Premiere am 21.2.2018
Auf den ersten Blick scheint Cileas Oper „L’Arlesiana“ eine nach Frankreich verlegte Cavalleria Rusticana zu sein: der einer schönen, leichtlebigen Frau, die einem anderen gehört, verfallene junge Mann, der die ihn wahrhaft Liebende verschmäht, die besorgte Mutter, die den Tod ihres Sohnes erleben muss, der jähzornige Nebenbuhler, der, wenn bei Cilea auch indirekt, für dessen Ableben verantwortlich ist, die Ansiedlung des Stücks im ländlichen Bereich.
Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass die Tragödie bei Cilea eine der Psyche des jungen Mannes Federico ist und damit über das hinausgeht, was der italienische Verismo sich zum Thema gemacht hatte. Die Oper geht auf eine Episode in Alphonse Daudets „Lettres de mon moulin“ und sein Theaterstück zurück, die wiederum auf einer tatsächlichen Begebenheit beruhen und die auch Bizet zum Komponieren anregte. Während Mamma Lucia in der Cavalleria wegen der wenig umfangreichen Partie gern alternden Sängerinnen anvertraut wird, ist die Rosa Mamai eine höchst schwierige, anspruchsvolle Rolle. Eine ganz wichtiger Bestandteil von Cileas Oper ist die Partie des alten Baldassare, der gleich zu Beginn mit der Erzählung von der Ziege, die dem Wolf unterliegt, weil sie sich aus ihrem sicheren Ambiente entfernt hatte, in die Atmosphäre einführt. Damit nicht genug: Die Figur des Innocente, des schwachsinnigen Bruders von Federico, dessen „Heilung“ sich gleichzeitig mit dem Selbstmord des Älteren vollzieht, geht weit über den Naturalismus veristischer Werke hinaus.
Das Werk hatte, obwohl das Nichterscheinen der Titelheldin sicherlich nicht seiner Popularität förderlich war, zunächst einen beachtlichen Erfolg, in jüngerer Zeit blieb nur das Lamento des Federico als Glanzstück für Tenöre zumindest in Konzertsälen im Gedächtnis des Publikums.
Der Deutschen Oper muss man dankbar sein, dass sie das Stück zumindest oder auch glücklicherweise konzertant vorstellt, dem maltesischen Tenor Joseph Calleja gegenüber darf man ähnliche Gefühle hegen, weil er, wenn auch mit Klavierauszug bewaffnet, die Partie trotz wohl nicht zu erwartender Folgevorstellungen, für nur zwei Abende einstudierte.
Zunächst war ihm eine gewissen Befangenheit anzumerken, war die Höhe nicht ganz frei, doch nach triumphal bestandenem Lamento in reicher Agogik löste sich die verständliche Anspannung, erhob sich die Stimme siegreich über das Orchester, strömte sie in schönem Fluss und unangefochtener Emphase und betörend generös. Wie schön, dass er wegen einer klugen Karriereplanung keine Krisen wie seine Mitsieger im Operalia-Wettbewerb im selben Jahr, Villazon und Filianoti, kennt.
Dolora Zajick singt zwar an der Met noch immer Amneris und Azucena, was nicht nur wegen der Optik zunächst verwunderte, weil zwar die obere Mittellage, nicht aber die tieferen Töne die alte Präsenz zeigten. Im letzten Akt begeisterte sie allerdings mit einem so anrührend wie klug gestalteten „Essere madre è l’inferno“, mit wirkungsvoll eingesetzter Bruststimme, farbenprächtig wie in alten Zeiten und mit überwältigendem Gestaltungswillen.
Eine anmutige Erscheinung brachte die junge Sopranistin Mariangela Sicilia für die unglücklich liebende Vivetta mit, dazu mit empfindsamem Gesang der reinen, in der Höhe schön aufblühenden („M’ami dunque“) Stimme erfreuend. Endlich wieder in einer Partie, in der sein Bariton alle seine Qualitäten zeigen kann, hat Markus Brück mit dem Baldassare gefunden, der ihm die Möglichkeit gab, sich siegreich im Crescendo mit einem großen Orchesterapparat zu messen, die Stimme fließen zu lassen, so wie in „Vieni con me“, im Duett mit dem Tenor im zweiten Akt oder mit toller Höhe im Segensspruch für die Hochzeiter.
Den Auslöser für das finale Unglück gab Seth Carico mit beeindruckendem Brunnenvergifterbassbariton, ein kurzes Gastspiel gab basstief Byung Gil Kim als Marco, während Meechot Marrero trotz nur kurzer Auftritte einen feinen Mezzosopran bewundern lassen konnte.
Paolo Arrivabeni bewies einmal mehr beste Kapellmeisterqualitäten und brachte die Partitur zum Atmen und Blühen, der Chor unter Jeremy Bines trug, zum Teil aus dem Off, viel zum Untermalen der Stimmung dieses musikalisch hochinteressanten, wenn auch schwierig zu inszenierenden Werkes bei. (Deshalb: Hände weg von der „Arlesiana“, Regisseure, ihr könnt nur etwas verderben!)
Es gibt noch eine zweite Aufführung am 24. Februar.
Fotos Bettina Stöß / Cilea Wiki
22.2.2018 Ingrid Wanja