CD: „Rachmaninow, Symphonien 2 und 3“, Yannick Nézet-Séguin

Vor 150 wurde Sergej Rachmaninow geboren. Sein Ehrentag ging in diesem Jahr bedauerlicherweise etwas unter. Umso begrüßenswerter ist jede Neuaufnahme seiner Werke. Das legendäre Philadelphia Orchestra unter der Leitung seines Chef-Dirigenten Yannick Nézet-Séguin präsentiert auf dieser CD eine gelungene Einspielung von Rachmaninows Sinfonien 2 und 3 sowie der Tondichtung „Die Toteninsel“. Von Anfang bis Ende beeindruckt dieses Album mit einem außergewöhnlichen Orchesterspiel, einer fesselnden Klangkultur, einer edlen Phrasierung und einem mitreißenden Dirigat. Die Klangqualität ist dabei wunderbar und verleiht der Musik einen besonderen Glanz.

Die Sinfonie Nr. 2 in e-Moll, Op. 27, gilt als „Streicher-Sinfonie“, denn in der Spät-Romantik gibt es keine Sinfonie, in welcher der große Streicherapparat eines Orchesters derart intensiv zum Einsatz kommt. Das Werkt beginnt mit einer kraftvollen und grüblerischen Atmosphäre. Nézet-Séguin nimmt sich Zeit im Allegro moderato und offenbart dabei eine Fülle von inneren Details. Die Streicher des Philadelphia Orchestra entfalten ihren ganz besonderen Reichtum, während der Dirigent nicht mit feinen Rubato-Effekten geizt. Überraschenderweise entscheidet sich Nézet-Séguin dafür, die Exposition nicht zu wiederholen, was dem Werk eine gestrafftere Dramaturgie verleiht. Der Aufbau zum Höhepunkt ist spannend gelungen und zieht den Hörer in den Bann der Musik.

Der zweite Satz der Sinfonie besticht durch enorme Energie und Elan. Eine leichte Verlangsamung des Tempos im Trio verstärkt den Stimmungswechsel und verleiht der Musik eine eigentümliche Wirkung. Doch es ist der dritte Satz, der eine alles überragende Ebene erreicht. Das bezaubernde Eröffnungssolo der Klarinette ist von inniger Schönheit, voller Sehnsucht und Melancholie. Nézet-Séguins Phrasierung ist dazu betont flexibel und einfühlsam, ohne dabei manieriert oder kitschig zu wirken. Die herrlichen Streicher nutzen diese Flexibilität meisterhaft aus und spielen mit feiner Lyrik, die den Zuhörer vollkommen fesselt. Die Melodien erblühen und entfalten sich in ihrer ganzen Pracht. Der vierte Satz wird mit einem gemäßigten Tempo interpretiert, aber in der Coda steigert Nézet-Séguin die Spannung stetig und verleiht dem Finale ein Gefühl überschäumender Freude.

Auch die Sinfonie Nr. 3 in a-Moll, Op. 44 erfährt unter Nézet-Séguins Leitung eine spannende Interpretation. Rachmaninows schlankere Orchestrierung und ihr etwas spröderer Stil sorgten bei der Uraufführung im Jahr 1936 für Verwirrung bei den Zuhörern. Doch der Dirigent und das Philadelphia Orchestra beweisen eindrucksvoll, dass diese Musik Kraft und Emotionalität überreich erkennen lässt. Nézet-Séguin variiert das Tempo in jedem Satz, doch dabei geht keineswegs die Tiefe verloren. Im Gegenteil, seine gemessene Agogik und der klangvolle Streicherklang verleihen auch dieser Interpretation eine besondere Note. Das Philadelphia Orchester ertönt in vollen Glanz und macht jeden Moment zu einem Genuss. Die Blechbläser des Orchesters intonieren klangvoll und rund, ohne je dröhnend zu wirken. Das Finale bietet eine Fülle der Virtuosität, aber noch beeindruckender ist, wie der Dirigent die unzähligen Emotionen der Musik enthüllt und sie auf eine mitreißende Weise zum Ausdruck bringt.

Abschließend wartet „Die Toteninsel“ mit einer ebenso beeindruckenden Darbietung auf. Hier erlebt der Zuhörer erneut wieder die vorzüglichen Klangqualitäten, flexiblen Phrasierungen und tiefen emotionalen Verbindungen. Nézet-Séguin und das Philadelphia Orchestra schaffen es, die düstere Stimmung und die unheimlichen Bilder der Komposition auf fesselnde Weise zum Leben zu erwecken.

Insgesamt zeigt diese CD Rachmaninows Musik in leidenschaftlicher Hingabe und Virtuosität. Das Philadelphia Orchestra und Yannick Nézet-Séguin beweisen einmal mehr ihr außergewöhnliches Können.

Dirk Schauß, im Juli 2023


Rachmaninow: Symphonien Nr. 2 und 3, Die Toteninsel

The Philadelphia Orchestra

Yannick Nézet-Séguin

Deutsche Grammophon, Doppel-CD 4864775