Pionteks Bayreuth: „Madame Butterfly in Walhall. ‚Fest-Spiele’ 1945-1950“

Wussten Sie, dass Ingrid Bergman – genau: die Ingrid Bergman, die 1943 die Ilsa Lund im Filmkultklassiker Casablanca gespielt hatte – 1945 auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses stand?

Zugegeben: Sie stand nicht ganz auf der Bühne, trat auch nicht als Walküre auf, war aber auch keine Touristin. Oliver Zeidler, der Kurator der neuen Ausstellung im Grafikkabinett des Richard-Wagner-Museums, entdeckte ihren Namen und ihr Foto, als er sich daranmachte, die frühe zweite Nachkriegsgeschichte des Festspielhauses zu erforschen. 1945 trat sie zusammen mit dem Komiker Jack Benny in Weiden auf, und obwohl nur der ihres Kollegen, nicht jedoch ihrer in einer Liste erscheint, die Bayreuther Wagner-Sammlungs-Archivarin seinerzeit über alle Konzerte und „shows“ erstellt hat, die 1945 im Festspielhaus über die (Vor-)Bühne gingen, muss davon ausgegangen werden, dass sie auch in Bayreuth gastierte.

Madame Butterfly in Walhall – so lautet der Titel der kleinen und wie üblich guten Schau, dem man einem empörten Zeitungsartikel entnahm. Dass während der festspielfreien Jahre Puccinis Oper im Hohen Haus gespielt wurde, wussten die neueren Bayreuther spätestens seit einer Ausstellung, die 2016 bei Steingraeber die Zusammenhänge zwischen Puccini und Bayreuth andeuteten. Dass im Tempel auf dem Grünen Hügel die (übrigens noch bestehenden) Showgirls der Rockettes ihre hübschen Beine schwingen durften, ist ebenfalls bekannt –Sex sells eben –, und dass Paul Lincke, der Komponist der unsterblichen Frau Luna, hier eines seiner letzten Konzerte dirigierte, könnte auch den Nicht-Berlinern bekannt sein. Die Ausstellung beansprucht durchaus nicht, die Geschichte Butterflys in Walhall in ihrem gesamten Kontext zu erzählen, aber sie kann doch mit bedeutenden Schlaglichtern von einer story berichten, die mehr als eine Petitesse ist. Denn noch 1950, also bis kurz vor der Eröffnung der ersten Nachkriegsfestspiele, wurden immerhin fünf Opern und viele andere Nicht-Wagner-Werke im Festspielhaus gespielt.

Begonnen hat es mit der raschen Übernahme des Hauses durch die amerikanischen Streitkräfte, konkret: einer Panzerdivision. Die USO, also die United Services Organisation, organisierte zur Unterhaltung, genauer: zur Bespaßung der Truppen („until they’re home“) etliche Konzerte und Shows, die im unzerstörten Festspielhaus ihr Publikum fanden: nicht auf, sondern am vorderen Rand der Bühne, vor dem Eisernen Vorhang, wo Bergman und Benny ihre Fans fanden. Um Platz zu schaffen, überbaute man den Graben und entfernte die ersten Sitzreihen, wo die Musiker sich setzen konnten. Schon kurz nach dere deutschen Kapitulation ging es in Bayreuth los: mit den berühmten Rockettes, Billy Rose’s Diamond Horseshoe Revue und dem Glenn Miller Orchestra, aber auch mit Konzerten, in denen Klassisches und Operettiges, auch die Fledermaus erklang. Hier trat das Bayreuther Symphonie-Orchester in Erscheinung, eine Gründung, die nicht lange Bestand haben sollte. Der Name, der sich mit ihm verbindet, schrieb Bayreuther Kulturgeschichte, indem er den Philharmonischen Chor mitgründete: Erich Bohner. Ein Foto – eine der Raritäten der Schau – zeigt ihn, der bereits bei den Kriegsfestspielen 1944 als Musiker im Haus beschäftigt war. Er und die Sänger Franz Völker und Hilde Scheppan belegen die Tatsache, dass auch in Bayreuth die berühmte „Stunde Null“ nicht bei Null begann, denn schon kurz nach Kriegsende traten auch Völker und Scheppan wieder im Haus auf.

Insgesamt fünf Opern können mit Plakaten und Werbepapieren dokumentiert werden: Butterfly, Tiefland, Traviata, Entführung und Fidelio. Ob auch Hänsel und Gretel zur Aufführung kam, ist unsicher; die Quellen widersprechen sich da, sagt der Kurator, aber wäre es der Fall gewesen, hätte Claudia Roth nicht jüngst vorgeschlagen, doch bitte schön endlich mal die Märchenoper im Festspielhaus zu spielen. Wir wissen, dass schon ab November 1945 keine Opern, noch weniger Operetten, im Haus zur Aufführung kamen. Der US-Amerikanisierung des Friedenssommers 1945 folgte bereits im folgenden Jahr die zweite Ent-US-Amerikanisierung, nachdem schon im Herbst ‚45 die Zivilbevölkerung Einlass zu den Vorstellungen erhielt. Mit dem ganzen Vergnügen war es 1948 zu Ende; dafür hatte auch der Protest der Wieland-Söhne, insbesondere Wolfgang Wagners gesorgt („Der Zwischenrufer war ich…“, vermeldete sein Leserbrief in der Fränkischen Presse), die so einen undeutschen Schweinkram wie eine Puccini-Oper und eine Operette in Wagners Weihestätte natürlich degoutant fanden. Was in „niveauvollen“ (O-Ton OB Meyer) Konzerten im Wagner Festival House weiter gespielt wurde, waren, neben Wagner, Brahms (und Rossini), Schubert (und Verdi), Richard Strauss (und Puccini) – und Mendelssohn! Aber auch damit hatte es mit Haydns Jahreszeiten im Herbst 1948 ein Ende. Das Bayreuther Symphonieorchester ging ein – viele Zuhörer kamen aufgrund der kulturellen Konkurrenz wohl nicht in die Konzerte, sagt Zeidler –, der Wagner-Enkel Franz Wilhelm Beidler entwickelte bis Oktober 1947 gänzlich neue Pläne zur Nachfolge Winifred Wagners, und im Mai 1950 erklang zum vorerst letzten Mal im Festspielhaus ein Werk, das nicht in den Kanon der Wagner-Werke und der 9. Symphonie gehörte. Herbert von Karajan dirigierte dort, in reizvoller Kombination, mit den Wiener Symphonikern Bruckners 8. Symphonie nach dem Lohengrin-Vorspiel und der von Hans Hopf gesungenen Gralserzählung. Anlass war die Mitgliederversammlung der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.

Noch dieser letzte, kleine, aber vielsagende Archivfund sagt dem Besucher Einiges über die Interessen, die zwischen 1945 und 1950 das zwischen den USA und der deutschen Emanzipation changierende Schicksal des Bayreuther Festspielhauses zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder-Aufbruch im Zeichen der Restauration bestimmten. In diesem Sinn zeigt sie ein nicht ganz unwichtiges Stück Kulturpolitik – und nicht allein ein paar historisch wertvolle Opernplakate und Konzertprogramme. Madame Butterfly in Walhall: die Paradoxie dieses Titels ist hintergründiger, als man zunächst vermutet. Die Ausstellung mag klein sein, aber sie ist, nach eher oberflächlichen Hinweisen in der Literatur (Oswald Georg Bauer widmete dem Betrieb in seiner Geschichte der Bayreuther Festspiele einen Absatz), ein Anfang, wie Zeidler sagt. Man erhält mehr als eine Ahnung davon, dass die auf den ersten Blick kurios erscheinende Zwischengeschichte der Festspiele keine Randerscheinung, sondern auf einzigartige Weise typisch ist.

Frank Piontek, 12. Dezember 2025


Madame Butterfly in Walhall
„Fest-Spiele“ 1945-1950

Richard-Wagner-Museum Bayreuth

Bis 31. Mai 2026