Premiere: 11. Mai 2019
Der legendäre Rheingold Express (c) DB
Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier steht jetzt schon seit 1959, einen kompletten „Ring des Nibelungen“ hat es hier aber noch nie gegeben. Ende der 80er Jahre wollte der damalige Intendant Matthias Weigmann einen „Ring“ von Regielegende Herbert Wernicke inszenieren lassen, doch der Intendant scheiterte nach zwei Spielzeiten an den Finanzen. Wernicke brachte seinen „Ring“ dann in Brüssel und Frankfurt heraus.
Auch der aktuelle Intendant Michael Schulz inszeniert „Das Rheingold“ jetzt bloß als Einzelstück, weil er ansonsten eine „Ring“-Inflation befürchtet: Dietrich Hilsdorf hat an der Deutschen Oper am Rhein seine Produktion gerade abgeschlossen, und Peter Konwitschny steht in Dortmund in den Startlöchern.
Die Gelsenkirchener Produktion ist kein Remake der Weimarer Inszenierung, die Schulz 2006 im Rahmen eines kompletten Zyklus herausbrachte. Seine Inszenierung spielt im legendären „Rheingold Express“, der bis 1987 die Strecke Amsterdam-Basel befuhr und hier von der Bühnenbildnerin Heike Scheele rekonstruiert wird. Die Idee hört sich auf den ersten Blick mutig und originell an, weist dann aber viele Schwachstellen auf.
Im ersten Bild machen Projektionen deutlich, dass der Zug nicht am Rhein entlangfährt, sondern sich unter Wasser befindet. Die Vermischung des hyperrealistischen Zug-Szenarios mit Märchenelementen wie den Rheintöchtern, die hinter der Bar des Speisewagens auftauchen und dann ebenso wie Alberich bei voller Fahrt aus dem Fenster springen, um dann gleich wieder durch den Gang zu spazieren, macht diese Szene unglaubwürdig.
Den Alberich singt Urban Malmberg mit geschmeidigem Bariton, den er manchmal machomäßig steigert. Die Textverständlichkeit lässt bei ihm aber zu wünschen übrig. Die Rheintöchter sind mit Bele Kumberger, Lina Hoffmann und Boshana Milkov stark besetzt, wobei sich in den chorischen Szenen einige Ungenauigkeiten in der Intonation ergeben.
In der zweiten Szene befindet sich der Zug im Bahnhof „Walhall“: Wotan ist ein Konzernboss, der im Luxusabteil reist, Donner und Froh sind seine Leibwächter und Freia eine blondierte Luxusdiva. Optisch beeindruckend gelingt der Auftritt der Riesen, die als Videoprojektion in den Oberlichtern über dem Abteil zu sehen sind. Dann wird aber klar, dass dieser Effekt total verschenkt wird, denn hier wird ein vorbereitetes Video abgespielt, in dem die riesigen Riesen nur herumstehen und nicht die Lippen bewegen, während die Stimmen aus dem Off ertönen. Mit Live-Übertragung aus der Bluebox könnte dieser Effekt seine Wirkung entfalten, zumal die Riesen dann beim Auftreten Loges leibhaftig erscheinen und der ganze Effekt verpufft.
Bastiaan Everink singt den Wotan mit großer runder Stimme, bleibt aber trotz guten Gesanges eindimensional, während Almuth Herbst als Fricka gewitzte Dialoge liefert. Einen großartigen Loge singt Cornel Frey, der die Partie mit lyrischem Schmelz und großer Intelligenz ausstattet.
Piotr Prochera gibt einen so starken Donner, dass man sich fragt, ob er nicht besser den Alberich hätte übernehmen sollen? Den Froh singt Khanyiso Gwenxane mit schönem, aber etwas engem Tenor. Petra Schmidt als Freia bleibt unverständlich und blass. Die Riesen wirken hier nicht so gefährlich, wie man sonst gewohnt ist: Für Joachim Gabriel Maaß, der sonst ein zuverlässiger Bass ist, liegt der Fasolt zu hoch. Michael Heine, der am Haus zuverlässige Rollenporträts im französischen und russischen Fach bietet, artikuliert abseits vom Sinn des Textes.
Ab dem 3. Bild fährt der Rheingold-Express auf das Abstellgleis und spielt keine Rolle mehr. Trauen Schulz und sein Team dem eigenen Konzept nicht mehr, das vorher auch nur halbherzig umgesetzt wird? Warum spielt die erste Szene nicht am Loreleyfelsen, das zweite Bild nicht vor den Burgen des Rheintals, die Nibelheimszene nicht vor den Hochöfen und Fördertürmen des Ruhrgebiets? Eine reale geographische Verortung mit den Orten des historischen Zuges hätte der Inszenierung gutgetan.
Im 3. Bild wechselt die Produktion dann aber in ein Bergwerk, wie man es in jeder Klischee-Produktion des Stückes zu sehen bekommt. Wurden Projektionen vorher großgeschrieben, so wird der Drache nur als herumkriechende Metallrohre dargestellt. Zum Einzug der Götter nach Walhall wird für eine Minute ein riesiger Kubus mit der Leuchtschrift „MYTHOS“ hereingeschoben. Da fragt man sich, was dieser kurze Effekt gekostet hat?
Ein großes Lob verdienen noch Tobias Glagau für sein knappes, aber treffsicheres Porträt des Mime und Almuth Herbst, die neben der Fricka auch noch die Erda singt. Diese nimmt hier von Frickas Körper Besitz und verwandelt diese mit Augenklappe, Speer und Mantel in einen weiblichen Wotan. Herbst singt das mit groß strömendem Mezzo.
Ist Wagner an anderen Häusern Chefsache, so überlässt in Gelsenkirchen GMD Rasmus Baumann das Stück nun dem 1. Kapellmeister Giuliano Betta. Der dirigiert das Stück eher lyrisch, zerdehnt aber vor allem die Szenen der Riesen, sodass die Aufführung 150 Minuten dauert. Besonders die Hörner und Trompeten der Neuen Philharmonie Westfalen haben mit der Wagner-Partitur ihre Mühen.
Sängerisch erlebt man in Gelsenkirchen eine solide bis starke Aufführung, das Konzept „Rheingold im Rheingold-Express“ ist aber nur halbherzig und inkonsequent umgesetzt.
Rudolf Hermes 12.5.2019
Fotos (c) Karl und Monika Forster