Karlsruhe: „Elektra“

Besuchte Vorstellung am 19. April 2019

In seiner aktuellen Inszenierung der „Elektra“ von Richard Strauss am Badischen Staatstheater Karlsruhe erzählt Regisseur Keith Warner die Geschichte einer kaputten Familie. Dazu spielt Warner mit unterschiedlichen Zeitebenen und vermischt Antike und Gegenwart. Als Schauplatz hat ihm dazu Bühnenbildner Boris Kudlicka einen gewaltigen Museumsraum auf die Bühne gebaut. Der Bühnenraum ist bereits geöffnet, wenn der Zuschauer den Saal, das Museum betritt. Eine Antikenausstellung ist im Gange. Museumsbesucher betrachten die Objekte. Unter ihnen eine junge Frau, die sich im Museum einschließen lässt. Allein diese stumme Szene ist sehr schlüssig und spannend inszeniert. Bekannte Personen mischen sich unter die Besucher…..

Da beginnt mit dem Agamemnon-Motiv die Oper. Die Besucherin wird zu Elektra. Aus Traum wird Wirklichkeit…..Sie betrachtet sich sodann einen Film, der eine Opferszene zeigt, die Szene der Mägde, deren Stimmen zunächst nur aus dem Off zu hören sind. Dann betreten diese die Bühne. Im weiteren Verlauf der Handlung bedienen sich die Protagonisten der Ausstellungsobjekte und verwandeln sich so in antik anmutende Gestalten.

Elektra ist eine völlig gebrochene Frau, die nur ihrer Rache entgegen fiebert, eine Gezeichnete. Negativität und Düsternis gehen von ihr aus. Und doch ist ihre große Verletzlichkeit jederzeit spürbar.

Was war da geschehen? Warner deutet in der Begegnung mit dem Bruder Orest an, dass da auch ein inzestuöses Bündnis die Geschwister verband.

Unheimlich der Auftritt ihrer Mutter Klytämnestra, die wie ein lebendiger Geist aus der Vitrine tritt. Auch sie ist eine Gefallene, die Zuflucht im Alkohol fand. Sehr drastisch wird sie dann vom eigenen Sohn ins Jenseits befördert. Zwei harte Schläge genügen und ihr Kopf fällt……

Chrysothemis wird als Lichtgestalt gezeichnet, die am Ende doch zu schwach bleibt, eine Wende einzuleiten. Am liebsten zieht sie sich in ihre heile Welt des Kinderzimmers nebst Teddy zurück. Orest agiert als finsterer Herrenmensch, dem die Wiederbegegnung mit Elektra schier die Fassung raubt. Aegisth wirkt eher ungewöhnlich stark und gibt einen fordernden Charakter.

Keith Warner zeigt großes Geschick in der spannenden Personenführung. Sehr genau hat er in die Partitur hineingeschaut und offenbart dem Zuschauer viele neue Einblicke. Hier war ein Könner am Werk, der virtuos mit dem gigantischen Bühnenbild spielt, welches sich immer wieder verändert und so neue Handlungsräume eröffnet. Dazu ein immer wieder stimmungsvolles Licht (John Bishop) und Rollencharaktere, die aufs Beste miteinander interagieren. Ein packender Horror-Thriller, gekonnt und atemberaubend inszeniert.

Musikalisch ist der Abend am Staatstheater auf ausgezeichnetem Niveau. In der Titelpartie zeigt Rachel Nicholls eine völlig stimmsichere Bewältigung ihrer Rolle. Die schlanke Stimme kennt keine Mühe in der Höhe oder in der Durchschlagskraft. Unermüdlich, ohne jegliches Forcieren, verkörperte sie eine Elektra, wie sie heute selten sein dürfte. Die hohen C‘s kamen topsicher und dazu immer wieder feinste Lyrismen. Ihre Ausdauer war grenzenlos und bescherte dem Publikum die sehr seltene Gelegenheit, das Duett mit Orest, ohne den üblichen Strich zu hören. Lediglich auftretende Vokalverfärbungen beeinträchtigten etwas ihren Gesang. Darstellerisch agierte sie mit Hingabe und großer Natürlichkeit.

Anna Gabler war mit hellem,kompakten Sopran ein guter Kontrast. Mit viel Emphase und Unbedingtheit identifizierte sie sich mit ihrer Rolle und konnte wunderbar in der Höhe aufblühen. Auch sie erlebte ihre Rolle stark und suchte immer wieder das Zusammenspiel zu ihrer Bühnenschwester.

Anna Danik als Klytämnestra war eine ungewöhnliche Besetzung. Ein imposante, große Mezzosopran-Stimme, die vor allem ihre Rolle sang und nicht auf Tonhöhe sprach. Dabei legte sie besonderen Wert darauf, die inneren Verletzungen ihres Rollencharakters zu offenbaren. Vorbildlich dazu ihre Textverständlichkeit.

Als Orest erschien Renatus Meszar düster und gefährlich. Herrlich sonor erklang sein kultivierter Bass-Bariton. Gekonnt setzte er Textakzente und war darstellerisch außergewöhnlich engagiert. Selten gibt es einen Orest zu sehen, der in seiner Szene szenisch so „brennt“, bei welchem jeder Blick, jede Geste, eine tiefe Bedeutung erfährt. Und auch er ist ein erkennbar geschädigter Charakter.

Matthias Wohlbrecht nutzte als Aegisth seine wenigen Minuten für einen sehr pointierten Auftritt, bevor er sehr drastisch in den Tod befördert wurde. Seinen Charaktertenor setzte er schneidend ein und konnte auch in den schweren Schlussausbrüchen mühelos bestehen. Seine Sprachbehandlung war vorbildlich.

In den vielen Nebenrollen überzeugten die Ensemble-Mitglieder des Badischen Staatstheaters ausnahmslos. Ein überzeugender Leistungsbeweis für die Qualität des Theaters.

Große Kompetenz am Pult der Badischen Staatskapelle zeigte Dirigent Johannes Willig. Mit Ruhe, Umsicht und doch viel Energie trieb er die Partitur mit höchster Dramatik auf den Siedepunkt. Immer wieder rauschte das Orchester entfesselt auf, spielte drastische Akzente glühend aus. Sein Gefühl für die richtigen Steigerungen und die notwendigen Ruhepunkte war jederzeit untrüglich. Dazu ließ er vor allem dem Orchester Raum für die kantablen Stellen, etwa im lyrischen Teil des Duettes zwischen Elektra und Orest.

Die Badische Staatskapelle demonstrierte eindrucksvoll ihre große und langjährige Kompetenz gerade für die Opernwerke von Richard Strauss. Das Orchester spielte sauber und überwältigend schlagkräftig, ohne jegliches Lärmen. Alle Orchestergruppen musizierten hörbar motiviert. Selten lässt sich „Elektra“ rein orchestral so eindrucksvoll und derart packend erleben.

Am Ende große Begeisterung im Publikum.

Dirk Schauss 21.4.2019

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