Premiere: 08.10.2018, besuchte Vorstellung: 02.11.2018
Boulevard-Theater mit ein bisschen Gesang
Lieber Opernfreund-Freund,
„In Paris gehörte Fra Diavolo bis ins 20. Jahrhundert hinein zu den erfolgreichsten Opern und auch in Deutschland zählte sie lange Zeit zum festen Repertoire“ lässt der Flyer im Foyer des Erfurter Theaters mit seinen klaren Strukturen wissen. Nach dem Besuch der unter der Federführung von Hendrik Müller in Erfurt zusammen geschusterten Produktion kann ich mir das – mit Verlaub – so gar nicht vorstellen.
Dabei bietet die Story durchaus Ansätze für einen kurzweiligen Opernabend: Der berüchtigte Räuber Fra Diavolo macht mit seiner Bande die Gegend um Terracina unsicher und überfällt das englische Ehepaar Kookburn, das auf dem Weg in die Flitterwochen ist. Die kommen völlig ohne Schmuck und Gepäck in ihrem Gasthof an, haben aber ihr Bargeld in den Kleidern, die sie tragen, versteckt. Wirtstochter Zerlina ist in den mittellosen Offizier Lorenzo verliebt, soll aber anderweitig verheiratet werden. Lorenzo macht sich daran, Fra Diavolo zu finden und dingfest zu machen, um die von den Kookburns ausgelobte Belohnung zu kassieren und sich so Zerlinas doch noch würdig zu erweisen. Dabei ahnt er nicht, dass der Räuberhauptmann als Marquis getarnt im Gasthof eingecheckt hat. Nach allerlei Tohuwabohu wird Fra Diavolo enttarnt, Lorenzo entlohnt und Zerlinas Vater Matteo ist dermaßen von Lorenzos Mut begeistert, dass einem Happy End für das Liebespaar nichts mehr im Wege steht.
Das klingt nach einer Räuberpistole voller Potenzial und Regisseur Hendrik Müller verfolgt durchaus einen nachvollziehbaren Ansatz. In die Filmwelt der 50er Jahre will er uns entführen, bespielt die langweilige Ouvertüre, einen zähen, nicht enden wollenden Marsch, mit einem Filmintro und zitiert im Laufe des Abends zahlreiche Klassiker des deutschen Films wie Das Wirtshaus im Spessart, Im weißen Rößl oder Nonnen auf der Flucht. Die Produktion krankt allerdings an der hölzernen deutschen Originalübersetzung und den eigenen Texten aus der Feder Müllers, die vor kraftmeierischen Ausdrücken strotzen, sich in teils schwer verständlichem und darüber hinaus wenig witzigem Denglisch ergießen und von denen ich mir ein wenig mehr feinsinnigen Humor gewünscht hätte. So gerät der Abend zum Slapstick samt stetem Auf- und wieder Zuschlagen von Türen (das geht in der imposanten Hotelhalle, die Marc Weeger gebaut hat, sehr gut), auf die Bühne kotzenden Offizieren (die das Erbrochene dann auch aufzuwischen haben) und Frau Antje und Meister Propper als Reklamefiguren. Esprit findet sich allenfalls unter den Vornamen des Komponisten. Das hat mit Oper wenig zu tun und ist höchstens Boulevard-Theater eher unteren Niveaus mit ein bisschen Gesang.
Und der ist obendrein nicht einmal immer gut. Zwar macht Silke Willrett, die für die durch die Bank hinreißenden Kostüme verantwortlich zeichnet, die Titelfigur optisch zu einer Mischung aus Meat Loaf und Bobby Flitter (Sie erinnern sich an das Glitzermännlein aus Michael Schanzes „Flitterabend“?), rein stimmlich allerdings hat Alexander Voigt dessen Volumen nicht, streut zwar durchaus eindrucksvoll klingende Passagen ein, scheint aber mitunter fast überfordert trotz seines an sich kraftvollen Tenors. Katja Bildt singt die Pamela Kookburn wie eine Schlagersängerin, die ab und an ein paar opernhafte Töne beimischt, so dass ihr klangschöner Mezzo nur in den Ensembles herausragend klingt und gefällt. Das gelingt ihrem Bühnengatten Juri Batukov bereits nicht mehr, der nur noch eine Art Sprechgesang präsentiert. Die beiden Kammersänger Jörg Rathmann und Máté Sólyom-Nagy singen zwar vorzüglich, das geht aber im platten Spiel unter, zu dem die Regie sie als Beppo und Giacomo verdonnert hat.
Doch es war nicht alles schlecht. Caleb Yoo verfügt als Wirt Matteo über einen eindrucksvoll klingenden Bariton, dem ich eine größere Partie gewünscht hätte. Der junge Julian Freibott imponiert als Lorenzo mir mit seiner feinen Höhe, seinem klaren Timbre und seinem nuanciert-gefühlsbetonten Gesang und Ensembleneuzugang Leonor Amaral kann als Zerlina begeistern. Die junge Portugiesin legt viel Herz in ihre Interpretation der Wirtstochter, verfügt über einen farbenreichen Sopran, der vor Beweglichkeit nur so strotzt, nie angestrengt klingt und so mit einer unvergleichlichen Leichtigkeit und hoher Emotionalität überzeugt. Der aus Malaysia stammende Dirigent Harish Shankar ist für mich mit Leonor Amaral der Star des Abends, schlägt im Graben mitunter sportliche Tempi an, holt so zusammen mit den Musikerinnen und Musikern alles aus Aubers Partitur heraus und empfiehlt sich für größere Aufgaben. Es ist also der so genannte Nachwuchs, der diesen Abend irgendwie rettet, der ansonsten allenfalls etwas für Liebhaber von Millowitsch-Theater und Mario Barth ist – halt eben nur auf Hochdeutsch mit englischen Einsprengseln.
Unbedingt erwähnt sei noch der Pianist Ralph Neubert, dessen einfühlsames Klavierspiel die Sprechpassagen gekonnt untermalt. Dabei schlägt er einmal Richard Claydermans Ballade pour Adeline an – und fasst damit das seichte Niveau des Abends treffend zusammen.
Ihr Jochen Rüth 03.11.2018
Die Fotos stammen von Lutz Edelhoff.