Silberscheiben: „Götterdämmerung“, Richard Wagner

Bei dem Label Deutsche Grammophon ist ein bei den Bayreuther Festspielen 2022 entstandener Live-Mitschnitt von Wagners Götterdämmerung auf Blue – ray zu beziehen. Diese Produktion war bei ihrer Premiere stark umstritten. Auch auf dieser DVD macht das Publikum am Ende seinem Unmut stark Luft. Indes handelt es sich hier, abweichend von der Meinung des durchweg traditionell eingestellten Bayreuther Auditoriums, um eine gute Inszenierung. Was das Inszenierungsteam um Valentin Schwarz (Regie), Andrea Cozzi (Bühnenbild) und Andy Besuch (Kostüme) auf die Bühne gebracht hat, ist spannungsgeladenes Musiktheater von Feinsten. Schwarz hat das Werk hervorragend durchdacht, wartet mit viel Neuem auf und versteht sich zudem trefflich auf Personenführung. Langweilig wird es wahrlich nie. Ein Fehlschlag ist diese Produktion entgegen landläufiger Ansicht auf gar keinen Fall. Wer bereit ist, sich auf Neues, Modernes, Ungewöhnliches und sogar Provokantes einzulassen, wird an der Inszenierung seine helle Freude haben.

Seit dem Ende des Siegfried sind bereits mehrere Jahre ins Land gezogen. Brünnhilde hat Siegfried inzwischen eine Tochter geschenkt, die Schwarz gekonnt mit dem Ring identifiziert. Auf diese Weise nimmt er eine Personalisierung des Rings vor, die sicher einen Sinn ergibt. Kinder symbolisieren nach Ansicht des Regisseurs die Hoffnung auf eine bessere Welt, und genau darum geht es hier. Der von der Regie als Mensch vorgeführte,  ältliche Grane lebt ebenfalls bei der Familie. Wer Schwarz‘ Walküre kennt, wird bemerken, dass sie in dem ehemaligen Kinderzimmer von Siegmund und Sieglinde lebt. Glücklich ist man hier allerdings nicht. Eine traute Familienidylle findet nicht statt. Siegfried und Brünnhilde haben sich schon lange auseinandergelebt und scheinen sich nicht mehr sonderlich gut zu verstehen. Der Held bricht in Begleitung Granes allein deshalb zu neuen Taten auf, weil er es bei der ehemaligen Walküre nicht mehr länger aushält. Da kann ihn auch seine verzweifelt sein Bein umklammernde Tochter nicht mehr aufhalten. Diese leidet zu Beginn des Vorspiels an einem Alptraum, in dem sie die Dämonen ihrer Vergangenheit in Gestalt der drei Nornen heraufbeschwört. Aus Angst vor diesen unheimlich anmutenden Spukgestalten wird das Kind zur Bettnässerin. Diese Szene hinterlässt einen starken Eindruck. Eine feines Gespür für Tschechow‘ sche Elemente legt Schwarz an den Tag, wenn er auch hier Alberich auftreten, die Szene neugierig beobachten und zu guter Letzt eine Spielzeugpistole stehlen lässt. Das Böse ist allgegenwärtig.

Der alt gewordene Hagen hat sich zum eigentlichen Chef des Gibichungen-Clans entwickelt. Der blonde, langhaarige Gunther leidet offenbar unter ADHS. Gutrune wird von der Regie als elegante Salondame gedeutet, die vor dem Eintreffen Siegfrieds noch rasch ein wenig Koks einnimmt. Ein von den Gibichungen gern gepflegtes Vergnügen besteht in der Großwildjagd im afrikanischen Busch. Jedenfalls zeigt ein Bild an der Wand die drei (Halb -) Geschwister über einem getöteten Zebra. Und mitten auf der Bühne liegt ein erlegter kleiner Elefant. Man hat gerade Weihnachten gefeiert. Der immer noch blinkende Christbaum wird entsorgt. Gunther scheint mit dem Fest der Liebe nicht viel am Hut zu haben. Lieber lümmelt er sich auf einem Sofa herum. Siegfried wird durch die Gibichungen ein herzlicher Empfang zuteil. Grane dagegen foltern sie und köpfen ihn schließlich sogar. Mit Granes Blut besiegeln Siegfried und Gunther ihre Blutsbrüderschaft. Eines Zaubertrankes, der Siegfried Brünnhilde vergessen und sich Gutrune zuwenden lässt, ist bei Schwarz überflüssig. Der Held leert eine grüne Flüssigkeit einfach über Granes Kopf aus. Trinken tut er sie nicht. Er wird Brünnhilde aus freien Stücken untreu, was ein recht unsympathisches Licht auf ihn wirft. Diese Szene geht stark unter die Haut. In gleicher Weise sehr einprägsam ist die Neudeutung, mit der der Regisseur Waltraute versieht. Hier ist die leicht wahnsinnig wirkende Walküre aus einer Anstalt entwichen und hat sich nur aus dem Grund zu Brünnhilde begeben, weil auch sie das Ring-Kind haben, es entführen will, was ihr indes nicht gelingt. Der Höhepunkt des ersten Aufzuges, ja der ganzen Produktion, ist die Überwältigung Brünnhildes durch den falschen Gunther. In dieser Inszenierung ist es Gunther, der bei der ehemaligen Walküre erscheint und die Lippen synchron zu den Worten bewegt, die der Sänger des Siegfried aus dem Off singt. Brutal stößt er Brünnhilde an die Wand und fesselt das Ring-Kind, das die gesamte Szene schockiert beobachten muss, an einen Stuhl. Diese Idee ist zwar nicht mehr neu – das hat Tobias Kratzer in Karlsruhe ähnlich gemacht – aber ungemein eindringlich und hoch spannend umgesetzt. Dieses Bild ist hoch gelungen!

Im zweiten Aufzug erblickt man Hagen auf einem Stuhl sitzend in einem großen leeren Raum, der lediglich von einem Box – Sack gesäumt wird. Auf diesen schlägt der Nibelungensohn auch einmal ein. Der die in der Nornen-Szene entwendete Kinderpistole zurückbringende Alberich probiert sich ebenfalls im Boxen. Hier haben wir es mit zwei verpfuschten Menschen zu tun, die den Sinn des Lebens nur darin sehen, andere in den Abgrund zu stürzen. Regelrecht unheimlich wirkt der Mannen-Chor. Die roten Masken sind allesamt den Protagonisten Wotan, Brünnhilde und Siegfried der Bayreuther Uraufführung der Götterdämmerung von 1876 nachempfunden. Während Hagen den Choristen seine Anweisungen erteilt, begibt sich das Ring-Kind auf die Suche nach seinem Stoff-Pferd. Die Schwur – Szene bildet in puncto Personenregie einen Höhepunkt von Schwarz‘ überzeugender Regiearbeit. Auch Hagens, Brünnhildes und Gunthers Entschluss, Siegfried umzubringen, wird eindringlich vorgeführt.

Im dritten Aufzug ist der bereits vom Beginn von Schwarz‘ Rheingold-Inszenierung bekannte Swimmingpool zu sehen. Von seiner einstigen Pracht ist jetzt nichts mehr übrig. Er wirkt schmutzig und heruntergekommen. In einer Pfütze auf dem Grund des Schwimmbeckens vergnügen sich Siegfried und das Ring – Kind mit Angeln. Dabei gießt der Held ein Bier nach dem anderen in sich hinein. Die Rheintöchter sind alte Frauen, deren Outfit an das der Walküren erinnert. Hagen ersticht Siegfried mit einem Messer. Während des Trauermarsches versucht das Ring – Kind vergebens, seinen Vater ins Leben zurückzuholen. Hagen, Gunther und Gutrune überleben in Schwarz‘ Interpretation. Die ihr Unrecht einsehende Gutrune robbt langsam von der Bühne. Gunther steigt in den Swimmingpool hinab und wirft eine Tüte mit Granes Kopf auf den Boden. Mit letzterem beginnt Brünnhilde in der Folge heftig zu schmusen. Hier drängt sich die Parallele zu Salome und dem Kopf des Jochanaan auf. Brünnhilde ist fähig, loszulassen und einen Schlussstrich unter das Ganze zu ziehen. Die alte Welt soll nicht mehr in die neue hineinragen. Daraus erklärt sich auch der Tod des Ring – Kindes, das unter dem Einfluss der Rheintöchter am oberen Rand des Swimmingpools sein Leben aushaucht. Der noch einmal zurückkehrende Hagen erblickt die kleine Leiche, ruft sein Zurück vom Ring aus und stürzt wieder davon. Zum Schluss erblickt man die Projektion von zwei Embryonen im Mutterleib. Wer Schwarz‘ Rheingold – Deutung gesehen hat, wird dieses Bild bereits kennen. Hier verletzen sich die beiden Embryonen indes nicht gegenseitig, wie sie es am Beginn des Ring – Vorabends getan haben, sondern umarmen sich – ein sehr einfühlsames Bild. Am Ende steht die Liebe. Diese zutreffende, ganz und gar überzeugende Quintessenz des Regisseurs setzt einen berührenden Schlussstrich unter eine insgesamt beachtliche Inszenierung.

Dirigent Cornelius Meister schöpft am Pult des beherzt aufspielenden Orchesters der Bayreuther Festspiele aus dem Vollen. Er animiert die Musiker zu einem kraftvollen, intensiven und von großen Spannungsbögen geprägten Spiel. Leider gelingt ihm der Schluss zu analytisch. Zudem scheint ihm die doch sehr spezielle Akustik des Bayreuther Festspieles etwas Schwierigkeiten zu bereiten.

Nun zu den Sängern. Nicht zu gefallen vermag die Brünnhilde von Iréne Theorin, deren Sopran ein unschönes Dauer-Vibrato aufweist. Da vermag Clay Hilley als saft- und kraftvoll, dazu nuancenreich singender Siegfried viel besser zu gefallen. Albert Dohmen ist zwar kein schwarzer Bass, singt den Hagen aber dennoch mit enormer Intensität und großer Differenzierungskunst bei untadeliger Gesangstechnik. Einen trefflich gestützten, hellen Bariton bringt Michael Kupfer – Radecky in die Partie des Gunther ein. Mit wunderbarem, klangvollem und ebenmäßig durch alle Lagen geführtem jugendlich – dramatischem Sopran gibt Elisabeth Teige die Gutrune. Beglückend klingt der sich durch eine famose italienische Technik auszeichnende Alberich Olafur Sigurdarsons. Bei Christa Mayers Waltraute nehmen insbesondere die stark emotionale Tongebung sowie die perfekte Linienführung ihres bestens fokussierten Mezzosoprans nachhaltig für sich ein. Die voll und rund intonierenden Lea – ann Dunbar (Woglinde) und Stephanie Houtzeel (Wellgunde) sind ihrer nicht im Körper singenden Rheintochter – Kollegin Katie Stevenson (Floßhilde) überlegen. An der erforderlichen Körperstütze ihres kalten, nicht gerade gefälligen Soprans fehlt es auch der Dritten Norn von  Kelly God. Nichts auszusetzen gibt es dagegen bei Okka von der Damerau (Erste Norn) und Stéphanie Müther (Zweite Norn). Die stumme Rolle des Grane spielt Igor Schwab. Mächtig legt sich der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor der Bayreuther Festspiele ins Zeug.

Ludwig Steinbach, 29. Dezember 2025


Silberscheiben
Götterdämmerung
Richard Wagner
Bayreuther Festspiele 2022

Inszenierung: Valentin Schwarz
Musikalische Leitung: Cornelius Meister

Deutsche Grammophon
Best. Nr.: 00440 073 6404
2 Blue – ray – Discs