München: „La Fanciulla del West“, Giacomo Puccini

Große Emotion im rücksichtslosen Kampf um Glück

Die Münchner Opernfestspiele brachten diesmal auch eine bemerkenswerte Aufführung der Oper La Fanciulla del Westvon Giacomo Pucciniin der Regie von Andreas Dresen.

Es wurde eine emotional mitreißende Aufführung, eine Inszenierung mit einer in die heutige Zeit versetzten Puccinischen Verismo-Ästhetik. Denn das dunkle und unmenschlich wirkende Goldgräber-Camp, welches Mathias Fischer-Dieskau auf die Bühne des Nationaltheaters stellte, ließ einen sofort an die Baustellen in Qatar, die Bergwerke in Südafrika oder, aktueller, an den Lithium-Abbau für die vermeintlich so umweltfreundlichen Autobatterien in Afrika und Südamerika denken.

© Wilfried Hösl

Der Slowake Juraj Valčuha entlockte dem Bayerischen Staatsorchester und dem von Christoph Heil bestens einstudierten Bayerischen Staatsopernchor eine unglaubliche und perfekt auf das heftige Geschehen abgestimmte Intensität und Dynamik, die auch aus dem Graben große Emotion entfachte. Man hörte regelrecht, und sah es vor allem im 1. Akt auch auf der Bühne, wie explosiv die Lage im Camp ist, wie jeder der wild zusammen gewürfelten armen Glücksritter für einen auch noch so geringen Vorteil bereit ist, Unrecht an anderen zu begehen. Wenngleich auch momentane emotionale und menschliche Momente möglich sind. So, wenn der ansonsten nicht zimperliche Sonora Geld für das Heimfahrt-Ticket des Larkens sammelt, der es nicht mehr aushält und zu seiner Familie zurück will. Man spürt in dieser Inszenierung die Gesetzlosigkeit im Wilden Westen, dem Kalifornien Anfang der 1930er Jahre, als es noch keine gesicherte Rechtsstaatlichkeit gab und Selbsthilfe an der Tagesordnung war. Dresen vermittelt das mit einer exzellenten und lebhaften Personenregie, die einem zeitweise unter die Haut ging, insbesondere im Auftreten von Minnie und bei ihren Auseinandersetzungen mit Jack Rance und Dick Johnson. Die dazu bestens passenden Kostüme entwarf Sabine Greunig, und das ebenso perfekt darauf abgestimmte Licht kam von Michael Bauer.

(Premierenbesetzung mit Jonas Kaufmann als Johnson) / © Wilfried Hösl

Im 2. Akt zeigt Fischer-Dieskau eine kleine Hütte von Minnie wie eine Nussschale, die im Ozean des Unrechts und der Gesetzlosigkeit treibt. Da findet dieser unglaubliche Poker-Kampf zwischen ihr und Rance statt, was dramaturgisch mit großer Raffinesse gelingt.

Malin Byström, die Salome von Wien, war eine Minnie wie aus dem Bilderbuch! Sie tritt einerseits resolut gegenüber den verzweifelten Avancen von Rance auf, widmet sich andererseits aber auch liebe- und verständnisvoll den Problemen der Goldschürfer, denen sie auch Bibelstunden gibt. Sie ist in der Tat der Engel inmitten der Meute, der sich aber selbst seiner einfachen Herkunft bewusst ist, und zudem noch auf den – zumindest was die Ehrlichkeit angeht – falschen Liebhaber setzt. Byström schafft es mit ihrem kraft- und charaktervollen Sopran sowie ihrem engagierten Spiel eindrucksvoll, all diese Herausforderungen sehr authentisch zu meistern. Sie steht immer im Mittelpunkt des Geschehens, auch wenn sie gar nicht auf der Bühne ist.

Michael Volle ist mit seinem großartigen Wotan-Bassbariton eine idealer Jack Rance, respektgebietend als Sheriff der Gemeinde, aber auch menschlich leidend in seiner nicht erwiderten Liebe zu Minnie. Er kann am Schluss des dritten, trostlosen Akts aber auch zu einem Racheengel werden, den wiederum nur Minnie mit der Selbstmorddrohung beruhigen kann. Yonghoon Lee singt den Johnson mit seinem kraftvollen Tenor, aber man hat immer das Gefühl, dass die Spitzentöne, die er technisch gut singt, doch mit einem großen Kraftaufwand zustande kommen. Er stellte die schwierige Rolle, gerade auch als geschlagener und sich in sein Schicksal fügender Verlierer, jedoch einnehmend dar. Kevin Connors singt einen guten, für Minnie und sein Geschäft in der Bar „Polka“ umtriebigen Nick. Natalie Lewis ist der gute Geist im Tiny-Haus von Minnie. Die vielen weiteren Nebenrollen sind alle sehr gut besetzt.

(Premierenbesetzung mit Jonas Kaufmann als Johnson) / © Wilfried Hösl

Die Oper endet mit einem großartigen Schlussbild, als sich alle unisono von Minnie und Johnson verabschieden, die beide nun allein mit ihrer auf Betrug und Lüge aufgebauten Liebe Kaliforniern verlassen und in eine ungewisse Zukunft gehen. Man sieht die Bergkette der Rockies sich wie eine große Guillotine über der Bühne schließen. Ein unsicheres Happy End…

Klaus Billand, 29. August 2024


La Fanciulla del West
Giacomo Puccini

Bayerische Staatsoper

Besuchte Vorstellung: 29. Juli 2024

Musikalische Leitung: Juraj Valčuha
Bayerisches Staatsorchester