Premiere Krefeld: 27.11.2019
besuchte Vorstellung: 13.12.2019
Keep Calm and Drink Tea
Im Vereinigten Königreich feierte der Komponist Sir Arthur Seymour Sullivan zusammen mit dem Librettisten William Schwenck Gilbert große Erfolge. Ihre komischen Opern begeisterten das Publikum dermaßen, dass sie unter dem Namen „Gilbert and Sullivan“ im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts für mehr als 20 Jahre zu einem Inbegriff für die englische „comic opera“ wurden, die vor allem stark an Offenbachs Operetten erinnert. Außerhalb der Insel blieben die Werke mit Ausnahme der USA weitestgehend unbekannt, das hin und wieder mal aufgeführte „The Pirates of Penzance“ ist vielleicht noch das bekannteste Werk auch in Kontinentaleuropa. Der verwehrte Erfolg über die Landesgrenzen hinaus mag vor allem daran liegen, dass man sich bereits zu dieser Zeit sehr satirisch den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Missständen annahm. Neben der durchaus schwierigen Übersetzung des überspitzten Humors waren auch die Themen sehr speziell auf die britische Bevölkerung um 1875 bis 1890 zugeschnitten. Genau diesem Gesichtspunkt nahm sich Ulrich Proschka an und entwarf für die wunderbaren Melodien aus insgesamt acht „Gilbert and Sullivan“-Werken neue deutsche Texte und erschuf ein herausragendes Pasticcio, welches sich der alten Tradition bedient und das aktuelle Tagesgeschehen ironisch auf die Theaterbühne bringt.
Die Handlung ist schnell angerissen. Am Tag vor der endgültigen Abstimmung über den Brexit steht es unentschieden zwischen den Befürwortern und Gegnern des EU-Austritts. Theresa May probt eine flammende Rede und will für den Austritt stimmen und somit die entscheidende Stimme abgeben. Dies gefällt ihrem Minister Henry Crowfield gar nicht. Er ist ein überzeugter Europäer und noch viel wichtiger, er hat im Wettbüro eine große Summe auf den Verbleib in der EU gesetzt. Auch sein jüngerer Kollege Matthew Plainbrooke ist noch voller Überzeugungen und will den Brexit um jeden Preis verhindern. Um weitere Pläne zu schmieden, treffen die beiden sich in einem heruntergekommenen Pub und bemerken dort, dass die Kellnerin Ms. Cripps eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Premierministerin hat. Mit Hilfe von Theresa Mays Assistentin Mabel Stanley, auf die Plainbrooke zudem ein Auge geworfen hat, soll ein Austausch der Personen den Brexit in letzter Minute verhindern.
Entstanden ist dieses Werk in der ersten Hälfte des Jahres 2018, zu diesem Zeitpunkt war noch völlig offen, wie sich die Situation in England entwickeln würde und besonders erschreckend hierbei ist es, dass Dinge die vor 1 1/2 Jahren noch als absolut überspitzte Parodie angedacht waren, heute schon fast wie ein halbwegs realer Rückblick wirken. Insbesondere auch in der Probenphase vor der Premiere in Mönchengladbach am 09. Februar 2019 war die tagesaktuelle Politik quasi ein ständiger Begleiter. Einige wenige Textzeilen wurden auch im Laufe der letzten Monate mehrmals an das jeweils geplante Austrittsdatum angepasst. Nach komplett ausverkauften Vorstellungen und einigen Zusatzterminen in Mönchengladbach fand am 27. November die Übernahmepremiere in Krefeld statt. Leider konnten hier nur 5 Termine disponiert werden, die auch allesamt ausverkauft sind. Dennoch kann ich nur jedem Leser dringend empfehlen kurz vor den drei verbleibenden Vorstellungen im Dezember nochmal nach evtl. Restplätzen aus Kartenrückgaben zu fragen, denn hier erwartet den Besucher ein witziger und hervorragend gemachter Theaterabend, der seines gleichen sucht. Dies liegt neben der hinreißenden Musik und den gelungenen Texten auch an den vier Darstellern aus dem eigenen Ensemble.
Mit Debra Hays hat man eine wunderbar elegante Theresa May und gleichzeitig eine doch eher „rustikale“ Ms. Cripps, die gewohntermaßen brillant singt. Dem steht Markus Heinrich als Henry Crowfield (Name nach Kre-feld) in nichts hinterher, einem Mann, der in jeglichen lustigen Rollen jedes Mal aufs Neue aufblüht und sein ganzes musikalisches wie auch schauspielerisches Talent auf die Bühne bringt. Mit wunderbarem Bass steht im Matthias Wippich als Matthew Plainbrooke (Name nach Glad-bach) zur Seite, der sich in der besuchten Vorstellung auch von einer Fußverletzung nicht abhalten ließ und seine Rolle mit einer Krücke wunderbar meisterte. Wie gut ein Darsteller ist merkt man auch daran, dass er diese ungewohnte Situation fast wie selbstverständlich mit in die Rolle einfließen lässt, ganz großer Respekt hierfür. Abgerundet wird das Quartett von Gabriela Kuhn als Mabel Stanley, auch hier gilt das zuvor gesagte, diese vier Darsteller(innen) sind einfach wunderbar. Unter der musikalischen Leitung von Yorgos Ziavras spielen die Mitglieder der Niederrheinischen Sinfoniker in kleiner Besetzung schwungvoll auf und erzeugen einen Klang, als wären sie hier mit einer deutlich größeren Besetzung angetreten. Das gelungene musikalische Arrangement stammt von Martin Brenne.
Eine Besonderheit der Inszenierung ist zudem das Bühnenbild, denn die Zuschauer nehmen im nachgebauten Plenarsaal des britischen Parlaments rechts und links auf der Bühne Platz. Passend hierzu werden sie zu Beginn der Vorstellung durch Mr. Speaker per „Order“-Rufe dazu aufgefordert die Handys auszuschalten und auf keinen Fall Fotos oder Bildaufnahmen zu machen. Hier hat Bühnen- und Kostümbildnerin Christine Knoll hervorragenden Arbeit geliefert. Die Inszenierung von Ulrich Proschka sprüht vor Ironie und Witz, ohne dabei das eigentlich ernste Thema lächerlich zu machen. Hier gelingt ihm der Spagat, der diesen Theaterabend unvergessen macht. Schön auch gegen Ende die Symbolik, dass sich die britischen und europäischen Flaggen nicht ganz in der Mitte treffen, aber mit Hilfe der Darsteller doch ein „Hände reichen“ gelingt. Und auch die Queen lässt es sich nicht nehmen, dem Theater Krefeld noch einen Besuch abzustatten. Oh, what a wonderful evening. Thank you!
Markus Lamers, 15.12.2019
Bilder: © Matthias Stutte