Das Phänomen von Opern-Inszenierungen, die eigentlich für die Zeit der Corona-Pandemie geplant waren und erst mit einigen Jahren Verspätung herauskommen, wird uns wohl noch eine Weile begegnen. Auch die Wuppertaler „Traviata“ war eigentlich für den Sommer 2021 geplant gewesen. Damals kam sie nur als Konzert-Stream aus der Wuppertaler Stadthalle heraus. Die konzertante Aufführung wurde dann im Herbst 2021 auch vor Publikum gespielt, jetzt kam nun auch endlich die dazugehörige Inszenierung von Nigel Lowery heraus.
Seine Karriere hat Lowery als Ausstatter begonnen, heute ist er allerdings wie Jean-Pierre Ponnelle und Achim Freyer in Personalunion für Bühnenbild, Kostüme und Regie unterwegs. Die Konzeption und die Personenführung ist jedoch Lowerys schwächste Seite, so dass die optische Wirkungskraft seiner Ausstattung, die einiges zu bieten hat, verpufft.
So hat er für Violettas Salon und den Ballsaal des 3. Bildes einen opulenten Raum entworfen, der aus Säulen und einem großen Kamin besteht, wobei diese Einrichtung jedoch nur gemalt ist. Violetta glänzt im roten Abendkleid, die Herren tragen Fräcke des 19. Jahrhunderts und die leichten Mädchen Schäferinnenkostüme des Rokokos. Dieser stilistische Mischmasch sieht zwar schön aus, wird aber von der Regie nicht schlüssig erklärt. Zudem agieren Violetta und Alfredo oft aneinander vorbei.
Was das Bühnenportal mit großem Theatervorhang auf der Bühne soll, wird auch nicht erklärt. Da würde man eine Inszenierung erwarten, welche die Realitätsebenen mischt, wo es um Sein und Schein geht oder eine Bühnenwelt, in der Voyeure und ihre Opfer aufeinander treffen. Nigel Lowery hat sich wahrscheinlich viele Gedanken gemacht, bringt diese aber nicht verständlich auf die Bühne bringen.
Das 2. Bild versteht man nur, wenn man den Einführungsvortrag besucht oder das Programmheft gelesen hat: Violetta soll nun die Leiterin einer sozialistischen Untergrundzelle sein, die von hier ihren Kampf gegen das kapitalistische Ausbeutersystem leitet. Die Wände von Violettas Büro sind in den Salon hineingestellt. Ihre und Alfredos Kleidung erinnert mehr an eine Schuluniform denn an Klassenkampf. Vater Germont ist ein Gendarm.
Violettas Krankheit, die sich in drohenden Andeutungen durch Verdis Oper zieht, spielt bei Lowery keine Rolle. Stattdessen trägt Violetta im letzten Bild einen Kopfverband, als sei ihr wie Cyrano de Bergerac ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen. Lowerys Produktion sieht zwar beeindruckend aus, funktioniert aber nur mit Gebrauchsanweisung.
Wesentlich besser ist da die musikalische Seite aufgestellt: Kapellmeister Johannes Witt leitet am Pult des Sinfonieorchesters Wuppertal eine ebenso leidenschaftlich wie gefühlvolle Aufführung, und begleitet die Akteure erstklassig. Mit dunkel gefärbtem Sopran verkörpert Ralitsa Ralinova eine starke Violetta. Bei dem Wundertenor von Sangmin Jeon kommt man ins Staunen und Schwärmen. Einen Sänger, der so farbenreich, jugendfrisch und ausgewogen in allen Registern klingt, hat man selten gehört. Um solch eine Stimme müssten sich die großen Häuser reißen. Simon Stricker singt den Giorgio Germont mit hellem und geschmeidigem Bariton. Man kann nur hoffen, dass diese drei starken Stimmen dem Haus auch nach dem bevorstehenden Wechsel in der Intendanz der Wuppertaler Oper erhalten bleiben.
Rudolf Hermes, 16. März 2023
La Traviata
Giuseppe Verdi
Wuppertaler Bühnen
Premiere: 26. Februar 2023
Besuchte Vorstellung: 5. März 2023
Regie, Bühne, Kostüme: Nigel Lowery
Musikalische Leitung: Johannes Witt
Sinfonieorchester Wuppertal