Richard Wagner
am 20. Mai 2019
Das war ein Abend der emotionalen Superlative – und damit genau das Gegenteil dessen, was inszenatorisch am Abend zuvor mit „Tristan und Isolde“ am Monnaie in Brüssel zu erleben war! Die junge deutsche Regisseurin Julia Burbach, in Tokio geboren und in Mailand, Prag, München, Bonn, London und Hong Kong in einer Diplomaten-Familie aufgewachsen, hat mit ihrer ersten selbständigen Wagner-Inszenierung einen regelrechten Weitwurf geliefert. Bisher hat sie u.a. mit Christoph Loy zusammengearbeitet und ist Director in Residence an Covent Garden London. So eine intensive und mit ganz neuen emotionalen Facetten arbeitende Personenregie habe ich – wenn überhaupt – bei meinen 111 „Ring“-Inszenierungen in den letzten 53 Jahren nur ganz selten erlebt. Vielleicht ist ihr Regiekonzept etwas mit dem der Magdeburger „Walküre“ 2018 vergleichbar. Nach den Erfahrungen in Chemnitz (Rezension weiter unten) vor einigen Wochen: Wenn das die „weibliche Sicht“ auf den „Ring“ ist, dann kann man das nur begrüßen…
Es wurde einmal mehr klar, dass der „Ring“ vor allem durch seinen Mikrokosmos in engem Zusammenhang mit der Musik lebt, ein Mikrokosmos, den Richard Wagner mit so vielen, wenn nicht gar allen Spielarten menschlicher Interaktion gestaltet hat. Das herauszuarbeiten mit einer intensiven Personenregie, die durch eine phantasievolle, meist die Handlung sinnhaft unterstreichende, aber bisweilen auch zu weit gehende Videoregie auf einer großen LED-Wand in der Bühnenmitte ergänzt wird, ist Burbach mit dem Video-Designer Tal Rosner in einer Probenzeit von nur zwei Wochen für die Szenen (vier Wochen für die Musik) voll gelungen. Clémence Pernoud schuf dazu avantgardistische, stilvolle Kostüme und Jon Bausor ein relativ einfaches, aber effizientes Bühnenbild aus drei ineinander verschachtelten Spielflächen, die sinnvolle Abstufungen in der Aktion der Akteure ermöglichen. Die stark auf personenbezogene Effekte setzende Beleuchtung von Eric Blosse setzt in vielen, zumal in den von individuellen Auseinandersetzungen gekennzeichneten Szenen, starke dramaturgische Effekte.
Der Generalmusikdirektor der Opéra National Bordeaux, Paul Daniel, schuf mit dem Orchestre National Bordeaux Auqitaine mit 97 (!) Musikern in einem stark versenkten Graben, der zudem weit unter die Bühne reicht, eine glanzvolle und überaus engagierte und plastische musikalische Interpretation, die zu jedem Zeitpunkt Hand in Hand mit dem Geschehen auf der Bühne ging.
Die Schwedin Ingela Brimberg, vielen Wiener Wagner-Freunden aus dem „Ring“-Verschnitt von Tatiana Gürbaca im vergangenen Jahr am Theater an der Wien bekannt, sang eine wunderbare Brünnhilde mit allem, was man sich wünscht. Sie bestach vor allem durch leuchtende, perfekt angesetzte und lang ausgesungene Töne bei ebenso guter Mittellage und Tiefe. Dazu kam eine äußerst authentische jugendliche Darstellung der Beziehung der Wotanstochter zu ihrem Vater. Evgeny Nikitin, der in Murmansk aufgewachsen ist, wie er mir in einem Interview mitteilte, gab den Wotan mit sowohl großer göttlicher Souveränität als auch dem durch seinen Fall verbundenen menschlichen Leid. Sein Bassbariton verfügt auch über hinreichend Tiefe für den „Walküre“-Wotan, wobei seine heldenbaritonale Höhe aber seine größte Stärke ist. Vielleicht sollte hier und da mit mehr Legato auch noch die Phrasierung verbessert werden.
Die blutjunge US-Amerikanerin Sarah Cambridge kam wie aus dem blauen Himmel aus San Francisco und sang ihre erste Sieglinde, betörend und ausdrucksstark bei bester Diktion. Der Afro-US-Amerikaner Issachah Savage war ein stimmschöner Siegmund mit ebenfalls viel Empathie. Stefan Kocán sang einen eleganten Hunding mit prägnantem Bass bei leichten Höhenproblemen. Aude Extrémo spielte eine genauso „extrem“ engagierte Fricka mit ihrem charaktervollen Mezzo. Die Wortdeutlichkeit aller Protagonisten war beeindruckend. Auch das Walküren-Oktett agierte mit kräftiger stimmlicher, aber auch großer darstellerischer Qualität – besser als jenes, welches ich noch vor neun Tagen an der New Yorker Met hören konnte.
Dieser „Ring“, vom Generalintendanten Marc Minkowski angestoßen und von Paul Daniel äußerst engagiert mitgetragen, MUSS weitergehen!! Immerhin wird diese Walküre im kommenden Jahr in Island zu sehen sein!
Fotos (c) Eric Bouloumie/Opéra National Bordeaux
Klaus Billand, 23.5.2019