Die Aufnahme der vierten Sinfonie von Anton Bruckner in der Fassung von 1888, dirigiert von Markus Poschner und gespielt vom ORF Radio-Symphonieorchester Wien, ist eine bemerkenswerte Ergänzung zur Bruckner-Diskografie. Diese Fassung ist besonders interessant, da Bruckner ein Komponist war, der seine Werke oft überarbeitete und verschiedene Versionen erstellte. Die 1888er-Fassung der vierten Sinfonie repräsentiert einen wichtigen Meilenstein in Bruckners Schaffen, und diese Aufnahme ermöglicht es den Hörern, tief in die musikalische Entwicklung des Komponisten einzutauchen.
Anton Bruckners vierte Sinfonie, auch als die „Romantische“ bekannt, ist eines seiner bedeutendsten Werke und durchlief im Laufe der Zeit mehrere Überarbeitungen. Die Fassung von 1888 unterscheidet sich von den früheren Versionen der vierten Sinfonie, insbesondere der sogenannten „Originalfassung“ von 1874 und der „Volksfestfassung“ von 1878, in vielerlei Hinsicht. Frühere Versionen hatten oft komplexere Scherzi, eine andere Satzfolge und weniger betonte Hornpassagen. Die 1888er-Fassung zeichnet sich durch eine stärkere Vereinfachung und Reife aus, wobei Bruckner die emotionale Tiefe und den Ausdruck in der Musik vertieft hat. Insgesamt repräsentiert die Fassung von 1888 eine wichtige Phase in Bruckners kontinuierlicher Arbeit an seiner vierten Sinfonie. Sie zeigt, wie der Komponist seine eigene Musik reflektierte und weiterentwickelte, während er von anderen bedeutenden Komponisten seiner Zeit, speziell Richard Wagner, beeinflusst wurde. Diese musikwissenschaftlichen Unterschiede tragen zur Faszination und Komplexität dieses Meisterwerks bei.
Markus Poschner zeigt in seiner Interpretation dieser Sinfonie eine bemerkenswerte Lebhaftigkeit und Direktheit. Die einleitenden Hornrufe, die das Werk eröffnen, sind gut ausbalanciert und fangen die idyllische Atmosphäre des ersten Satzes perfekt ein. Poschners dynamische Kontrolle ist bewundernswert, und er vermittelt den Schwung und die Energie, die dieser Satz erfordert. Die Wiederholung des Eröffnungsrufs im Mittelteil, wird mitreißend dargeboten und zeigt Poschners Verständnis für die dramatische Struktur der Sinfonie. Ein merklicher Unterschied zu anderen Fassungen des Werks ist der stärkere Einsatz der Pauke, was dem ersten Satz insgesamt mehr Gewicht und Dramatik verleiht.
Das Andante wird von Poschner und dem Orchester elegant und zart gespielt. Die Zurückhaltung in einigen Passagen verleiht dem Satz eine gewisse Intimität. Hier sind es vor allem die Holzbläser des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, die sensible Einwürfe beisteuern.
Das Scherzo in dieser Fassung der Sinfonie ist im Vergleich zu früheren Versionen vereinfacht worden und klingt deutlich leichtfüßiger. Diese Änderung fällt auf, da Bruckners Scherzi normalerweise komplexer und kontrapunktischer sind. Spannend ist auch hier die pointierter eingesetzte Pauke zu vernehmen. Poschner gelingt es, die Essenz des Scherzos einzufangen und seine rhythmische Energie zu betonen.
Die Änderungen im Finale sind für den Zuhörer ebenso offensichtlich, da es sich hauptsächlich um Kürzungen und Orchesteränderungen handelt. Am deutlichsten ist hier nach wenigen Minuten der exponierte Beckenschlag beim Tonartenwechsel zu vernehmen. Ein wunderbarer, theatralischer Effekt. Poschner schafft es überdies, eine feine Balance zwischen den ernsten und grandiosen Momenten sowie den idyllischen und rustikalen Abschnitten dieses Satzes zu finden. Die düstere Stimmung, die das Finale durchzieht, wird sorgfältig von Poschner und dem Orchester dargestellt, und die jenseitige Coda bringt die Aufnahme zu einem eindrucksvollen Abschluss mit dazu ergänzten geheimnisvoll tönenden Beckenschlägen. Ungewohnt und doch überzeugend.
Das ORF Radio-Symphonieorchesters Wien fühlt sich sehr gut in die Anforderungen der Partitur hinein und spielt mit Hingabe. Die Klangschönheit kommt der schlanken Tontgebung Poschners entgegen. Vor allem sind die viel geforderten Blechbläser zu loben, die in der Dynamik fein schattiert phrasieren. Einzig beim finalen Abschlag sind Pauke und Orchester nicht wirklich zusammen.
Insgesamt bietet diese Aufnahme der vierten Sinfonie von Bruckner in der Fassung von 1888 eine faszinierende Reise durch die musikalische Welt dieses bedeutenden Komponisten. Markus Poschner und das ORF Radio-Symphonieorchester Wien liefern eine engagierte und kompetente Interpretation, die Bruckners musikalische Entwicklung und seine tiefen Emotionen in dieser Sinfonie eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Seine Tempi sind flott, jedoch nicht gehetzt und die Strukturen klar herausgearbeitet. Für Musikfreunde und Liebhaber von Bruckners Musik, die die verschiedenen Versionen seiner Werke erforschen möchten, ist diese Aufnahme empfehlenswert.
Dirk Schauß, 19. September 2023
Anton Bruckner: Sinfone Nr. Es-Dur (Fassung von 1888) „Die Romantische“
ORF Radio-Symphonieorchesters Wien
Markus Poschner, Leitung
Capriccio, C8085