Premiere am 17.10.15
Tragischer Held im Wandel der Jahreszeiten
Lieber Opernfreund-Freund,
gestern hatte im mittelsächsichen Freiberg, im ältesten Stadttheater Welt, Jules Massenets "Don Quichotte" Premiere. Die Opernversion des Stoffes von Miguel de Cervantes aus dem frühen 17. Jahrhundert – gemäß einer Umfrage des Osloer Nobelinstituts immerhin das "beste Buch der Welt" – beschränkt sich auf Don Quijotes Beziehung zur hinreißenden Dulcinea, die er im Gegensatz zum Roman auch zu Gesicht bekommt und der er im Laufe der Geschichte ihr geraubtes Perlencollier zurück bringt. Von den Abenteuern, die der Ritter von der traurigen Gestalt zusammen mit seinem Knappen Sancho Panza im Roman erlebt, hat lediglich der Kampf gegen die Windmühlen, die er für Riesen hält, Einzug in die Oper gefunden und bildet das Finale des zweiten Aktes.
Mit der szenischen Umetzung hat man Kristina Wuss betraut, die die tragigkomische Geschichte mehr oder weniger als eine Art Reise durch die Jahreszeiten erzählt. Auf der kleinen Freiberger Bühne hat Tilo Staudte, der auch für die mit großer Liebe zum Detail gestalteten Kostüme verantwortlich zeichnet, Handschriften von Cervantes auf Wände gezogen, Gemälde aus dem 19. Jahrhundert bilden den Hintergrund für die Szenerie, in dem Cervantes selbst und Leser des Romans aus dem 17. Jahrhundert als stumme Rollen auftreten und somit den Rahmen für die Erzählung bilden. Leider hält die Regisseurin diesen doch recht traditionellen Ansatz nicht stringent durch und streut moderne Requisiten ein. Eine herumliegende Computertastatur, ein Doppeldeckerflugzeug im Rundflug und die Darstellung der Räuberbande als US-amerikanische Cowboys sind aber weder besonders originell noch sinnstiftend und bleiben deshalb bloße Regiemätzchen. Nicht zuletzt wegen des wunderbar variantenreichen und stimmungsvollen Lichtes von John Gilmore gelingen aber bewegende und anrührende Bilder, die am Ende eine gelungene szenische Umsetzung von Massenets Oper möglich machen.
Die von Don Quijote umworbene Dulcinea, die für sein Werben nur Spott übrig hat, wird von der Tschechin Barbora Fritscher überzeugend dargestellt. Sie verfügt über eine enorme Bühnenpräsenz, ihr farbenreicher, warmer Mezzo drückt Verträumtheit und Verzweiflung ebenso aus wie überbordende Lebensfreude. Sergio Raonic Lukovic, der die Titelrolle übernommen hat, wartet da mit weniger Facettenreichtum auf, verfügt aber über einen weichen Bassbariton. Da kommt ihm die Partitur zugute, die getragenen und melancholische Melodienbögen, mit der Massenet seinen Helden über weiter Strecken versorgt, gelingen ihm wunderbar. Sein getreuer Gefolgsmann Sancho Panza findet in Guido Kunze einen idealen Darsteller. In der Rolle kann er mit seinem weichen lyrischen Bariton sein komödiantisches Talent voll ausleben. In den beiden letzten Akten gelingen ihm anrührende Szenen, da auf Deutsch gesungen wird, ist zudem seine außergewöhnliche Textverständlichkeit hervorzuheben. Über die verfügt auch Ensembleneuzugang Derek Rue. Der schlanke Tenor des jungen Amerikaners passt gut zum Banditen und bildet einen schönen Gegenpol zur reiferen Stimme von Jens Winkelmann, der den Räuberhauptmann darstellt.
Susanne Engelhardt und Lindsay Funchal ergänzen als Ducineas Kavaliere mit großer Spielfreude das Ensemble. Der kleine Freiberger Chor (Einstudierung:Alexander Livenson) schlägt sich wacker, vor allem die Herren vermögen zu überzeugen. Und jetzt wird dann doch ein wenig gemäkelt: das Tanzterzett (Choreografie: Martina Morasso), bestehend aus Gabriela Kluck, Michelle Chantal Schulze und Laura Sterba ist über weite Strecken doch recht asynchron und bietet auch wegen der uneinheitlichen Kostümwahl kein wirklich harmonisches Bild. Vom Gitarristen Peter Scheitz, der Dulcineas Arie im vierten Akt untermalt, wünscht man sich ein wenig mehr Leidenschaft.
Nichts zu beanstanden gibt es am Dirigat von GMD Raoul Grüneis. Das Werk klingt über weite Strecken recht französisch, dennoch gibt es immer weder spanisch folkloristische Ansätze in der Partitur. Der mittelsächsischen Philharmonie gelingt beides unter seiner einfühlsamen Führung außerordentlich gut – abgesehen von ein, zwei Kieksern im Holz. Die Musiker fühlen sich in den orchestralen Solopassagen ebenso wohl, wie in der Rolle des die Sänger begleitenden und unterstützenden Ensembles.
Das kleine Freiberger Haus ist am Premierenabend leider nicht voll besetzt, die Zuschauer applaudieren allen Beteiligten umso mehr. Da bleibt dem Theater zu wünschen, dass das mittelsächsische Publikum erkennt, was für eine tolle Leistung ihr Theater da allein mit Ensemblekräften abgeliefert hat, auch und gerade abseits der gewohnten Repertoirepfade, die sich anzuschauen lohnt.
Von mir gibt’s in jedem Fall eine unbedingte Besuchsempfehlung.
Ihr
Jochen Rüth aus Köln 18.10.15
Die Fotos stammen von André Braun