Premiere 1. März 2020
Nach zwei Jahrzehnten hatte die „Salome“ von Richard Strauss in einer Neuinszenierung von Barrie Kosky an der Oper Frankfurt Premiere. Der eiserne Vorhang hob sich, Rabenschwärze, Salome im weißen Glitzerkleid mit Federschmuck auf dem Haupt kehrte uns den Rücken zu, hüpfte, wiegte die Hüften, räkelte sich lasziv am Boden, zu Flattergeräuschen eines Todesvogels (?) akustisch untermalt, danach setzte die Musik ein. Die Idee des Regisseurs war ohne „Gebrauchsanweisung“ im Programm nicht vermerkt.
Barrie Koskys Zitat zum Werk: Salome bedeutet immer eine große musikalische und szenische Herausforderung. Wie bei vielen anderen Stücken hat sich über die Jahre eine dicke Schicht Staub durch Routine angesammelt. Diesen Staub zu entfernen, einen tiefgründigen Blick auf den Text, die Musik zu werfen und zu erkennen, woher die Ideen und Motive stammen, ist das Wichtigste für eine Neuinszenierung. Zu neuen Taten, sodann ging der Staub-Wedel ans Werk.
Der Regisseur beleuchtete konsequent die Psycho-Analyse der Protagonisten akribisch zum Kontext von wenigen (un)freiwillig komischen Momenten abgesehen, schließlich lässt sich die Heimat Koskys an der „Komischen“ Oper Berlin nicht leugnen. Aber Spaß beiseite, kontinuierlich zeichnete der Exzentriker die Verwandlung des verliebten Mädchens zu Jochanaan bis zur rauschhaft erlebten finalen Konsequenz detailliert nach. Salome küsste nicht nur den bluttriefenden Kopf am Fleischerhaken, nein sie saugte, biss wie man in eine reife Frucht beißen kann, steigerte sich mit dessen Kopf zwischen den Schenkeln orgiastisch in Liebesekstase. Der Schleiertanz wurde zum szenischen Fauxpas, Salome zog sitzend meterweise Bänder bis zur Hysterie unter ihrem Kleid vor, waren eigentlich der Interpretin Sexappeal und tänzerische Anmut in hohem Maße zu Eigen, aber …
Das zuvor noch lebende Objekt ihrer sinnlichen Begierden wurde mit seltsamen Gebärden und wenig ansprechender Optik halbnackt im Schlabber-Slip und blonden Haarsträhnen präsentiert. Wie Wachs in den Händen der Regie schien Ambur Braid, ihre Darstellung der Kindfrau kam auch dank ihres persönlichen Engagements hervorragend zum Ausdruck. Unterbelichtet wirkten das Tetrarchen-Paar sowie die weiteren Darsteller. Kosky bediente sich im Kontrast der konstant schwarz verhangenen Bühne, einer kegelförmigen Scheinwerfer-Ausleuchtung (Joachim Klein) zur jeweiligen Personen-Szenerie. Während der orchestralen Intermezzi blieb es dunkel. Katrin Lea Tag kreierte die vier Kostüme der Salome, die Alltagskleidung der restlichen Crew, die Tücher der Juden und den schwarzen Bühnenhintergrund.
Konträr der exzessiven Dramaturgie widerfuhr dieser Produktion eine überragend dargebotene Tonalität wie man sie seltener erleben durfte. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters waltete die Gastdirigentin Joana Mallwitz wartete mit vortrefflicher und homogener Orchesterkultur auf. Nürnbergs Generalmusikdirektorin ließ die Strauss´sche Partitur in völlig neuem Licht erstrahlen, in ausgewogenen Tempi flossen die überwältigenden Passagen ineinander, kammermusikalische Lyrismen, emotionale Momente von elementarer Schönheit, konträre eruptive Konstruktionen verband die umsichtige Dirigentin in prächtiger Klangbalance. Dank des hervorragend in allen Gruppen minutiös präparierten und prächtig aufspielenden Orchesters umwob Mallwitz die Solisten mit einem spannenden symphonischen Klangteppich, beleuchtete den farbschillernden Kosmos dieser Komposition insbesondere und schenkte dem kontrapunktischen Tanz der sieben Schleier den lasziv-sinnlichen, exotisch-ekstatischen Sound. Zu Herodes Worten formuliert: Herrlich, wundervoll – fürwahr!
Gewiss zog die vorteilhafte Optik der kanadischen Sopranistin Ambur Braid zur ambivalenten Darstellung alle Blicke auf sich, jedoch konnte die Sängerin im vokalen Bereich nur zuweilen überzeugen. Stimmlich lotete Braid die kräftezehrende Partie facettenreich aus, fand Töne für trotzige Wut und gezielte Aggressionen, schenkte lyrischen Passagen sehnsüchtige Kantilenen. War die hörbare Überforderung der Stimme während der extremen hohen Lagen, Grund der teils weniger glückhaften Intonation oder lediglich das Resultat langer Proben? Oder erfüllte sich die ehrgeizige Sängerin einfach zu früh den Salome-Wunsch und wurde den Ansprüchen des Rezensenten (zu dessen 46. Interpretin) nicht gerecht?
In guten Phrasierungen der markanten Mittellage umriss Christopher Maltman den Jochanaan, verlieh dem religiösen Fanatiker (regielich eingeschränkt) wenig Präsenz und ließ sein Organ in den mächtigen Aufschwüngen weniger kultiviert erklingen.
Fernab gewohnter Charakterstudien des Herodes sang AJ Glueckert mit schönem Timbre und schier lyrischen tenoralen Attributen einen jüngeren, agilen Tetrarchen zu prägnanter Diktion. In ihrem Chanel-Kostüm wirkte Claudia Mahnke sehr mütterlich, verlieh jedoch ihrer Herodias nachdrückliche eine angenehme Vokalise.
Wunderschön ertönte der volle weichfließende Mezzosopran von Katharina Magiera als warnender Page. Mit strahlendem Tenor kündete Gerard Schneider als verliebter Narraboth von den optischen Reizen der Salome.Klangschön bestens abgestimmt formierten sich Theo Lebow, Michael McCown, Jaeil Kim, Jonathan Abernethy, Alfred Reiter zum Gezeter der tuchverhüllten Schloss-Gespenster, pardon der fünf Juden. Schönstimmig ergänzten Thomas Faulkner, Danylo Matviienko (Nazarener/Cappadocier), Dietrich Volle, Pilgoo Kang, Chiara Bäuml (Soldaten/Sklave) das Solistenensemble.
Das Premieren-Publikum war zufrieden, dankte mit prasselndem Applaus und lautstarken Ovationen allen Beteiligten incl. ohne Contra dem Produktionsteam und rückte insbesondere Mallwitz und Baird in den Focus der Begeisterung.
Bilder (c) Monika Rittershaus
Gerhard Hoffmann, 5.3.2020
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)