Ein bürgerlicher „Don Giovanni“
Auf den Opernbühnen des deutschen Sprachraums wird Mozarts „Don Giovanni“ nicht gerade selten gegeben. Üblicherweise wird die Titelfigur als adeliger Wüstling gesehen, der sich skrupellos nimmt, was ihm an Frauen über den Weg läuft. Nicht so in Kiel Regisseur Dariusch Yazdkhasti stellt seinen Giovanni (Petros Magoulas, der sich diese Rolle mit Tomohiro Takada teilt) in ein fades bürgerliches Umfeld. Davon zeugt sein altbackenes Wohnzimmer mit einem altertümlichen Fernseher (Bühnenbild Simeon Meier, wobei eindrucksvolle Videoeinspielungen von Konrad Kästner ergänzen). Folgerichtig singt Giovanni von seinem Haus und nicht von seinem Schloss, auf das Zerlina (Amira Elmadfa) mitkommen soll. Und die Freiheit, von der am Ende dese ersten Aufzuges alle singen, ist offensichtlich die sexuelle Freizeit. Dass Giovanni dabei weder Tod noch Teufel furchtet, zeigt er glaubwürdig in der Höllenfahrtszene.
Zwar spielt die Handlung im Hier und Jetzt, wie dies bereits Mozart und seinem Librettisten Da Ponte vorschwebte. Aber dieses Jetzt ist offensichtlich die Hippiezeit und die der sexuellen Befreiung. Das macht der Regisseur deutlich, wenn er die Hochzeitsszene des etwas tumben Masetto (Ulrich Burdack) in den Zuschauerraum verlegt. Die Chorsängerinnen (Einstudierung Barbara Kler) erinnern in ihren Kostümen (Katharina Krumminga) doch sehr an diese Zeit. Und sind schrecklich durstig, wie barhaupt an diesem Abend auf der Bühne viel getrunken wird.
So ist denn Giovanni – mit einem Hirschgeweih (!) verkleidet – offensichtlich unter diesen Auspizien in Annas Schlafzimmer eingedrungen. Und der tödliche Schuss auf den Komtur (Kemal Yasar alternierend mit Ulrich Burdack) ist eher ein Unfall in Selbstverteidigung denn feiger Mord.
Des Komturs Tochter Anna sieht das allerdings so und ihre Rachgelüste treiben die Handlung voran. In dieser Rolle gefällt Susan Gouthro mit eienr runden darstellerischen wie gesanglichen Leistung Bei ihrem Gegenspieler Petros Magoulas neigt die Stimme in den hohen Lagen zur Schärfe. Dem Leporello des Christoph Woo möchte man gelegentlich mehr Spielfreude wünschen. Amira Elmadfa ist eine reizvolle Zerlina, die schön zu singen weiß. Gleiches gilt für Agnieszka Hauser als Donna Elvira.
Leo Siberski weiß das Orchester auf dem hoch gefahrenen Graben klug zurückzuhalten. Nie werden die Solisten überdeckt. Sicher sind es Mozarts herrliche Melodien, die den Regisseur veranlassen, das Werk mehr oder minder in voller Länge auszuspielen. Auch solche Partien, die üblicherweise gestrichen werden. So, wenn Anna ihrem Verlobten Don Ottavio (Yoonki Baek) eingehend die Anfangsszene schildert, obwohl dieser doch weitgehend dabei gewesen ist. Und auch die Schlussszene ist breiter angelegt als üblich. So dauert denn die Aufführung vertikale 210 Minuten. Das Premierenpublikum ist begeistert, geizt nicht mit Szenenbeifall und feiert am Schluss alle Beteiligten stürmisch.
Horst Schinzel
Bilder: Theater Kiel