende Inszenierungen zu verdanken hat, zeigt sich nun in seiner letzten Bremer Spielzeit von einer ganz anderen Seite: Er huldigt dem höheren Blödsinn und dem Klamauk. Sein Ziel ist es, die Sissi-Figur und ihre „heile Welt“ von klischeehafter Wahrnehmung zu befreien. Das geht mit einem Spiel der Geschlechter los. Sissi und ihre Mutter Ludovika werden von Männern gespielt und Sissis Vater Herzog Max sowie Kaiser Franz Joseph dafür von Frauen. Alle anderen Rollen sind „normal“ besetzt. Aber wie heißt es am Ende der Operette? „Es gibt keine Norm für das Menschsein.“ Gut, dass das Publikum diese Erkenntnis mit nach Hause nehmen kann.

Der Weg dahin ist allerdings steinig. Positiv ist die überbordende Spielfreude des gesamten Ensembles. Da wird jede noch so absurde Szene mit absoluter Professionalität (und offensichtlich viel Spaß an der Sache) umgesetzt. Die Sissi-Idylle wird dabei komplett demontiert, aber das war ja auch die Absicht. Erkauft wird das mit viel Klamauk und mancher Albernheit. Besonders die Szenen mit Oberst Von Kempen zeigen ein Humorverständnis, das eher Fans von Mario Barth ansprechen dürfte. Martin Baum macht seine Sache zwar großartig, selbst wenn er sich im Tutu unter das Ballett mischt, aber es bleibt sehr speziell. Eine nette Idee ist (zunächst) das Aufsagen tiefsinniger Zitate von Philosophen, Autoren, Politikern und anderen. Aber das trägt keine drei Stunden und ist dann doch schnell ausgereizt. Überflüssig ist auch die Szene, in der Von Kempen dem Publikum umständlich den Unterschied von Wiener und Frankfurter Würstchen erklären will.

Ulrike Mayer ist als Herzog Max ein burschikoser, fast anarchischer Sympathieträger und glänzt auch mit Georg Kreislers „Alpenglühn“. Die Schwestern Sophie und Ludovika, die die Verlobung ihrer Kinder Franz Joseph und Helene arrangieren wollen, werden von Susanne Schrader und Christoph Heinrich imponierend verkörpert. Und sie sind die zwei alten Tanten, die Tango tanzen. Schrader interpretiert auch das Lied „Wien ohne Wiener“ sehr pointiert. In der Titelpartie macht der Bariton Arvid Fagerfjäll durchaus eine gute Figur, ihr oder ihm zur Seite steht Lieke Hoppe als Franz Joseph in schmucker Uniform. Elisa Birkenheier und Fabian Düberg verleihen ihren Partien als Helene und Prinz von Thurn und Taxis viel stimmlichen Glanz.

Das Bühnenbild von Volker Thiele besteht aus einer gemalten Postkarten-Idylle und Seitenvorhängen, die am Ende aber zusammenfallen. Die Kostüme von Gabriele Rupprecht sind durchweg gelungen. Reizvoll ist die Einlage der Ballettelevinnen der Ballettschule Davenport. Stefan Klingele, der auch die Lieder von Georg Kreisler am Klavier begleitet, dirigiert die in kleiner Besetzung auf der Hinterbühne postierten Bremer Philharmoniker mit gewohnter Zuverlässigkeit.
Wolfgang Denker, 3. Dezember 2025
Sissy
Fritz Kreisler
Theater Bremen
Premiere am 30. November 2025
Inszenierung: Frank Hilbrich
Musikalische Leitung: Stefan Klingele
Bremer Philharmoniker
Weitere Vorstellungen: 6., 9., 21., 23., 25. Dezember 2025, 9., 29. Januar 2026