am 1. August 2020
Aus dem Herz der Musik…
Im Rahmen des FESTIVAL D’ESTATE 2020 der Fondazione di Arena di Verona, mit dem sie als Organisatorin dieses so traditionsreichen norditalienischen Opernfestivals auch in Zeiten der Corona-Krise nicht ganz auf ihren künstlerischen Anspruch verzichten wollte, hat man mit „Nel cuore della musica“ ein schönes und zutreffendes Motto gefunden, die treuen Verona-Pilger doch noch zu beglücken. Neben dem Mozart Requiem, mit dem der Toten, die Covid-19 bisher gefordert hat, an einem eindrucksvollen und zeitweise bewegenden Abend zuvor gedacht wurde (Extrabericht), war an diesem fast heißen Sommerabend ein Treffen der Stelle dell’Opera, der Stars der Oper angesagt, mit Anna Netrebko an der Spitze, sowie der Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova, dem Tenor Yusif Eyvazov und dem Bariton Ambrogio Maestri. Klingende Namen also, keine Frage, und dazu Marco Armiliato am Pult des in bester Stimmung befindlichen Orchestra dell’Arena di Verona.
Während dieses kleinen Sommerfestivals hat man die ganze Arena geöffnet, was einen völlig anderen und viel intensiveren Eindruck dieses wunderbaren römischen Bauwerks aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. und aus heutiger Sicht einzigartigen Spielstätte bietet. Das ermöglichte auch eine überaus interessante und das gesamte Rund umfassende Lichtregie, die man stimmungsvoll auf die jeweiligen Arien und Duette anpasste. Zentrales Element waren dabei weit in den Nachthimmel hinaufragende Punktstrahler, die des Öfteren eine Art Licht-Dom über dem Orchester mit den Solisten erzeugten, die auf einer roten rechteckigen Plattform postiert waren. Auch regten dezente Farbspiele mit dem Boden die Fantasie an, der mal in türkisen, mal in goldgelben Farben – Arena halt – leuchtete, sowie auf den Gradinate, den Stufen der Arena, auf denen das Publikum in Corona-hygienegerechter Sitzordnung Platz genommen hatte. Der optische Eindruck war stets großartig!
Und der musikalische weitgehend auch. Passend begann Ambrogio Maestri mit dem Prolog aus dem „Bajazzo“ „Si può? … si può? Er schien unter der enormen Hitze dieses Tages mit 37°C zu leiden, denn sein Vortrag ist sonst prägnanter. Sie war möglicherweise auch der Grund, warum er das As auf „…al pari di voi“ nicht sang, mit letzter Kraft und sichtbarer Erleichterung dann aber das „Incominciate!“ eindrucksvoll schaffte. Viel besser und regelrecht mitreißend gelang ihm gegen Ende des Programms das lustige Duett von Dulcamara „Quanto amore! Ed io spietata“ mit Anna Netrebko aus „L’elisir d’amore“, bei der er – gemeinsam mit Anna – sein sprichwörtliches Komödiantentum zur Schau stellen konnte und auch befreiter sang. Das Publikum war begeistert. Sein gesanglicher Höhepunkt war schließlich Gérards „Nemico della patria“ aus „Andrea Chénier“, das er in facettenreicher Stimmung klangvoll interpretierte.
Ekaterina Gubanova stellte sich zunächst mit einem eindringlichen „Stride la vampa“ aus „Il trovatore“ vor, mit dem sie die Fülle ihres wohlklingenden Mezzos hören ließ, aber vielleicht eine Spur mehr Emotion hätte zeigen können. Das kam besser heraus bei ihrem späteren „O don fatale, o don crudel“ aus „Don Carlo“, das sie mit viel emotionalem Nachdruck sang.
Dann war die Zeit des Paares gekommen, Yusif Eyvazov und Anna Netrebko. Er, sichtlich und eindrucksvoll erschlankt, betrat resolut die Bühne und begann mit „La vita è inferno all’infelice…“ und „O tu que in seno agli angeli“ aus „La forza del destino“. Hier zeigte er einmal mehr, mit welcher Präzision und guter Technik er die Noten aussingen kann, mit lang gehaltenen Höhen, wie auch später bei „Ma se m’è forza perderti“ sowie in der berühmten Auftrittsarie des Andrea Chénier „Un dì all’azzurro spazio“ aus der gleichnamigen Oper. Da stimmte jede Phrase, jede Höhe, bei großer emotionaler und auch gesanglicher Determination. Allein, Eyvazovs Timbre bleibt – auch mit einer gewissen Gutturalität – weiterhin gewöhnungsbedürftig – aber das ist leider nicht erlernbar.
Mitreißen konnte aber wieder einmal seine Frau Anna Netrebko mit wahrlich traumhaften Auftritten. Sie begann mit „Tu che le vanità“ aus „Don Carlo“, bei dem sie ihre große Klangfarbenpalette, mit der ihr eigenen so charaktervollen Dunkelfärbung dokumentierte, bei klangvoller Tiefe und mit berückenden Piani am Schluss.
Es folgte eines ihrer Paradestücke, die Arie „lo son l’umile ancella“ aus „Adriana Lecouvreur“. Schon ihre wenigen gesprochenen Worte vor der Arie gingen durch Mark und Bein und zeugten von Netrebkos großer Theatralik. Die Arie ließ dann keine vokalen und emotionalen Wünsche offen, nicht zuletzt mit einem nahezu „ewig“ wirkenden Bogen im Finale, bei dem sie einem lang gehaltenen crescendo ein ebenso langes decrescendo folgen lässt.
Riesenapplaus, wie auch auch bei Yusif Eyvazov bei seinem Chénier. Klar, das bei dem abschließenden „Andrea Chénier“-Block das Duett „Vicino a te s’acqueta“ aus dem Finale der Oper mit Netrebko und Eyvazov nicht fehlen konnte und einen großartigen Schlusspunkt unter das offizielle Programm setzte.
Als einzige Zugabe ließen die vier Solisten mit einem wie immer sehr engagierten Marco Armiliato noch das Quartett aus dem letzten Akt des „Rigoletto“ hören, in dem alle nun völlig befreit und ganz aus sich herausgehend sangen. Das Orchester, das sich wegen der Hygienevorschriften der Herausforderung einer weiter gefächerten Sitzordnung gegenüber sah, meisterte diese ungewohnte Situation eindrucksvoll und trug seinen gehörigen Teil zum Erfolg des Abends bei, in dessen Verlauf es noch die Sinfonia aus „I vespri siciliani“ und jene aus „Don Pasquale“ spielte. Man kennt die Akustik der Arena, die, nun durch die Öffnung des gesamten Runds noch verbessert, mit großer Transparenz beeindruckt und immer wieder auch Einzelistrumente hören lässt. Lange und begeisterter Applaus des Publikums. Sogar das Klatschen war von einer besonderen akustischen Qualität!
Klaus Billand/20.8.2020
Fotos: © Ph Ennevi/Courtesy of Fondazione Arena di Verona