Premiere 29.2.2020
Am 29. Februar konnten die Mitglieder des Theater Hagen wieder einmal eine Premiere auf die Bühne bringen, auf die sie stolz sein können. Glucks Orfeo ed Euridice gilt als erste „Reformoper“. Entsprechend minimalistisch kommt das Werk ohne Prunk und Schnörkel aus.
In der Handlung geht es um das junge Paar Orpheus und Eurydike, sie stirbt, er trauert so sehr, daß er mit seinen Liedern die Götter erweichen kann, seine Geliebte aus dem Totenreich zurück zu holen. Bedingung ist, er darf sich die ganze Zeit nicht nach ihr umdrehen, er darf ihr nicht den Grund für seine Handlungsweise erklären. Sie zweifelt aufgrund dessen an seiner echten Liebe und will nicht mit ihm zurück zu den Lebenden kommen. Daraufhin dreht er sich in tiefster Verzweiflung dennoch um und Eurydike stirbt ein zweites Mal. Orpheus will daraufhin ebenfalls sterben, er sieht keinen Sinn in einem Leben ohne sie. Aber Amor hat Mitleid, erkennt Orpheus aufrichtige Liebe und erweckt die junge Frau erneut zum Leben. Happy End.
Kerstin Steeb, die zum ersten Mal in Hagen Regie führt, legt das Stück ein wenig anders aus. Bei ihr ist Eurydike eine Frau, die aufgrund einer Erkrankung selbstbestimmt in den Tod geht, Orpheus ist dabei anwesend und man sieht seinen Kampf mit der Verzweiflung seine Frau gehen lassen zu müssen. Mehrmals unterbricht er den Prozeß, indem er ein Kabel trennt und dann doch wieder zusammen fügt, bis am Schluß dieser Phase sie selbst ein letztes Mal das Kabel verbindet. Diese Handlung findet bereits vor Beginn der eigentlichen Oper vor dem geschlossenen Vorhang statt, die Türen zum Zuschauerraum sind noch geöffnet und der Saal ist noch hell. Immer wieder spricht sie in ein Mikrofon die Sätze, „nicht die Kontrolle verlieren“ und „das ist mein Anfang, das ist mein Ende“. Das Mikro als Verdeutlichung der Sterbehilfe, sie selbst entscheidet, wann sie geht und damit beginnt die eigentliche Oper, Eurydike geht allein hinein ins Reich der Toten und übergibt ihren Körper den Schatten. Am Schluß wird sich Orfeo hier, obwohl er seine Euridice erneut zurück bekommt, mit dem Alleinsein abfinden müssen, denn sie entscheidet sich dafür, zurück zu den Schatten zu gehen.
So gibt es bei ihr nicht die Geschlechternorm männlich/weiblich. Ihre Figuren sind allesamt genderneutral. Sowohl die Solopartien, als auch Chor und Ballett sind uniform und unisex gekleidet, umgesetzt von Lorena Díaz Stephens und Jan Hendrik Neidert, denen es gelungen ist, eine schwarz-weiße Kostümpracht zu entwerfen, die perfekt mit dem Bühnenbild harmoniert, welches einen Tunnel mit einem hellen Licht am Ende zeigt. Dies soll die Erfahrung mit dem Nahtod darstellen. Anspruchsvoller Minimalismus auf hohem Niveau. Die einzige Ausnahme stellt Amor/e dar. Amor ist kein Gott, sondern eine Frau aus dem Publikum, Amor/e ist die Liebe und die Liebe ist hier weiblich, nicht enden wollend, mit ein bißchen kitschigem Glitzerstaub und süß wie ein Bonbon. Deutlich gemacht durch einen Babybauch, einen Bleistiftrock und einen pinken Pullover, der einzige Farbklecks des Abends.
Für die Rolle des Orfeo konnte die Oper Hagen die junge Mezzosopranistin Anna-Doris Capitelli verpflichten, die zur Zeit an der Accademia Teatro alla Scala in Mailand engagiert ist. Sie sang die Partie mit einer Ausdrucksstärke und Empathie, welches die Zuschauer die Trauer und das Leid um den Verlust des geliebten Menschen mitleiden ließ. Wohl kaum einen ließ das „Che farò senza Euridice…“ kalt.
Angela Davis, die als festes Ensemblemitglied immer wieder mit ihrer kraftvollen, virtuosen Stimme in vielen Rollen begeistert, war als Eurydike eine Glanzbesetzung, auch hier gilt, das konnte niemanden unberührt lassen.
Christina Piccardi als Amore, sang und spielte die kleine Rolle mit Komik und sorgte mehrfach für Geschmunzel im Saal.
Der Chor (Leitung Wolfgang Müller-Sadow) hatte am heutigen Abend nicht nur gesanglich, sondern auch choreografisch einiges zu leisten und zu bieten, was auch in gewohnter Weise hervorragend gelang. Es blieben keine Erwartungen unerfüllt. Aus dem Ballettensemble wirken bei jeder Vorstellung acht Tänzern mit. Die Choreografie wurde von Mitgliedern der Compagnie und dem Trainingsmeister Francesco Vecchione gemeinsam erarbeitet. Eine kraftvolle, moderne, tänzerische Darbietung. Chor und Ballett verschmolzen zu einer Gruppe, deren Sogwirkung man sich nicht entziehen konnte. Sie verkörpern die Trauergemeinde, die Götter, die Furien.
Auch das Philharmonische Orchester Hagen unter dem Dirigat von Steffen Müller-Gabriel ließ keine Wünsche offen. Unter seiner Führung war die Musik in ihren vielen Varianten ein zusätzlicher Genuß.
Glucks Oper ist eine Perle der Opernkultur und diese Perle hat am heutigen Abend ihren vollen Glanz entfalten dürfen. Die Hagener zeigen wieder einmal, auch kleinere Häuser machen großartige Kunst. Nachdem der letzte Ton verklungen war durften sich die Künstler auf der Bühne mehr als verdient in einem Applaus baden, der mehr als 10 Minuten andauerte und diverse Vorhänge erforderte.
Fotos @ Klaus Lefebvre
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN