Im Bankermilieu
Premiere am 18.1.14
ohne Schwert, Horn und Rüstung: Kein Wunder ist geschehen
Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr zu wahren; ob Ost, ob West? Das gelte allen gleich! Was deutsches Land heißt, stelle Kampfes Scharen, dann schmäht wohl niemand mehr das deutsche Reich – Wohlauf mit Gott für deutschen Reiches Ehr!
(Originaltext Richard Wagners LOHENGRIN)
LOHENGRIN ist im Zeitalter des modernen Musiktheaters eine mehr als heikel zu inszenierende Oper; man kann damit eigentlich nur noch eine Bruchlandung vollziehen, auch bei guten Absichten. Diese sind der Regisseurin Sabine Hartmannshenn und ihrem Team durchaus zu unterstellen, denn anders als der große Neuenfels in Bayreuth mit seinem Ratten-Lohengrin, will sie den alten Ritchie nun wirklich nicht auf den Arm nehmen oder der Lächerlichkeit preisgeben bzw. den Altwagnerianern eins auswischen. Treppenwitz der Rezeptionsgeschichte Lohengrins: Dieser Bayreuther Bockmist wird – nicht nur von der allgemeinen Musikkritik -mittlerweile schon zum Kult erklärt und durch die TV-Wiedergabe beim Kulturkanal ARTE sogar geadelt. http://deropernfreund.de/bluehender-bockmist.html
Aber vielleicht wäre so ein Ansatz besser und populärer gewesen als das, was nun letztlich gestern Abend herausgekommen ist.
Zurück zum Lohengrin: Deutschtümelde unsägliche Texte und eine musikalische Gravität im Pathos, die GMD Axel Kober in Düsseldorf noch kräftig unterstrich, indem er das ohnehin nicht besonders einfühlsam und sauber klingende Blech der "Düsis" (Nomen es Omen!) so richtig aus dem Vollen schöpfen lies, als müsste man im Dauerfortissimo Siegfrieds Trauermarsch tröten.
Dabei wäre etwas mehr Sängerfreundlichkeit aus dem Orchestergraben schöner gewesen, insbesondere wenn man nur wenig richtige Wagnerbrüllstimmen (Achtung Ironie!) hat; und Susan Maclean (Ortrud) wäre dann vielleicht am Ende nicht ausgebuht worden. Stefan Soltesz hatte bereits vor Jahren in Essen bewiesen, dass man Wagners lautmalerische Schwerenöterei, auch ohne dass es kammermuskalisch oder stimmtötend klingt, ohrengenehm rüberbringen kann; auch das Vorspiel zum dritten Akt wird durch monumentale Lautstärke mitnichten besser.
Mehr Sorgfalt verwendete man darauf, die vier originalen Königstrompeten – extra aus der Trompetenklasse der Folkwang Universität Essen eingeflogen – von der Balustrade schmettern zu lassen; sehr sauber übrigens! Im dritten Akt durften dann auch einige Orchestertrompeten überflüssigerweise aus dem Ersten Rang blasen, als wären wir beim heiligen Sankt Martin in der Düsseldorfer Altstadt.
Wird dann noch ein statisch hässliches Allerwelts-Einheits-Bühnenbild – Dieter Richter lies einen halbrunden Balustradenhintergrund zimmern, von dem eine große Treppe nach vorne führt – präsentiert, welches dem Chor kaum Bewegungsmöglichkeiten erlaubt, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Damen und Herren ziemlich alleingelassen und ratlos herum stehen, als warte man auf den imaginären Bus oder die verspätete Bundesbahn.
Ich würde dem Bühnenbildner jenen noch von uns zu kreierenden güldenen Abrisshammer am Hosenbandorden, als quasi negativen Bühnenbildner-Preis (ähnlich der Goldenen Himbeere beim Film), für das schlechteste Bühnenbild des Jahres zuerkennen. Jemand hinter mir raunte Für so ein Bühnenbild braucht es keine Künstler, sondern Schaufensterdekorateure! Da könnte die Rheinoper zukünftig doch einiges Geld sparen. Kleiner Trost ist, dass dieses Jahr gerade erst angefangen hat.
Na wenigstens läuft diese überflüssige und herb enttäuschende Wagner-Produktion nicht Gefahr, wegen sich krank meldender schockiert überforderter Zuschauer oder der Proteste pöbelnder Steinzeit-Wagnerianer (Sonderseite Of) morgen schon wieder abgesetzt zu werden. Auch hörten wir noch keine Einwände aus der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde. Über die Leiden der Kritiker wollen wir hier natürlich nicht reden.
Unsere LOHENGRIN 2014 spielt im Banker/Börsenmileu – wo sonst? Wenn man einen zeitkritischen aktuellen Aufhänger sucht, ist "Bankerbashing" natürlich immer treffend, besonders in einer Welt, wo das Ansehen eines Zuhälters mittlerweile größer ist als das eines Investmentbankers. Leider hat selbst der gewandte Dietrich Hilsdorf damit justement bei Verdis Essener Räubern damit auch schon Schiffbruch erlitten. Heuer wurde nun die Oper regiemäßig vom 10. ins 21. Jahrhundert transponiert. Was natürlich in uns die spannende Frage erweckt: Wie löst die Regisseuse hic et nunc die ohnehin heiklen Probleme der mythischen Sagenvorlage?
Ganz einfach: Die brabantischen Mannen sind nun Banker, Spekulations-Ganoven im sauberen Makleroutfit von Hugo Boss. Man hat den ganzen Laden versaubeutelt; die Bank ist pleite, das Land ruiniert. Da ist es natürlich logisch, dass bald der Landesfürst auftaucht wird, bevor Brabant im internationalen Werteindex auf Griechenland-Niveau gesetzt wird. Das möge Gott verhindern! Also wartet man auf ein Wunder… Hier traut sich dieses Geldgesockse natürlich nicht nach Hause an den gemütlichen Heim und Herd, weil man draußen überall auf Protestler im Penner- und Hippieoutfit (Kostüme: Susanne Mendoza) trifft, welche die Bank belagern.
Beim Öffnen des Vorhangs, schon beim nicht ganz beendeten Vorspiel zum 1. Akt, gewahren wir, dass eine Horde dieser schlamperten Burschen sich ins Aller-Heiligste der Bank vorgewagt hat; nicht etwa um den Ganoven im Nadelstreif eine ordentliche und verdiente Abreibung zu verpassen – nein man glaubt es kaum ! – sie hängen nur friedlich drei harmlose Protest-Plakate auf, bevor sie von der Security (wie kamen diese Burschen eigentlich überhaupt in die Bank?) wieder herausgedrängt werden.
Immerhin fängt alles spannend und vielversprechend an und es endet auch nicht unwitzig, denn einen Schwerter-Zweikampf (wie sollte der auch aussehen in dieser Zeit) gibt es natürlich nicht. Was machen wir dann? Russisches Roulette schließt sich an der Rheinoper aus, sonst würde es wieder manchem Zuschauer schlecht; außerdem ist ja nicht unbedingt gewährleistet, dass auch der Böse getroffen wird. Obwohl, mit Gottes Hilfe…
Die Lösung der Regie für diese heikle Szene (siehe Bild oben) ist so genial wie einfach: Friedrich von Telramund (eine passable Sanges- und Darsteller-Leistung von Simon Neal), der bisherige Direktor, wird entlassen – und erhält neben seiner schriftlichen Kündigung den obligaten Koffer voller Bargeld und Hausaktien, während der neue Herr im Haus, Dr. Dr. Josef Ackermann von Lohengrin (gesanglich hält Robert Sacca die schwierige Partie passabel durch) sich den Maßanzug auswählt, den der Landesvater (Hans-Peter König in souveräner Altersloyalität auf den Spuren von Karl Ridderbusch) ihm in gleich zwei Ausführungen offeriert. Hat das noch etwas mit der Sage von Lohengrin zu tun?
Nö, aber es ist durchaus ein spannender Ansatz! Ende des ersten Aktes.
Zum zweiten Akt wurde die scheußliche Holzwand vor der Treppe entfernt – daher die viel zu lange fast 35-minütige Pause. Immer noch schwebt dieser hässliche große Beleuchtungsring, der aussieht wie ein riesiger Kochtopfdeckel (innen illuminiert) über der Szene – der Sinn wird sich erst im dritten Akt erschließen. Nein, es ist kein Ufo! flüstere ich meinem fragenden Nachbarn ins Ohr. Obwohl…?
Nun hätten wir fast Elsa (die wunderbar singende und überzeugend agierende Manuela Uhl) vergessen, die im ersten Akt als von mehreren Krankenschwestern begleitetes delierendes tablettenabhängiges Wesen herumstolperte und beim kritischen Zuschauer diverse Fragen evozierte:
– Wer steht von den Kerlen in irgendeiner Beziehung zu dieser obskuren Elsa?
– Warum wurde sie drogenabhängig?
– Was macht überhaupt ein Weib in der leitenden Personal-Abteilung einer Bank?
– Was macht die zweite Frau (jene Ortrud) eben dort?
Aus der Langeweile des zweiten Aktes, wo Text (dankenswerter Weise übertitelt) und Handlung nun völlig auseinanderdriften, seien zwei immerhin ganz imposante Einfälle zitiert. So lässt sich Telramund nicht sofort von seiner dominanten Herrenfrau aus der Vorstandsetage zum Verrat überreden – er zögert erkennbar ihr zu folgen , öffnet seinen Geldkoffer, wühlt in den Millionen und grübelt. Wir erraten seine Gedanken: Soviel Geld! Was für ein schönes problemloses Leben könnte ich führen. Ist der Ruf auch ruiniert… Doch er ist zu abhängig von seiner Frau Ortrud und ihrem Zauberwahn – immerhin ein schönes Intermezzo; steht zwar nicht so bei Wagner, ist aber im Gesamtkonzept dieser Modernisierung in diesem Moment glaubwürdig.
Auch löst Sabine Hartmannshenn endlich das Rätsel, welches wir Wagnerianer seit Anno Dunnemal mit uns herumschleppen, nämlich: Wie blöd und dusselig ist eigentlich diese blonde Elsa, dass sie ihre Erzfeindin dann doch noch zu sich wieder einlädt? Die Lösung ist wieder so genial wie einfach und überzeugend: Sie ist Ortrud in heimlicher lesbischer Liebe verbunden, sagt jedenfalls die Regisseurin. Mich hat das überzeugt. Ja, so sind die Weiber; erst schwören sie Treue (im ersten Akt) und schon im Zweiten…
Gesegnet sollt ihr schreien…
Vielleicht klingt der Chor auf dem ersten bis dritten Balkon für Zentralsitzende besser; nun habe ich mir den Außenplatz 13. Reihe freiwillig gewählt, aber alles, was über die wirklich vorbildliche Intonation der mittleren und leisen Töne hinausging, klang schrecklich in meinen sensiblen Ohren, wenn es laut wurde. Dass die Regie später den so wichtigen Chor auch noch ins Off verbannt, ist natürlich unverzeihlich.
Der dritte Akt ist in wenigen Worten abgehandelt, denn es passiert nichts Signifikantes mehr. Kleinere Bühnenbild-Retuschen: Das Bankambiente wird mit einem riesigen – an billige Duschvorhänge erinnernden – hellblauen Vorhang verdeckt und das Rätsel des Ufo-Rings wird gelöst: Man brauchte ihn für einen zweiten kreisrunden Vorhang für das Brautbett, welches nun überraschend am Ende der Elendstreppe thront. Der einbrechende Friedrich wird von Elsa mit der Champus-Flasche erschlagen und das war’s dann …
Kein Wunder mehr, nicht einmal die kleinste Erscheinung. Lohengrin verschwindet unauffällig. Irgendwo zischt es laut und nervend, als wäre ein Hydraulikschlauch gebrochen. Zu sehen ist nichts. Wo ist Gottlieb? "Seht da den Herzog von Brabant! Zum Führer sei er euch ernannt!" Das Publikum ist ratlos. Wir haben ihn auch auf dem Heimweg nicht gefunden …
Peter Bilsing 19.1.2014 Bilder: Deutsche Oper am Rhein / Hans Jörg Michel