Die dreiaktige Oper „Dido and Aeneas von Henry Purcell gehört zu den wichtigsten musikdramatischen Werken der 400-jährigen Operngeschichte und es ist die wohl bekannteste englische Oper überhaupt, auch wenn sie nur fragmentarisch erhalten ist. Die genauen Umstände der Entstehung dieses Werks sind allerding nicht bekannt. Die erste belegbare Aufführung fand 1688 oder 1689 in einem Mädchenpensionat in Chelsea (Londoner Stadtteil) statt. Man vermutet allerdings aufgrund neuerer Forschungen, dass die Oper ein Auftragswerk war, das bereits in den Jahren 1683/1864 am Hofe Karls II. aufgeführt wurde.

Erstaunlich ist die Meisterschaft, “mit der Purcell des von Nahum Tate auf Grundlage der Aeneis des römischen Dichters Virgil verfasste Libretto in Töne setzte. Auf der Flucht vor den Griechen ist der Trojaner Aeneas in Karthago gelandet, wo er sich in die verwitwete Königin Dido verliebt. Die zögert zunächst, gibt ihre Bedenken jedoch auf Drängen ihrer Vertrauten Belinda und des Volkes auf. Doch das Liebesglück währt nicht lange, weil Aeneas durch die Intrige einer Zauberin, die mit Dido verfeindet ist, Karthago wieder verlassen will. Dido stirbt daraufhin an gebrochenem Herzen. \/vor allem die Karthager-Königin hat Purcell mit Melodien von fast überirdischer Schönheit bedacht. Allein ihr Schlussgesang ist eine Kostbarkeit leidenschaftlicher Gesangskunst und gehört zu den berührendsten Klagegesängen der Musikgeschichte.“ (Björn Woll im Booklet der Aufnahme)
An Literatur zu dem Stück mangelt es nicht, auch die Diskografie der CD-Einspielungen ist schier unüberschaubar. Aber nun ist eine neue hochkarätige Einspielung auf den Markt gekommen, die ganz ohne Frage als eine der bemerkenswertesten Interpretatio-nen gelten darf. Es handelt sich um einen Livemitschnitt vom 16.-18. 11. aus dem vergangenen Jahr. In der Philharmonie Essen wurde das nur knapp 53 Minuten dauernde Stück mit seinen 37 Musiknummern vom Ensemble Il Pomo d’Oro, mit seinem Chor und hochkarätigen Solisten aufgeführt.
Die Essener Aufführung war (und der Mitschnitt ist) ein Ereignis. Zentrale Szene der aus kleinteiligen Musiknumern betehenden (nur unvollstänieg überlieferten) Oper ist natürlich die nicht einmal vierminütige Arie der Dido, der Klagegesang einer Frau, die dem Tode geweiht ist und aus Verzweiflung über die verlorene Liebe gerät: “When I am laid in earth” (wenn ich zu Grabe getragen werde) so beginnt der Schlußgesang der Oper. Die aus dem US-amerikanischen Kansas stammende Joyce DiDonato (längst eine der weltweit führenden klassischen Sängerinnen ihrer Zeit mit breitem Repertoire von Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart, bis zu Gioachino Rossini und darüber hinaus) gestaltet geradezu hinreissend das Lamento als zentralen Moment dramatischen Singens” (Silke Leopold). Sie ist schlicht im zurückhaltenden Einsatz ihres kantabel dahinströmenden (nicht gerade riesigen Mezzosoprans und glaubhaft in ihrer absolut wortverständlichen Diktion. Die ideale Stimme für die Partie der Dido. Selten erlebt man so bewegend Traurigkeit als Gesang. Mit großer Emotionalität gestaltet sie auch die Anfangsszene mit der glasklar singenden Fatma Said als Didos Vertrauter Belinda, die der Königin rät, eine Verbindung mit Aeneas einzugehen. Die Zauberin, die plant, Dido zu vernichten, wird von Beth Taylor mit dunkel gefärbtem Mezzosopran mit eindrucksvoller Bösartig gestaltet.
Der Countertenor Hugh Cutting tritt als (vermeintlicher) Merkur auf, der Aeneas zur Abreise gemahnt. Seine hell flirrende Stimme suggeriert Jenseitiges. Michael Spyres als Äneas indes wartet mit bodenständig baritonal gefärbtem Tenor auf.
Der Chor des Ensemble Il Pomo D‘ Oro, dem in dem Stück eine wichtige Funktion zukommt, singt so präzise wie expressiv nicht nur in den Lach- und Echoszenen. Auch die volkstümlichen Seemannsgesänge (Shanties) geraten authentisch.
Das Orchester, Il Pomo D‘ Oro beweist erneut, dass es längst zu den gefeiertsten und besten der Alte-Musik-Szene zählt. Unter Maxim Emelyanychevs Leitung gelingt ihm eine sensible wie überwältigende musiktheatralische Lesart, die durch rhythmische Präzision, atmosphärische Differenziertheit (Theatralik) und große Vitalität überzeugt, auch und gerade in den Tänzen, der Sturmszene und den Akt-Präludien und Ritornellen.
Alles in allem eine CD-Produktion, die sich neben den vielen anderen durchaus hören lassen kann.
Dieter David Scholz, 26. Juli 2025
Henry Purcell: Dido & Aeneas, Z. 626
Joyce DiDonato (Mezzosopran), Michael Spyres (BariTenor), Fatma Said (Sopran) u.a.
Il Pomo d´Oro
Maxim Emelyanychev (Leitung)
Erato (Warner)
(erscheint am 22. August 2025)