Premiere am 7.2.15
Lieber Opernfreund-Freund,
heute schreibe ich Ihnen aus dem schönen Tirol, wo gestern am hiesigen Landestheater „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea Premiere hatte. Das Werk ist eine meiner absoluten Lieblingsopern. Die wunderbaren Melodien, tollen Kantilenen, Arien und Duette sind bewegendste Musik und die Geschichte basiert – trotz ihres wahrlich opernhaften Schlusses – auf einer wahren Begebenheit. Die französische Schauspielerin Adrienne Lecouvreur lebte von 1692 und 1730 und begeisterte das Pariser Publikum durch einen neuen, natürlicheren Deklamationsstil – und nicht nur das, sondern dem Vernehmen nach auch Hermann Moritz Graf von Sachsen, unehelicher Sohn von August dem Starken und Kriegsheld sowie einer der begehrtesten Junggesellen seiner Zeit. Das plötzliche wie vorzeitige Ableben des Bühnenstars gab schon bald Anlass zu Spekulationen, zumal Moritz nicht gerade des Ruf eines treuen Liebhabers genoss, und man vermutete, dass eine der anderen Gespielinnen hier ihre Finger im Spiel haben könnte… Dieses Histörchen inspirierte Mitte des 19. Jahrhunderts Eugène Scribe und Ernest-Wilfried Legouvé zu einem Theaterstück, das den gleichen Namen trug wie die unglückliche Schauspielerin und in dem die Fürstin de Bouillon, Nebenbuhlerin der schönen Schauspielerin, als Giftmischerin ausgemacht wurde, die ihr einen vergifteten Veilchenstrauß schicken lässt. Die Handlung wurde um politische Intrige und die Figur des Theaterleiters Michonnet ergänzt, der Adrienne heimlich liebt, dann aber seine Gefühle hinter ihrem (vermeintlichen) Glück zurückstellt. Francisco Cilea vertonte dies wiederum 50 Jahre später, nachdem Arturo Colautti den Stoff in ein Libretto gegosssen hatte. Die Oper „Adriana Lecouvreur“ hatte 1902 in Mailand mit Enrico Caruso in der Rolle des Liebhabers Maurizio Premiere. In den 1980er und 90er Jahren war die „Adriana“ eine Rolle, die Montserrat Caballé oder Renata Scotto gerne und oft gesungen haben.
Zur Umsetzung des Werkes hat man in Innsbruck Bruno Klimek engagiert. Dessen Krefelder „Aida“ hat mich vor einigen Jahren noch einigermaßen begeistert. Was er aber aus Cileas wunderbarem Werk gemacht hat, lässt mich dann heute doch szenisch enttäuscht nach Köln zurück fahren. Das Einheitsbühnenbild besteht im Wesentlichen aus einem Podest, das die Bühne einnimmt, rechts und links sind Wände, die durch jeweils fünf Durchgänge unterbrochen sind, im Hintergrund ist eine Art überdimensionales Fenster zu sehen. Ausstattung gibt es keine – bis auf einen überdimensionalen Kronleuchter in Akt drei, der am Ende des zweiten Aktes effektvoll im Bild platziert wird. Verstärkt wird die szenische Ödnis durch die trostlose Personenregie. Es kommt kaum zu Interaktion, jede(r) singt und spielt für sich allein – gerne vorne an der Rampe und dem Publikum zugewandt, denn steht man kaum drei Meter weiter hinten, ist man wegen des offenen Bühnenaufbaus schwer zu hören. Die Personen handeln beinahe autistisch, nicht einmal in Liebesduetten oder in der Sterbeszene kommt es zu Berührungen. So verpuffen die Innigkeit, die das Libretto und vor allem Cileas Musik zeichnen, ebenso wie die durchaus komödiantischen Momente vor allem im ersten Akt. Michonnet ist als Beobachter der Szenerie omnipräsent – das Ganze ist wohl als eine Art Erinnerung zu deuten – trägt einen dunklen Anzug. Dunkle Farben tragen überhaupt alle außer den vier Mitgliedern der Comédie-Francaise, die in bunte Rollenkostüme gehüllt sind, und natürlich Adriana, die – wie solls auch anders sein – nur weiß gewandet ist (detailreiche Kostüme: Michael D. Zimmermann). Einziger Farbtupfer ist also auf weiten Strecken der lilafarbene Veilchenstrauß, der zweifelsohne eine wichtige Rolle für die Handlung spielt – allerdings trägt diese Schwarzweißmalerei als Regiekonzept keinen kompletten Opernabend. Das hätte man besser machen können.
Besser gemacht habens die Sänger. Allen voran die junge Russin Karina Flores in der Titelrolle. Sie verfügt über eine weiche Mittellage, nicht zu scharfe Höhe und ein unbeschreibliches messa di voce, wie ich es lange nicht mehr gehört habe. Von der Regie bzgl. der Schauspielerei stark eingeschränkt, vermag sie zumindest mit ausdrucksstarker Mimik zu überzeugen. Ihr zu Seite steht (im wahrsten Sinne des Wortes) Paulo Ferreira. Der ist in Innsbruck ein alter Bekannter, sang hier u.a. schon den Hagenbach in der „Wally“ oder jüngt den Sänger im „Rosenkavalier“ und macht im feschen Anzug mit Dandy-Halstuch eine gute Figur. Er verfügt über eine gut anspringende Höhe, wie die Rolle sie verlangt (neben Caruso waren auch Franco Corelli und Placido Domingo immer wieder gerne „Maurizio“), interpretiert kraftvoll und sicher – lediglich im dritten Akt mit ein wenig zu viel Druck –, singt mit dem nötigen tenoralen Schmelz – vielleicht nicht jedermanns Sache – und findet zu berührendem Piano im letzten Akt. Susan Maclean gibt die von Eifersucht zerfressene und auf Rache sinnende Fürstin mit voluminösem Mezzo – bei der Auftrittsarie drückt es einem regelrecht in den Sessel – und facettenreichen Ausdruck. Ebenso überzeugend tritt Michael Bachtadze als Michonnet auf. Sein farbenreicher Bariton passt wunderbar zum Regisseur, der zwischen väterlicher Liebe und Liebeskummer schwankt. Ihm gelingt – wegen auch wegen des ver-inszenierten Finales – zu Beginn des vierten Aktes der anrührendste Moment des Abends. Joshua Lindsay ist ein frecher Abbé, Andreas Mattersberger singt den Fürsten von Bouillon mit mächtigem Bass. Als Andrianas Schauspielerkollegen ergänzen Susanne Langbein mit hellem Sopran, Marija Jokovic, Florian Stern und Johannes Wimmer das Ensemble vortrefflich.
Der ohnehin kurze Chorauftritt ist zu etwa der Hälfte den Strichen im dritten Akt zum Opfer gefallen. Die wenigen verbliebenen Takte werden sicher vorgetragen (Einstudierung: Michel Roberge), unterstützt von einer seltsamen, an Madonnas „Vogue“ aus dem Jahr 1990 erinnernden Choreografie.
Francesco Angelico führt das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck sicher durch die Partitur, präsentiert gelungen Tempi- und Farbenwechsel, übertönt aber gerade in den ruhigen Momenten gerne einmal das Sängerensemble.
Das Premierenpublikum im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Haus spendet artig Beifall und bejubelt vor allem die Sänger – durchaus zu Recht.
Mein Fazit aus Innsbruck: Augen zu und durch! Was da gegen die Musik inszeniert wurde – vor allem im vierten Akt, wird dem Werk leider nicht gerecht. Zuviele Chancen bleiben ungenutzt – und das ist schade, gibt’s doch die „Adriana“ nicht gerade an jeder Ecke. Das akkustisch Dargebotene überzeugt dafür um so mehr!
Liebe Grüße von
Jochen Rüth aus Köln 9.2.15