Die großen, melancholischen Augen im hübschen, weichen Gesicht, umrahmt von den langen Locken –ja, das ist natürlich Fanny Mendelssohn als ganz junges Mädchen! So werden die meisten Betrachter entscheiden, wenn sie die Zeichnung auf S. 3 des Booklets zur Hörbiographie von Jörg Handstein über Fanny und Felix Mendelssohn sehen.
Nein, es ist ihr Bruder Felix, von dem einige Portraits mit wunderschönen langen Haaren überliefert sind. Das bekannteste Bildnis dürfte das Gemälde von Carl Joseph Begas aus dem Jahre 1821 sein, da war Felix 12 Jahre alt und hatte schon eine dreijährige Wunderkind-Karriere hinter sich.
Die war seiner mindestens ebenso begabten, vier Jahre älteren Schwester Fanny versagt, weil sie „nur“ ein Mädchen war. An die 15-jährige schrieb der Vater: „Was du mir über dein musikalisches Treiben im Verhältnis zu Felix geschrieben, war ebenso wohl gedacht als ausgedrückt. Die Musik wird für ihn vielleicht Beruf, während sie für dich stets nur Zierde, immer Bildungsmittel, Grundbaß Deines Seins und Tuns werden kann und soll. Beharre in dieser Gesinnung und diesem Betragen. Sie sind weiblich, und nur das Weibliche ziert und belohnt die Frauen.“
Diese heute als sexistisch einzuschätzende Herabminderung des weiblichen Geschlechts war ja bis vor wenigen Jahrzehnten auch hierzulande gang und gäbe und durchzieht daher das Leben Fanny Mendelssohns und auch ihr Verhältnis zu ihrem Bruder.
Daß die 2019 entstandene Hörbiographie des Bayrischen Rundfunks, die seit Frühling dieses Jahres auch als Podcast abrufbar ist, grundsätzlich beide Geschwister und Talent wie Schaffen Fannys würdigt, ist umso mehr zu begrüßen. Auch diese Darstellung in der Reihe von Jörg Handstein ist wieder einmal großartig geglückt, was am bewährten Format, an den Macherinnen und Machern sowie einmal an mehr hervorragenden Sprecherinnen und Sprechern liegt.
Udo Wachtveitl gibt auch in dieser Produktion den Erzähler; es macht einfach Freude, ihm zuzuhören. Die Sprache ist geringfügig um unaufdringliche Modernismen bereichert (allerdings wird „Grand Tour“ französisch und nicht englisch ausgesprochen). Fanny Mendelssohn spricht Martina Gedeck und Sabin Tambrea den Felix – hochkarätiger kann man es kaum bekommen! Felix als Knabe leiht Moritz Zehner die Stimme und tut das mit überzeugender Natürlichkeit.
Zahlreiche Zitate auf den vier CDs geben Folkert Dücker, Beate Himmelstoß, Stefan Hunstein, Christoph Jablonka, Katja Schild und Martin Umbach wieder. Redaktion und Regie oblagen Bernhard Neuhoff, während Michael Krogmann und Daniela Röder für Tonregie und Technik verantwortlich waren.
Auch in dieser Produktion begleiten gut ausgewählte Hörbeispiele die Lebensbeschreibungen der Familienmitglieder, die, wenngleich getaufte und assimilierte Juden, unter antisemitischen Anwürfen zu leiden hatten.
Wie eng Fanny und Felix verbunden waren, ist bekannt, aber gerade durch die Briefe der beiden bekommt man doch den Eindruck einer geradezu inzestuösen Nähe, was mitunter verstörend wirkt. Auch die schlecht verhohlene Abschätzigkeit, zuweilen Gönnerhaftigkeit des Bruders gegenüber dem musikalischen Schaffen der Schwester macht ihn nicht gerade sympathisch. Allerdings erscheint auch Fanny in der Meinung über die „Katzenmusik“ anderer Tonkünstler durchaus arrogant. Die bewußte Ansprache solcher eher schwierigen Aspekte macht unter anderem die Qualität dieser Doppel-Biographie aus.
Die wird, in von den anderen Produktionen gewohnter Art und Weise, durch einige Musikstücke abgerundet, nämlich einen Symphoniesatz für Streicher, die Streichersymphonien Nr. 8 und 12 sowie das bekannte „Verleih uns Frieden gnädiglich“, gespielt und gesungen vom Münchner Rundfunkorchester bzw. dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Howard Arman. Wie erfrischend, daß es nicht die üblichen Mendelssohn-„Hits“ sind, die man täglich im Radio hört!
„Zwei Leben für die Musik“ führt nicht nur zu einem tieferen Verständnis der Werke der Geschwister, sondern eröffnet auch den Blick in die Hintergründe einer aufregenden Zeit zwischen Romantik und Umbruch. Was hätte Felix noch schaffen können, wenn er länger gelebt hätte! Und was hätte Fanny vollbracht, wenn man sie gelassen hätte!
Wer sich heute auf die Berliner Spuren der beiden macht, wird statt des Herrenhauses mit großzügigem Garten in der Leipziger Straße 3, einem Tempel der Musik, das Bundesratsgebäude finden. Der größte Teil der Straße ist eine seelenlose Betonwüste; Krieg und sozialistischer Wahn haben nichts vom Geist der Hochkultur übriggelassen. Den findet man in der Musik Mendelssohns – von Felix und Fanny.
Andreas Ströbl, 8. August 2023
Fanny & Felix Mendelssohn – Zwei Leben für die Musik.
Eine Doppel-Hörbiographie von Jörg Handstein.
4 CDs
BR-KLASSIK 900925. Erhältlich im Handel und im BR-Shop.