CD: „Mahler 7.“, Tonkünstler Orchester & Yutaka Sado

Die siebte Sinfonie von Gustav Mahler ist rätselhaft. Es ist ein Werk von bemerkenswerter Vielschichtigkeit. Es hat ein breites Spektrum an Interpretationen erfahren, sowohl aus wissenschaftlicher und theoretischer Perspektive als auch von Dirigenten und Orchestern. Die Meinungen über dieses Werk könnten nicht vielfältiger sein: Einige hören darin die Natur mit ihren Klängen von Wald und Vogelstimmen, während andere eher Seelen- oder Gesellschaftsbilder erkennen. Als „romantische Sinfonie“ wurde sie bezeichnet, und der einstige Mahler-Assistent und bedeutende Dirigent Bruno Walter sah darin eine Wiederauferstehung des Romantikers, den man bereits für überwunden hielt. Für progressive Dirigenten wie Michael Gielen, der dieses Werk besonders schätzte, steht die Sinfonie für Projektionen in die Welt hinaus und für größere Zusammenhänge jenseits des Individuums. Der Musikforscher Constantin Floros verknüpft sie sogar mit der Philosophie Friedrich Nietzsches. Mahler selbst gab nur wenige Hinweise auf die eindeutige Interpretation der Sinfonie. In einem Brief bezeichnete er sie als „vorwiegend heiteren Charakters“. Seiner Frau Alma zufolge inspirierten ihn für die beiden Nachtmusiken „Eichendorffsche Visionen von plätschernden Brunnen und deutscher Romantik“. Der Komponist verglich sogar die Stimmung der ersten Nachtmusik mit Rembrandts Gemälde „Nachtwache“. Über das kontroverse Rondo-Finale sagte Mahler einmal: „Was kostet die Welt?“ Die fünf Sätze der Sinfonie entstanden nicht in chronologischer Reihenfolge. Mahler komponierte zunächst die beiden Nachtmusiken im Jahr 1904, während er noch an seiner sechsten Sinfonie arbeitete. Die Arbeit an der siebten Sinfonie stockte, bis er schließlich in einem kreativen Schub innerhalb von nur einem Monat die beiden gigantischen Ecksätze und das Scherzo fertigstellte. Mahler verbrachte diesen produktiven Monat in seinem Sommerhaus in Maiernigg am Wörthersee in Kärnten. Die Sinfonie, von ihm selbst als sein „bestes Werk“ bezeichnet, wurde nach drei weiteren Jahren der Überarbeitung und Verfeinerung schließlich 1908 in Prag uraufgeführt. Das Werk beginnt mit einer unaufgelösten, zwielichtigen Atmosphäre, die sich programmatisch durch das gesamte Werk zieht. Die Stimmung schwankt zwischen Dur und Moll und ist von thematischen Verarbeitungen und abrupten Richtungswechseln geprägt. Mahler’sche Bilder und Stimmungen durchziehen die gesamte Sinfonie, von Naturstimmungen bis hin zu nächtlichen Visionen. Die Partitur ist reich an verschiedenen musikalischen Motiven, die eine große Bandbreite von Emotionen und Stimmungen ausdrücken. Insgesamt kann die siebte Sinfonie als ein eindrucksvolles Werk betrachtet werden, das Mahlers Meisterschaft in der symphonischen Komposition und sein tiefes Verständnis für menschliche Emotionen und die Natur widerspiegelt. Es sagt viel über die Qualität des Chefdirigenten des Tonkünstler-Orchesters, Yutaka Sado, aus, wenn er gerade mit dieser von vielen als sperrig empfundenen Sinfonie besonders gut zurechtkommt. Sado überzeugt einmal mehr als engagierter Mahler Interpret im individuellen Zugang, der mit klarer Idee die Zaubereien dieser herrlichen Partitur vor dem Zuhörer ausbreitet, als wäre es eine Leichtigkeit. Die Qualität des Tonkünstler-Orchesters und seines Chefdirigenten wird in dieser Aufführung deutlich hervorgehoben. Besonders beeindruckend ist, wie Sado mit dieser komplexen Sinfonie umgeht und sie souverän präsentiert. Seine Fähigkeit, Mahlers Musik zu gestalten, zeigt sich in seinem individuellen Zugang, der die Schönheit und Komplexität der Partitur auf fesselnde Weise offenbart. Dies kann verglichen werden mit einem nächtlichen Spaziergang durch einen Wald, der die Zuhörer auf eine vielschichtige Reise durch die Musik mitnimmt. Sados Auslegung zeichnet sich besonders durch die Intensität der Ausbrüche und die überzeugende Darstellung der grotesken, skurrilen Farben in der Musik aus. Unter seiner Leitung wirkt die Musik geradezu dreidimensional und spricht auf vielsagende Weise zum Zuhörer. Ähnlich einem klugen Regisseur versteht Sado perfekt, wann er seine Musiker zurückhält und wann er sie vollkommen entfesseln sollte. Dies führt zu einem beeindruckenden Finale, das mit Fanfaren, Tänzen und Glocken begeistert und triumphal abschließt. Das Tonkünstler-Orchester erweist sich in dieser Einspielung als äußerst kompetenter Klangkörper, der durch seine exzellenten Solisten zusätzlich an Qualität gewinnt. Die Zusammenarbeit zwischen Sado und dem Orchester zeigt sich in dieser gelungenen Einspielung, die sowohl klanglich als auch interpretatorisch höchst ansprechend ist. Insgesamt hinterlässt diese Aufführung einen nachhaltigen Eindruck und bestätigt Sado als herausragenden Mahler-Interpreten.

Dirk Schauß, 4. März 2024


Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 7

Tonkünstler Orchester
Yutaka Sado, Leitung

Tonkünstler Orchester Label, TON2015