Berlin: „Fedora“, Umberto Giordano (zweite Besprechung)

Magda Olivera als Vorbild für Vida Miknevičiūtė.
Umberto Giordanos vergessenes Meisterwerk Fedora meisterhaft reanimiert – jetzt auch in Berlin

Was für eine Opern-Orchidee! Nur selten sieht man sie auf den immer eintönigeren Wiesen der Opernspielpläne, zumal hierzulande. Kein Wunder, wer soll die Titelpartie singen? Eine der berühmtesten, wenn nicht gar die berühmteste Interpretin der Partie war Magda Olivero, die am 25. März 1019 in Saluzzo geborene, spätere große, alte Dame des veristischen Belcantos, die 2014 im Alter von 104 Jahren verstarb.

Sie selbst war eine orchideenhafte Ikone und letzte Repräsentantin eines zu Ende gegangenen Kapitels der Gesangskunst. Furore machte sie vor allem in den Paraderollen des Verismo, darunter manche Ur- und Erstaufführung. Wenn Magda Olivero auftrat, hypnotisierte sie ihr Publikum. Ihre bloße Präsenz erregte die Zuschauer in einer Weise, wie es sonst nur noch Maria Callas oder Renata Tebaldi vermochten. Was selbst ihren Plat­tenaufnahmen noch jene unnachahmliche Magie verleiht, ist die ausgepichte Raf­finiertheit ihrer Aus­drucksmittel: die gekonnten Über­treibungen, die ex­zes­siven Schluch­zer, die in raffinierteste Schreie en­denden Spitzentöne, die von leicht anti­quiertem Pa­thos getragene Deklamation, die bebende Intensität. Magda Olivero sang nicht nur, sie verwandelte Affekt-Posen in Klanggesten von verletzter Weib­lichkeit, wie sie filigraner und bewegender kaum zu hören waren in den letzten drei Generationen des Operngesangs. Sie wurde zur Verkörperung des manierierten Gesangs des Verismo, wo auch Umberto Giordano seinen Platz hat. Schon zu Lebzeiten ist sie zur Legende geworden. Ihre Schüler hat sie als eine der Wenigen noch gelehrt, was „canto espressivo“ meint: Singen aus den Eingeweiden, mit Leib und Seele, hochexpressiv aber kultiviert, artifiziell (im besten Sinne des Wortes) und doch menschlich durch und durch. Die vielen Raubmitschnitte und Piratenpressungen ihrer Bühnenauftritte gehören zu den be­gehrtesten Rari­tä­ten auf dem CD-Markt. Darunter befinden sich singuläre Ein­spielungen veristischer Spezialitäten, die nur noch die Olivero sang, etwa Catalanis Loreley, Mascagnis Lodoletta und Iris oder Alfanos Resurrezione. Neben einigen inoffiziellen Livemitschnitten gibt es nur eine einzige Studioaufnahme von ihr: eben Umberto Giordanos Fedora. Sie hat Reverenzcharakter bis heute.

Umberto Giordanos Fedora, halb Politthriller, halb Kriminalstück, tragisches Liebesdrama und packendes Psychogramm, verfügt über eine Handlung, wie sie im Verismo geschätzt wurde. Auch Giacomo Puccini war Verist. Seine Tosca – ebenfalls nach einer Vorlage von Victorien Sardou – wurde zu einem ähnlichen (noch erfolgreicheren) Erfolgsstück. Fedora ist ein wirkungsvolles, auf gut 100 Opernminuten zusammengedrängtes Werk, das zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Das Stück ist schon deshalb außergewöhnlich, weil es (im Gegensatz zu den meisten veristischen Opern) ausschließlich in der Welt der Aristokratie spielt, eine Binnenschau der höchsten Gesellschaftsschicht, und sich damit sowohl von Andrea Chenièr, als auch von Siberia abhebt, ganz zu schweigen von seiner Musik.

© Bettina Stöß

Die umjubelte Uraufführung von Fedora 1898 im Mailänder Teatro Lirico wurde zum musikhistorischen Großereignis. Nicht zuletzt verhalf sie Enrico Caruso, zum Durchbruch. Seine Interpretation der wohl berühmtesten Arie des Stücks, „Amor ti vieta“ wurde ein Hit. Sehr schnell eroberte das Werk die großen Bühnen der internationale Opernwelt und wurde in Wien, Paris, Hamburg und an der New Yorker MET gespielt. Als größter Erfolg Giordanos neben Andrea Chenier fasziniert Fedora bis heute mit üppigen Klangfarben, rauschhaften Steigerungen und unwiderstehlichen Melodien.

Zur Handlung der Oper, in der eine Elite gezeichnet wird, deren private Verstrickungen ins Kreuzfeuer politischer Machenschaften geraten: In St. Petersburg erwartet Fürstin Fedora Romazoff freudig ihre Vermählung mit dem Grafen Wladimir Andrejewitsch, doch noch am Abend vor der Hochzeit verliert sie diesen in einem Schusswechsel. Als sie dem mutmaßlichen Mörder, Graf Loris Ipanoff, der Russland aus politischen Gründen verlassen musste, nach Paris folgt, um ihn zu stellen, gesteht dieser die Tat und seine Liebe zu ihr. Jedoch habe er seine eigene Frau beim Ehebruch in flagranti erwischt – mit Fedoras Gatten, der daraufhin das Feuer eröffnete. Es war nicht Mord, sondern Notwehr gegen den Untreuen. Für Fedora kommt diese Auskunft zu spät, denn sie hat bereits die russische Polizei auf Loris’ Familie angesetzt. Zurückgezogen in den Schweizer Alpen holt diese Tatsache das Liebespaar ein, sodass die reumütige Fedora keine andere Wahl sieht, als sich das Leben zu nehmen.
Eine Handlung, wie sie den extrem emotionalen Vorlieben des Verismo entspricht – zu welcher Stilrichtung die Oper von Umberto Giordano zählt (ebenso wie der ganze Puccini), eine wirkungsvolle, auf gut 100 Opernminuten zusammengedrängte, hochemotionale Oper, die zu Unrecht in Vergessenheit geriet.

Giordano setzt sein farbenreiches, großes Orchester harmonisch und melodisch raffiniert ein, er ist ein mit allen Wassern gewaschener Komponist. John Fiore dirigiert sehr sensibel und gerät nie in Gefahr diese großenteils leise Musik effektvoll aufzudonnern. Im Gegenteil: Er setzt auf Intimität des Klangs bei größter Spannung und Dramatik, zudem sängerfreundlich. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin folgte ihm mit Präzision und Leidenschaft, auch der Chor der Deutschen Oper (Leitung Jeremy Bines) ließ nichts zu wünschen übrig.

© Bettina Stöß

Eine Besonderheit dieser Oper: Es gibt keine langen Arien, doch kurze und durch den Verlauf motivierte Solopassagen, die es den Hauptrollen erlauben zu glänzen. Langeweile kommt nie auf, weil die Oper auf Kontraste setzt. Im Paris- und Schweiz-Akt gibt es heitere Zwischenszenen, im Schweiz-Akt schaltet Giordano mehrfach ein volksliedhaftes, melancholisch-idyllisches Knabensolo (Leo Röhm) ein, um die Katastrophe des Liebespaars Fedora–Loris umso wirksamer hereinbrechen zu lassen. Es werden aber auch Tänze der Zeit, Walzer, Galopp und Polonaise gespielt, russische und französiche Lieder gesungen, auch volkstümliche Musik der Alpenregion ertönt, und es wird ein Notturno à la Chopin hinter dem Bilderrahmen, wo sich ein lebendes Bild im Bild (eine Konzertgesellschaft) befindet, gespielt. Alles das dramaturgisch wohlkalkulierte, effektvoll eingesetzte Musik.

Die Deutsche Oper hat das selten gespielte Stück musikalisch exzellent reanimiert. In der Titelrolle brilliert die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė (Typ Greta Garbo) als Fedora. Sie ist zwar keine Magda Olivero, aber sie singt mit ähnlicher Emphase, leicht pathetischer Deklamation, bebender Stimme und nie nachlassender Intensität. Die subtile Gestaltung ihres Todes, zu dem sie ins desillusionierte Schweizerbild stieg, aus der die Realität sozusagen ausstieg, erreichte zwar nicht die Qualitäten der Olivero (man hörte, sie kannte ihr sängerisches Vorbild gut), berührte aber außerordentlich und ließ manches Zuschauerauge nicht trocken.

Statt des in der Premiere umjubelten Tenors Jonathan Tetelman (er gilt als einer der aufregendsten Nachwuchsstars der Gegenwart) sang in der von mir besuchten Vorstellung der in Chile geborene und in New Jersey aufgewachsene Tenor Rodrigo Garull. Er ist zwar nicht so ein Beau wie Tetelman, aber ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung unter den Tenören. Eine männlich markante, attraktive Erscheinung mit viriler Stimme und enormer schauspielerischer Überzeugungskraft. Sein Tenor ist kraftvoll, farbenreich und kultiviert geführt.

Julia Muzychenko ist eine fabelhafte Gräfin Olga, die mit ihrem kristallklaren Sopran ein wenig Heiterkeit in das tragische Stück bringt. Ihr Verehrer, der französische Diplomat Siriex, ist mit dem armenischen Bariton von Navasard Hakobyan sehr gut besetzt. Tobias Kehrer gleicht als Polizeioffizier einem Scarpia, nur ist er nicht so grundböse und perfide wie er. Der Dessauer Sänger mit dem schwarzen Bass ist seit der Saison 2012/2013 Ensemblemitglied der Deutsche Oper Berlin, eine der bemerkenswertesten Stimmen des Hauses ohne Frage. Aber auch die übrige, große Besetzung war tadellos.

© Bettina Stöß

Es ist ein Glücksfall, dass man Christof Loys detailfreudig ausgearbeitete Inszenierung, die schon in Stockholm 2016 und in Frankfurt am Main 2022 frenetisch gefeiert wurde, nun auch nach Berlin holte. Herbert Murauer hat Loy nicht nur durchweg elegante Kostüme, sondern auch einen im Geiste des Fin de Siècle mit violetten Stofftapeten bespannten, prachtvollen Salon auf die Bühne gestellt. Ein riesiger goldener Bilderrahmen bildet den Hintergrund. Er ist transparente Projektionsfläche und weitet sich im Schweiz-Akt zum Prospekt einer scheinbaren Idylle, bevor diese desillusioniert wird, indem der Naturprospekt in den Bühnenhimmel gezogen wird. Zurück bleiben nichtssagende Möbel und Einrichtungsgegenstände. Immer wieder werden Videos auf den transparenten Rahmen projiziert. Sie zeigen Fedoras Emotionen in Großaufnahme, bringen Vorgänge in Nebenräumen zur Anschauung, zeigen Erinnerungsbilder, wie Parallelhandlungen und verdichten so die Ereignisse. „So kommt es zu faszinierenden räumlichen Weitungen, zugleich zu einem virtuosen Spiel von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit“ (so Michael Demel in seiner brillanten Besprechung der Frankfurter Premiere des Stücks). Die Personen bewegen sich bei Loy weitgehend im wohltuenden Einklang mit Handlung (Text) und Musik. Das ist selten heute. Und er versteht es, den veristischen „Opernschinken“ gehörig abzuspecken.

Fazit: Diese sehr schöne, kluge und einleuchtende Aufführung ist ein Genuss, ihr Schauwert ist enorm, musikalisch handelt es sich um eine Sternstunde.

Dieter David Scholz, 8. Dezember 2025


Fedora
Umberto Giordano

Deutsche Oper Berlin

Premiere: 27. November 2025
Gesehene Aufführung: 7. Dezember 2025

Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: John Fiore
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin