Scriabins „Le Poème de l’extase“ ist eine Kombination aus Sinfonie und symphonischer Dichtung. Dieses Werk steht unter dem deutlichen Einfluss von Wagners Tristan und seinen philosophischen Ansichten. Scriabin meinte, dass seine Komposition einem tiefen Blick ins Sonnenlicht gleiche. Wie dem auch sein, die orgiastische Schlusswirkung mit riesigem orchestralen Getöse ist in jedem Fall ein musikalischer Lichtball. Scriabin erdachte seine Musik in kleinen Einheiten. Die bittersüßen Harmonien, die „Le poème de l’extase“ durchziehen, stammen aus Akkorden, die eine Modulation in fast alle Tonarten erlauben. Auch die melodischen Hauptgedanken sind häufig von diesen Akkorden abgeleitet, sodass sie im gleichen unveränderten harmonischen Rahmen leicht als Kontrapunkt gespielt werden können.
Trotz einer chromatischen Harmonie, folgt „Le poème de l’extase“ der Sonatenform.
Am Beginn steht ein Flötenmotiv mit dem kuriosen Aufführungshinweis „mit schläfrigem Genuss“. Bald bietet dem Flötenmotiv eine ebenso zentrale Trompetengeste mit dem Aufführungshinweis „imperioso“ die Stirn. Diese und andere von ihnen abgeleitete Themen werden vorgestellt, kombiniert und in einer fantastisch farbigen Klangwelt ausgebreitet. Das große Orchester verschmilzt selten zu einem Tutti, sondern agiert vielfach aufgeteilt. Dabei tragen Verzierungen von solistischen Instrumenten zu dem großen Farbreichtum bei. Ungefähr in der Mitte der Exposition stellt die erste Trompete ein auf- und absteigendes Thema vor, das Scriabin als „Sieg“ bezeichnete. Genau dieses Thema wird das Werk auch in einem Energierausch mit tosendem Trompetenschall über dem gesamten Orchester beenden—hellstes Licht, Sonnenzauber!
Im Jahr 1901 schrieb Alexander Scriabin an seiner 2. Sinfonie in fünf Sätzen. Der Komponist arbeitete einige Leitmotive in die Komposition ein, was dem Werk eine klare Struktur gibt. Die Komposition ist sehr spätromantisch im Klanggepräge. Assoziationen an Wagner, Strauss, aber auch César Franck werden geweckt.
Scriabin entfaltet ein gewaltiges Klangpanorama elegischer und dann auch wieder prächtig aufrauschender Themen. Immer wieder nimmt er das groß besetzte Orchester kammermusikalisch zurück. Intensive Soli der Violine und vor allem der Holzbläser zaubern magische Effekte. So lassen die nachgeahmten Vogelstimmen im dritten Satz an Kompositionen von Messiaen denken.
Im gewaltigen Maestoso mit eingängiger Leitmelodie endet dieses Werk in klanglicher Prachtentfaltung.
Dirigentin JoAnn Falletta ist eine fabelhafte, in Europa immer noch zu entdeckende Dirigentin. Sie gestaltet ungemein plastisch und überlegen beide Werke. Mit deutlicher Intention und großem Können führt sie das wunderbar mitgehende Orchester zu vielen dynamischen Höhepunkten, die sie dann mit fein musizierten Ruhepunkten bestechend kontrastiert. Sehr aufmerksam gestaltet sie die intensiven Wellenbewegungen dieser besonderen Klangsprache Scriabins. Auch in den großen eruptiven Momenten gewährleistet Falleta eine vorzügliche dynamische Balance.
Das Buffalo Philharmonic Orchestra hat sich unter der langjährigen Direktion von JoAnn Falletta zu einem Spitzenorchester entwickelt, welches keinen internationalen Vergleich scheuen muss. Vollmundig, farbenfroh und selbstbewusst stürzt sich der hoch engagierte Klangkörper in die gewaltigen Anforderungen, ohne jemals in Bedrängnis zu geraten. Zu hören ist mitreißendes Orchesterspiel mit eigen charakteristischer Note.
Herausragend ist die Solo-Trompete, die sehr intonationssicher und hoch virtuos zu vernehmen ist. Alle Spielgruppen des Orchesters sind sehr gut aufeinander eingestellt und überzeugen kammermusikalisch, ebenso im auftrumpfenden Tutti-Klang.
Naxos spendierte für diese Aufnahme eine fabelhaft dynamische Aufnahmetechnik, so dass auch Freunde des Audiophilen begeistert sein dürften.
Dirk Schauß, 10. Februar 2023
Alexander Scriabin
Le poème de l’extase, op. 54 (Sinfonie Nr. 4)
Sinfonie Nr. 2 c-moll, op. 29
Buffalo Philharmonic Orchestra
JoAnn Falletta, Leitung
Naxos: 8574139