Buchkritik: „Anton Bruckner. Eine Biografie“ (Zweite Besprechung)

Anton Bruckner wurde am 4. Sept. 1824 als erstes Kind seiner Eltern in Ansfelden (Oberösterreich südlich von Linz) geboren. Von seinen zehn Geschwistern haben nur fünf das Kindesalter überlebt. Mit 11 Jahren wurde Anton zu seinem Onkel, dem Schullehrer Josef Weiß, gegeben, der ihn musikalisch stark gefördert hat und der ihm Vorbild wurde auf dem Weg zum Organisten und Komponisten. Die Bedeutung von Knabenchören für die deutsch-österreichische Musikkultur kann wahrscheinlich gar nicht überschätzt werden. Natürlich hat auch Anton die Zeit als Sängerknabe im Stift St. Florian stark geprägt. In St. Florian war Anton in einer weiteren Lehrerfamilie untergebracht. Als Stiftsknabe lernte er bei zahllosen Aufführungen, in denen er als Sänger und Instrumentalist mitwirken mußte (der erste Gottesdienst morgens begann um 7 Uhr) die kirchenmusikalische Literatur seiner Zeit aber auch die der Vorklassik und des Barocks intensiv kennen. Aber auch Faschings-Konzerte gab es. Orgelunterricht erhielt Anton bei Anton Kattinger, einem Steuerbeamten im Brotberuf, dessen Improvisationen auf der Orgel für Anton „unvergeßliche Eindrücke seines Lebens“ wurden. Sonntags war für den Buben Läusekämmen angesagt. Daß Anton gebadet wurde, ist nicht überliefert.

Ein eigener Exkurs in dieser Biographie geht über Bruckners österreichische Frömmigkeit. Die Pietas austriaca äußerte sich bei Bruckner darin, daß er in seinem Tagebuch die Zahl seiner täglichen Gebete notierte, wie auch der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein, und darin, daß er vom Rosenkranzbeten nie abließ. Er, der sich von „Gott unter Tausenden begnadet fühlte und Talent erhalten hat“, hielt seinen Glauben für ein Geschenk Gottes. Damit konnte er später in seinen Sinfonien die Himmel aufreißen. Als Dank dafür wollte er ihm seine unvollendete 9. Sinfonie widmen.

Zu Bruckners Sexualmoral gibt es offensichtlich nicht viel zu sagen, obwohl im Kapitel über Bruckners Frauen doch etliche genannt werden, die er heiraten wollte oder mit denen er spazieren gegangen ist. Zuletzt hat ihm seine jüngere Schwester bis zu ihrem Tode 1870 den Haushalt geführt. Manchen Frauen hat er Lieder oder andere Musikstücke gewidmet, einer fast die großartige 8. Sinfonie, zu deren Uraufführung er aber dann doch lieber mit dem Dirigenten Hermann Levy 48 frisch gebackene Krapfen gegessen hat. Insgesamt heißt es, er habe sich ungeschickt gegenüber Frauen benommen. Aber allein auf seiner Reise 1880 zum Mont Blanc notierte der „feurige Katholik“, für den er sich selbst gehalten hat, in seinem Tagebuch fünf Frauenbekanntschaften von unterwegs, verliebte sich noch auf der Rückfahrt im Zug. Er zählte aber nicht nur Frauen, sondern auch Blätter von Bäumen oder Fenster von Hausfassaden, psychopathologisch ist bei ihm von Zählzwang die Rede, der im Rahmen seiner Lebenskrise 1867 ausgebrochen war. Depression Reizbarkeit, Migräne veranlaßten ihn in Begleitung eines Priesters eine Heilanstalt in Bad Kreuzen aufzusuchen, wo er mit Kaltwasserkuren und Abstinenz jeglicher Arbeit drei Monate ruhigstellt wurde. Das war teuer und er mußte anschließend seine Schulden über Jahre abbezahlen.

Sein Hang zum Monumentalen äußerte sich nur in den Sinfonien, sondern auch in seiner Vorliebe für das Bergwandern, worin er sich nicht von dem verehrten Richard Wagner unterschied. Wenige Briefe hat er geschrieben, sich nicht politisch geäußert, sich nie gesellschaftlich in Szene gesetzt und charakterisierte sich selbst als „oberösterreichischen Mostschädel“. Sein Speiseplan umfaßte traditionelle oberösterreichische Küche, Kalbsbrust, G’selcht‘s mit Knödeln und Kraut, oft 2-3 Portionen von allem und dazu bis zu 12 Seitl Bier, zwischen denen ein Stamperl Kognak selten fehlte.

Merkwürdig für einen großen Komponisten ist Bruckners Interesse an dem Prozeß im Jahre 1884 gegen einen Heiratsschwindler und vierfachen Mörder. Seinem Wunsch an der Hinrichtung teilzunehmen, wurde nicht entsprochen, aber im Gerichtssaal wollte er den Mörder näher sehen, mußte wegen aufgeregter Unruhe zur Ordnung gerufen werden und nachtmahlte am Abend vor der Hinrichtung ein Schnitzel, wie es zur Henkersmahlzeit des Verurteilten serviert worden ist.

Im Buch finden sich eingestreut in die eigentliche Biografie 26 Exkurse, in denen verschiedenste Aspekte von sachkundigen Autoren ausgelotet werden, u.a. Bruckners Verhältnis zur Volksmusik, zu seinen Orgeln, über seine Persönlichkeit, um nur einige zu nennen. Auch der Frage, ob Bruckner möglicherweise eine Tochter gezeugt hat – verheiratet war er nie – wird in einem eigenen Exkurs nachgegangen. Merkwürdig erscheint die Tendenz der Autoren, Bruckner trotz seiner Eigenarten und Marotten, bei deren Schilderungen die Grenzen valider Quellen deutlich werden, gesellschaftsfähig erscheinen zu lassen,

Mit solchen Exkursen und speziellen Betrachtungen zwischen der Darstellung von Leben und Wirken des Komponisten wie aber auch oberösterreichischer Kultur und Geschichte ist ein lesenswertes, kleines Handbuch zum Menschen Anton Bruckner und seiner Zeit entstanden. Zur Entstehung der Sinfonien, zur Herkunft seiner musikalischen Gedanken und Motive auch aus der Natur wurde etliches Material zusammengetragen. Daß die Kohlmeise mit ihrem Zizibe-Gesang in der Romantischen Vierten prominent konserviert wurde, ist da nur eine von vielen Geschichten. Aufschlußreich ist auch die tabellarische Auflistung von Selbstzitaten in den Sinfonien.

In dem Bildteil des Bandes kann Bruckners Modeverständnis wie seine Vorliebe für schwarze Binder nachvollzogen werden. Das Foto von Bruckner im engen Sarg überrascht. Hilfreich sind Register am Ende des Buches, mithilfe derer Namen, Orte und Werke schnell gefunden werden. 2/3 des Buches beziehen sich auf seine Jugend und die Zeit in Linz. Für die 28 Jahre in Wien stehen nur rund 80 von 352 Seiten zur Verfügung. Das informative Buch, kein wissenschaftlich- musikhistorisches Werk, ist gut lesbar und eine Fundgrube für Interessierte.

Johannes Vesper 24. Oktober 2024

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MUSENBLÄTTER


Anton Bruckner, eine Biografie
Alfred Weidinger und Klaus Petermayr

Mit Beiträgen von Friedrich Buchmayr, Roland Forster, Stephan Gaisbauer, Clemens Hellsberg, Andreas Lindner, Christina Schmid und Thekla Weißengruber und einem von Christina Schmidt zusammengestellten Fototeil.

2023 Verlag Anton Pustet
2. Auflage 2024, 352 Seiten
Gebundenes Buch – ISBN 978-3-7025-1126-5
30,- €