München: „Tosca“, Giacomo Puccini

Wieder im (falschen) Film gelandet…

Erst im Mai 2024 hatte eine Neuinszenierung der Tosca von Giacomo Puccini an der Bayerischen Staatsoper Premiere, und diese Inszenierung des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó wurde bei den Münchner Opernfestspielen wieder gezeigt, mit Jonas Kaufmann als Cavaradossi. Nach der mehr als gewöhnungsbedürftigen gesellschaftlichen Eigenproduktion des Lohengrin als ersehntem Retter dieser Gesellschaft aus ihrer Mitte mit einer gewissen Ayurveda-Ästhetik durch Mundruczó 2022 hier am Haus war ich etwas verwundert, ihn nun schon wieder als Regisseur in München zu erleben. Ich fand mich in meiner Verwunderung leider sehr schnell bestätigt.

Ähnlich seinen etwas bizarren Überlegungen im Programmheft zu Lohengrin holt Mundruczó nun zu Tosca mit ähnlich bizarren und doch allzu weit hergeholten Überlegungen aus, das – wie er zu Recht meint – historisch fundierte und in hohem Maße politische Stück neu zu deuten. Es ist sicher richtig, dass er Tosca für ein „durchgedrehtes Psychodrama auf höchster emotionaler Stufe“ hält und die politische Dimension der Unterdrückung durch ein menschenverachtendes Regime betonen will, bei der er auch Parallelen zum ehemaligen Kommunismus in seiner Heimat Ungarn zieht. Dass er dann aber auf Pier Paolo Pasolini kam, als Inspiration für Cavaradossi, und an der Tatsache, dass Pasolini nicht nur Philosoph und Dichter sondern eben auch Filmemacher war, um Cavaradossi als Pasolini zu bringen und damit den ganzen 1. Akt wieder einmal – der neue Hoffmann lässt aus Salzburg grüßen – in einen vor lauter Statisten nur so wimmelndes Film-Set versetzt, ernüchtert den Bewunderer der sublim-emotionalen Beziehung Toscas zum Maler Cavaradossi doch sehr. Monika Pormale war wieder für Bühne und die weitgehend profanen Kostüme verantwortlich, Felice Ross für das Licht und Rūdolfs Baltinš für die Videos.

© Wilfried Hösl

In Assoziation zur Freundschaft Pasolinis mit Maria Callas kommt Tosca bei Mundruczó also als die Callas, von der auch viele Bildvariationen im Programmheft erscheinen. Von dem nahezu absurden und hyperaktiven Filmchaos, welches im 1. Akt auf der Bühne zu sehen ist, findet sich allerdings kein einziges Bild im Programmheft, während Szenenfotos beispielsweise in den Programmheften von La Fanciulla del West und Tannhäuser in großer Zahl zu sehen sind. Es ist auch kaum zu glauben, was man da erlebt. Cavaradossi ist also der Filmemacher Pasolini und wie Hoffman in Les Contes d’Hoffmann nun bei den Salzburger Festspielen als Regisseur im Film Tosca aktiv. Mit weißer Sonnenbrille wuselt er mit Kamera über die Bühne, fotografiert alles und jeden, natürlich auch Tosca, kaum dass sie da ist. Selbst während der Arie „Recondita armonia“ muss er noch fotografieren. Drei fast nackte Mädchen kommen herbei und bilden mit blutroter Farbe Teile ihrer Körper durch Andrücken auf weiße Papierwände ab. Was sollte das?! Angelotti kommt trotz all dieser Gestalten herein, er sollte ja eigentlich nicht gesehen werden, und verschwindet in einer Filmgerätekiste. Dergleichen viel mehr. Eine Mutter Gottes-Statue lässt man als Assoziation an die Oper Tosca doch hereinfahren.

Im 2. Akt soll also die Realität durch Scarpia eingebrochen sein, das Filmen gerät ins Stocken. Nun übernimmt ultra-brutale Gewalt als Ausdruck der Macht das Zepter, nach dem Motto des Regisseurs „Gewalt ist die Kunst der Macht“, wobei Mundruczó mit Anspielungen an De Sade weiterinszeniert und mit den Räumlichkeiten von Scarpia auch auf den Film Salò von Pasolini anspielt. Im 3. Akt geht es in einem weißen Folterkeller mit bluttriefender Tortur grausamer zu als man es wohl bei der Oper Tosca je sehen konnte. Und am Schluss tauchen dann mehrere junge Mädchen mit blutigen Flecken in der Schamgegend auf – man kann sich vorstellen, warum.

Nun, das Ganze zeigt wieder einmal, wenn ein Regisseur sich auf ein ganz bestimmtes und sehr eng gefasstes Regiekonzept festlegt, läuft die Phantasie mit dramaturgisch-szenischen Ideen und Effekten oft so weit aus dem Ruder, dass der eigentliche Geist der Oper und ganz besonders auch die in der Musik enthaltenen Botschaften und Schwerpunkte verloren gehen. So war das hier, und man hatte den Eindruck, dass Mundruczó als Regisseur im dramatischen Theater besser aufgehoben wäre. Mit der Tosca vom Komponisten Giacomo Puccini hatte vieles an diesem Abend, insbesondere im 1. Akt, wenig zu tun, möglicherweise aber mit dem Schauspiel La Tosca von Victorien Sardou, das der Regisseur auch immer wieder in seinen Überlegungen heranzieht und von dem er stark beeindruckt ist. Kein Wort findet sich hingegen zu seiner Interpretation der Oper in Bezug auf die Musik…  

© Wilfried Hösl

Der Regisseur Rafael R. Villalobos spielte in seiner Inszenierung der Tosca 2023 am Teatre del Liceu in Barcelona übrigens auch auf Pier Paolo Pasolini an. Insofern war die Idee Mundruczós keineswegs neu. Villalobos zeigte Pasolini aber als stumme Figur am Rande und hielt das eigentlich im Zentrum des Stücks stehende Verhältnis zwischen Tosca und Cavaradossi in seiner ganzen emotionalen und dramatischen Intensität nach den Vorstellungen Puccinis aufrecht.

Jonas Kaufmann fand sich natürlich auch in diese ungewohnte Rolle des Cavaradossi hinein, war aber dafür nicht unbedingt zu beneiden. Seine weiterhin kraftvolle Stimme scheint aber für den Cavaradossi recht abgedunkelt zu sein, die Spitzentöne gelangen mit einem gewissen Kraftaufwand. Eleonora Buratto spielte Maria Callas recht gut. Ihr Sopran ist aber nicht in allen Lagen klangschön, und es fehlt ihm auch an Wärme und damit intensiverem emotionalem Ausdruck. Ludovic Tézier war ein Scarpia der Extraklasse, absolut überzeugend als barbarischer Polizeichef und phantastisch im Ausdruck seines herrlichen Baritons. Weltklasse! Roman Chabaranok war ein guter, von der Regie vernachlässigter Angelotti und Martin Snell ein guter Mesner.

Andrea Battistoni dirigierte das Bayerische Staatsorchester dem Geschehen auf der Bühne entsprechend intensiv, hob die dramatischen Momente stark hervor, während die ruhigeren Passagen wegen des Aktivismus auf der Bühne oft kaum zur Wirkung kamen. Die von Christoph Heil einstudierten Chöre gehörten klar auf die Habenseite des Abends.

Eine Tosca, die man nicht so bald wieder sehen muss und die sich wohl nur mit erstklassigen Sängern wird halten können. Die Ablehnung des Premierenpublikums war offenbar recht hoch, sogar schon nach dem 1. Akt…

Klaus Billand, 31. August 2024


Tosca
Giacomo Puccini

Bayerische Staatsoper

Besuchte Vorstellung: 30. Juli 2024

Musikalische Leitung: Andrea Battistoni
Bayerisches Staatsorchester