Premiere am 28.4.2018
Abgestandener Krimsekt statt Champagners
Als unverhofft die akustische Überwältigung mit des Beinahe-Namenvetters Richard Anfangstakten von „Also sprach Zarathustra“ aus dem Orchestergraben geschah, da hoffte man, diese würden den gesamten Quatsch und Murks von der Bühne fegen, den zuvor Rolando Villazón mit Hilfe von Johannes Leiacker für „Die Fledermaus“ dort aufgetürmt hatte.
Da gab es im ersten Akt statt eines plüschig-kitschigen Salons nur ein ärmliches Zimmerchen, dessen Charme nicht dadurch vermehrt wurde, dass sich ein überlangfingriger Dr. Falke als dämonischer Kaminanzünder betätigte. Es folgte statt eines eleganten Ballsaals ein unterirdischer Betonbunker mit Stalinportrait und Sputnik-Poster, in dem NKWD-Offizier Orlofsky eine Sadomaso-Party gab, Volkspolizisten ebenso zu den Eingeladenen gehörten, wie emsig Notizen sammelnde und mit Mikrofonen bewaffnete Stasi-Agenten ihr Unwesen trieben, wo gefoltert, verhaftet und gesoffen wurde-allerdings wohl kaum Champagner, allerhöchstens Krimsekt, wenn nicht gar ausschließlich Wodka. Der bisher immer grob-biedere Ivan (Samir Dib) trugt schwarze Strapse, es wurden Roben gesichtet, die man jenseits des Eisernen Vorhangs kaum vermutet hätte, aber ausgerechnet die drei weiblichen Solisten mussten sich mit potthässlichen Kostümen begnügen (Thibault Vancraenenbroeck). Und wie man in dieser durch eine kubanische Freundschaftsdelegation bereicherten Gesellschaft als Marquis oder gar ungarische Gräfin Furore machen konnte, bleibt auch ein Geheimnis. Im dritten Akt schließlich sind wieder einige Jahrzehnte vergangen, Frosch ist ein Android und versprüht so viel Komik, wie man es von einem unbeseelten Kunstwesen erwarten kann, der Kampf mit unbequemen Kleidungsstücken nötigt auch nicht viel Interesse ab, und was der Krakenarm, der ab und zu um die Ecke langt, bedeuten soll, kann auch nur vermutet werden.
Am naheliegendsten ist da noch, da Rolando Villazón schließlich eine Botschaft zu verkünden hat, die drohende Rache der Natur am sie zerstörenden Menschen, so wie auch der Android uns mahnend verkündet, dass wir trotz aller Macht und Freiheit, die wir erlangt haben, nicht wirklich glücklich sind. Wie wahr und nur von Johann Strauß noch nicht so richtig erkannt. Der Zuschauer aber wird mit einem Kurzabriss der Menschheitsgeschichte vom Neandertaler bis zum Menschen der Zukunft beglückt. Und damit auch noch unser soziales Gewissen wachgerüttelt wird, bekommt ab und zu ein armer Obdachloser, der am Bühnenrand kauert, einen bösen Fußtritt versetzt. „Die Fledermaus“ ist auch ein gesellschaftskritisches Stück, aber keins, dass moralinsauer und gänzlich unhistorisch mit dem erhobenen Zeigefinger droht, wie es dem mexikanischen Regisseur gefällt, sondern eins, das uns lachend Schwächen erkennen lässt. Dazu tragen sicherlich aber nicht Pupserei und ähnliche Plattitüden bei. Man hat den Eindruck, dass Villazón so ziemlich alles, was ihm im Verlauf der seit der letzten Regiearbeit vergangenen Zeit so eingefallen ist, mit Gewalt in das Stück gezwängt und ihm so allen Charme, alle Ironie, allen Esprit genommen hat, wobei es trotzdem oder gerade deswegen über Strecken hinweg einfach langweilig ist.
Ein immenser Pluspunkt war immerhin, dass die Ouvertüre nicht inszeniert worden war, man ungestört genießen konnte, wie Donald Runnicles mit Elan und Schwung, agogikreich und mitreißend musizieren ließ, grandios waren die Chöre, einstudiert von Jeremy Bines, eher wohl gewollt plump die tänzerischen Einlagen (Philippe Giraudeau).
Eine resolute Rosalinde gab Annette Dasch mit gefährdeten Höhen und Problemen, wenn es tempomäßig rasant wurde. Ganze Silben verschluckte die Adele von Meechot Marrero, die zudem mit starkem Akzent sang, aber immerhin mit einem frischen, jugendlichen Sopran aufwarten konnte. Kathleen Bauer (ost)berlinerte sich durch die kleine Partie der Ida. Die junge Angela Brower sang mit weichem, farbigem Mezzosopran sehr schön den Orlofsky, für eine interessante Darstellung des ambivalenten Charakters gab es wohl wenig Hilfe von der Regie.
Wie in jeder seiner bisherigen Rollen an der DOB war Thomas Blondelle auch als Eisenstein souverän in Darstellung und vokaler Darbietung. Wunderbar falsch sang als Alfred Enea Scala „Cielo e mar“ oder „E lucevan le stelle“, hatte ansonsten einen durchdringenden, wenn auch nicht mit noblem Timbre gesegneten Tenor. Ein herrlicher Komödiant (und Sänger sowieso) ist Markus Brück als Frank, dem der arme Florian Teichtmeister als Android kaum etwas entgegen setzen kann, was aber nicht er, sondern die Regie zu verantworten hat. Ach- und an Helmut Lohner als Frosch darf man gar nicht denken! Thomas Lehman ist ein markant, wenn auch leicht dröge singender Dr. Falke, Jörg Schöner bleibt diesmal blass als Dr. Blind.
In München werden augenblicklich Unterschriften für den Erhalt der Otto-Schenk-Rosenkavalier-Produktion gesammelt. Die seiner Berliner „Fledermaus“ hätte sicherlich auch viele Unterstützer gefunden, gäbe es sie noch und hätte man gewusst, was der Deutschen Oper mit der Villazóns blüht. Aber vielleicht kann man mal mit Wien tauschen- wenigstens zu Silvester!
Fotos Thomas M. Jauk
29.4.2018 Ingrid Wanja