Leoš Janáčeks Oper über die Abenteuer des Füchsleins Schlaukopf – DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN – gehört zu den vielschichtigsten, facettenreichsten Werken des musiktheatralischen Repertoires. Das 100 Minuten dauernde Werk weist vordergründig die Folie von der freiheitsliebenden Füchsin, ihrer Gefangennahme und Flucht, der Idylle des Waldes, der Trauer des plötzlichen Todes durch den Schuss des Wilderers auf. Doch hinter dieser parabelhaften Folie werden Themenkreise des Eros, der Sozialkritik, der Revolution aufgetan, feinsinnig und auch humorvoll eingebettet in die Handlung, die nie putzig oder verniedlicht wirkt. Dazu hat Janáček eine Musik komponiert, die mal flirrend und irisierend wirkt, die Mystik der Natur evoziert, dann wieder geradezu melancholische Züge aufweist, Anklänge an Märsche und mährisches Musikantentum aufweist und am Ende beinahe apotheosenhaft strahlt. Die Partitur besteht ungefähr zu einem Drittel aus reiner Instrumentalmusik (Vor- und Zwischen- und Nachspiele) und deshalb ist es nur richtig, das Orchester in einer Inszenierung zum gleichwertigen Bühnenpartner zu machen, wie es der Regisseur Yuval Sharon am badischen Staatstheater in Karlsruhe getan hat (Premiere war am 16.12.2018, in einer Koproduktion mit dem Cleveland Orchestra). Das Orchester ist also mitten auf der Bühne platziert und eine riesige Cinemascope-Leinwand spannt sich im Halbrund um den groß besetzten Orchesterapparat. So ist es angebracht, erst mal über das Orchester zu sprechen.
Denn die Musiker der Badischen Staatskapelle unter der einfühlsamen, prägnanten Leitung von Dominic Limburg leisten Außerordentliches. Dominic Limburg gelingt es, den Facettenreichtum von Janáčeks musikalischer Sprache mit ungeheurer Plastizität zu formen, eine kammermusikalische Transparenz zu wahren, bei der man die herrlichen Flageolett Passagen, das Klopfen mit dem Bogen, feingeästelte Phrasen der Holzbläser genauso klar heraushört, wie das hervorragend intonierende Hornquartett. Die Badische Staatskapelle lässt sprühenden Witz und elegische Melodien hören und der Schluss fährt dann total ein, erzeugt Gänsehaut, gerade auch im Zusammenspiel mit der Inszenierung. Yuval Sharon hat mit den Walter Robot Studios von Bill Barminski & Christopher Louie zusammengearbeitet, welche einen ganz wunderbaren Animationsfilm kreiert haben, der in über 150 Sequenzen aufgeteilt und mit technischer Perfektion auf den Takt genau gesteuert auf die Leinwand projiziert wird. Die Fabeltiere kommen dann oft zum Halt, eine kleine Öffnung auf der Leinwand dient dazu, dass der Kopf der Sänger nun zum Tierkopf wird. Genial gemacht, aber nie allzu putzig oder „Bambi-mäßig“, eine leicht ironische Distanz wahrend. In der Zeichentechnik erinnern die Bilder leicht an den Schweizer Künstler Alois Carigiet. Die Menschen in dieser Oper lässt Sharon dann ganz real auftreten, so den Förster und seine Familie, den Wilderer, den Schulmeister, den Pfarrer, den Gastwirt und dessen Frau. Perfekt gemacht ist die Interaktion zwischen den animierten Figuren und den Menschen und meisterhaft konzipiert die Verschmelzung der Menschen in ihren Träumen mit der gezeichneten Welt und umgekehrt, wenn die Liebesgefühle der Tierwelt „menschlich“ werden, treten sie aus der Leinwand heraus. Die Flüge der Libelle durch den Wald, die Liebes- und Hochzeitsszenen zwischen Füchsin Schlaukopf und dem adeligen Fuchs von und zu Tiefengrund, die revolutionären Szenen im Hühnerhof und dem Dachsbau gehören zu den unzähligen Höhepunkten dieser heftig und begeistert applaudierten Derniere der Wiederaufnahmenserie.
Gesungen wurde in deutscher Sprache, was bei Janáček immer eine gewisse Problematik beinhaltet, da der Komponist ja sehr bewusst der Sprachmelodie seiner Landsleute gelauscht hatte, Rhythmus und Tonhöhen notierte. Doch gerade beim SCHLAUEN FÜCHSLEIN darf man getrost auf eine Wiedergabe in der Landessprache setzen, vor allem wenn das Auge durch die einfallsreiche Videoanimation und das Beobachten des Orchesters schon so intensiv beschäftigt ist, dass man froh ist, nicht auch noch Übertitel lesen zu müssen (aber sie sind selbstverständlich da). Das große Ensemble spielt und singt wie aus einem Guss auf sehr hohem Niveau. Uliane Alexyuk begeistert mit ihrem hellen, wunderschön timbrierten Sopran als Füchslein Schlaukopf, Alexandra Kadurina kontrastiert hervorragend mit ihrem herberen Timbre als Fuchs. Andrew Finden singt einen nuancierten Förster, Christina Niessen leiht ihre schöne Stimme der Försterin und der Eul. Nathanael Tavernier setzt seinen schön gerundeten Bass als Pfarrer und als Dachs ein. Klaus Schneider zeigt die Tragik des im Alkohol Zuflucht suchenden Schulmeisters eindringlich (und gibt auch der Mücke seine Stimme). Renatus Meszar ist ausgezeichnet besetzt als Haratschta, der Landstreicher und Wilderer. Tiny Peters gibt eine umwerfende Frau Pasek und leiht ihre Stimme auch dem Hahn und dem Eichelhäher. Auch die Interpreten der kleineren Partien verdienen eine Erwähnung, sie allesamt tragen zum beglückenden Erfolg des Abends bei: Baris Yavuz als Pasek, Luise von Garnier als Dackel, Ilkin Alpay als Schopfhenne und Specht, Taavi Baumgart als Pepik und Grille, Teresa Tampe als Frantik und Heuschrecke, Magdalene Wetzel als Frosch und Lydia Spellenberg als kleine Füchsin. Eindringlich und atmosphärisch dicht gelingen auch die Auftritte des Badischen Staatsopernchors (Hochzeitsszene!) und des Cantus Juvenum Karlsruhe.
Viele Szenen der Animation sind dermaßen gut gelungen, dass sie auf dem Nachhauseweg noch einmal vor dem inneren Auge ablaufen – und die wunderschönen musikalischen Einfälle Janáčeks bleiben im Ohr haften. Hoffentlich wird diese zauberhafte und feinsinnige Inszenierung nicht aus dem Spielplan verschwinden.
copyright: Falk von Traubenberg