Lange hat es gedauert – und dies war der Pandemie geschuldet – bis endlich die Deutsche Johann Strauss Gesellschaft wieder ein Stipendium vergibt und dies mit einem Konzert in Coburg entsprechend feiert. Im vollbesetzten Saal im Gemeindehaus Contact in Coburg kann nach mehrjährigem Aussetzen der Vorsitzende der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft, Herr Dr. Ingolf Roßberg die junge Sopranistin Annika Egert als Stipendiatin herzlich willkommen heißen.
Gleich zu Beginn gibt es eine Programmänderung, denn der junge Tenor Daniel Schliewa hat einige Tage vor dem Konzert einen Unfall, kann an Krücken zwar teilnehmen aber nicht auftreten. Deshalb springt der junge Tenor Sermjon Bulisnky kurzfristigst ein, dadurch muss das Programm leicht umgestellt werden und er muss innerhalb weniger Tage zwei Duette komplett einstudieren, was aber sehr gut gelingt. Der musikalische Begleiter am Klavier ist David Grand und mit ihm will ich meine Besprechung beginnen, da er ja an allen musikalischen Auftritten beteiligt ist.
David Grant ist in Pretoria, in Südafrika geboren und er ist ein Meister seines Faches. Er ist nicht nur ein ausgezeichneter Pianist, sondern auch ein versierter Komponist, Arrangeur und Produzent, der in allen musikalischen Bereichen zu Hause ist. Er besitzt eine Vielzahl an Auszeichnungen und Ehrungen und dies merkt man seinem Spiel an. Er ist der ruhende Pol bei diesem Konzert, ein vorzüglicher Ausnahmepianist, sicher, gefühlvoll, zart zurückhaltend, aber auch drängend fordernd, je nachdem es gerade notwendig erscheint. Sein Spiel harmoniert in einer exzellenten Art und Weise mit den beiden Sängern, auf die er äußerst sensibel eingeht. Er begleitet sie in einer Art und Weise, in der sich jeder der beiden sicher fühlt und sich bedingungslos auf ihn verlassen kann. Der hervorragende Konzertpianist hat immer das Heft in der Hand, souverän, gefühl- und temperamentvoll, eindrucksvoll und leidenschaftlich ist seine Begleitung, bei der man jede Sekunde spürt, wie sehr er das Instrument beherrscht, aber auch wie sehr er es liebt. Eine hervorragende Leistung, die vom Publikum mit großem Beifall belohnt wird.
Das Konzert beginnt mit dem Duett „Wiener Blut“ aus der Operette „Wiener Blut“ von Johann Strauss. Gesungen wird es von der Stipendiatin, der jungen in Fristingen, einem Ortsteil von Dillingen an der Donau, geborenen Sopranistin Annika Egert und dem jungen deutsch-schweizer Tenor, dem in Luzern in der Schweiz geborenen Semjon Bulinsky. Sie beide legen viel Gefühl in dieses wunderschöne Duett, welches Annika Ebert mit klarem, offenem, gefühlvollem Sopran zelebriert und welches von dem hellen, durchschlagskräftigen Tenor von Semjon Bulisky begleitet wird. Er ist kein Schmettertenor, kein tenoraler Kraftprotz, sondern mehr der gefühlvolle Tenor der leiseren Töne. Ein bisschen hakt das Zusammenspiel der beiden noch, der Blickkontakt ist nicht so innig, wie man es bei dieser Melodie erwartet, aber das ist mit Sicherheit auch dem mehr als kurzfristigem Einspringen geschuldet und wird auch von Stück zu Stück besser. Ein gelungener Einstieg, der mit großem Beifall vom Publikum aufgenommen wird.
Annika Egert führt dann als liebenswerte, sachkundige, humorvolle und spritzige Moderatorin durch das weitere gesamte Programm – und dies tut sie ausgezeichnet. Ihre Fröhlichkeit, auch ihre positive Ausstrahlung steckt förmlich an und ist ein weiteres i-Tüpfelchen in dem Programm.
Aus der leider recht unbekannten Operette von Johann Strauss „Indigo und die 40 Räuber“, welche die erste aufgeführte Operette von Johann Strauss ist, bringt sie dann die Arie „Ja so singt man nur in Wien“. Und hier bereits zeigt sie eine, für ihr Alter mehr als reife Bühnenpräsenz. Man merkt ihr den Spaß an der Musik und der Darbietung für ihr Publikum in jeder Sekunde an. Klar, vollmundig, stimmschön bringt sie – mit viel Beifall bedacht – dieses seltene Stück zu Gehör. Und dann bringt Semjon Bulinsky einen weltbekannten „Schlager“ aus der „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár zu Gehör. „Da geh ich ins Maxim“ erklärt er dem aufmerksamen Publikum und zählt dabei alle seine Liebschaften auf, in einer Operettenarie, die sicher zu einer der bekanntesten von Lehár zählt. Sein schöner Spieltenor kommt hier besonders gut zur Geltung und das Publikum geizt nicht mit Applaus und so langsam fällt auch die verständliche Steifheit bei ihm ab und er wird lockerer. Dies kommt jetzt dem nächsten, auch weithin unbekannten Stück von Johann Strauss zu Gute. Aus der wunderschönen, leider ebenfalls kaum gespielten Operette „Waldmeister“ singen die beiden das Duett Botho und Freda mit dem Titel „Nur eine rasche Sekunde“. Eine Weise, die ins Ohr geht, die von beiden Künstlern herrlich dargeboten wird, die Lust auf mehr aus dieser Operette macht. Harmonisch verschmelzen die Stimmen jetzt und das Publikum merkt dies auch und honoriert es mit großem Beifall. Vor allem auch die Tatsache, dass hier Stücke zu Gehör gebracht werden, die nicht jeder, ja eigentlich die wenigsten, kennen und die zeigen, welche herrliche Musik, die es mehr als verdient, hier auf eine Wiederbelebung wartet.
Dann wartet der letzte große Altmeister der Operette, Robert Stolz, auf die Interpretation seiner Weise „Du sollst der Kaiser meiner Seele sein“ aus seiner Operette „Der Favorit“. Und Annika Egert gestaltet dieses wunderschöne Lied sehr gefühlvoll, innig, voller Schmelz und höhensicher. Großer Beifall für diese gelungene Interpretation eines der wunderschönen Robert Stolz Lieder.
Von Franz Grothe singt anschließend Semjon Bulinsky „Heut ist für mich die ganze Welt viel zu klein“. Er bringt dieses kleine Lied sehr zart, fast ein bisschen zurückhaltend, getragen und gestaltet den Schluss im weichen Piano.
Das letzte Stück vor der Pause ist wieder ein Robert Stolz. Und aus der gleichnamigen Operette singen unsere beiden Künstler „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“. Wer kennt diese zündende Musik voller Leidenschaft und Rhythmus nicht. Annika Egert lebt richtig auf, schwingt bei jedem Ton mit, man merkt ihr richtig die Freude an der Musik, aber auch die Freude diese dem Publikum näherzubringen an. Leider ist ihr Partner weiterhin etwas sehr steif, zurückhaltend, zu einem leidenschaftlichen Duett gehört auch der leidenschaftliche Blick in die Augen des Partners, dies ist hier leider nur selten der Fall und natürlich eindeutig dem kurzfristigen Einspringen geschuldet. Was hätte aus diesem Duett werden können, wenn beide länger miteinander eingesungen gewesen wären. Leider ein bisschen schade, aber jetzt ist die Pause.
Ein wunderschönes Lied von Rudolf Sieczynski, nämlich das walzerselige „Wien, Wien nur du allein“ steht dann auf dem Programmzettel und Annika Egert legt alle ihr Sensibilität in diese Noten. Einschmeichelnd, gefühlvoll, mit zartem innigem Schmelz, gestaltet sie diese wunderschöne Weise und krönt sie mit einem strahlenden Spitzenton zum krönenden Abschluss.
Und noch ein Robert Stolz, Semjon Bulinsky bringt das getragene, auch etwas schwermütige Lied von ihm „Das Lied ist aus – Frag nicht, warum ich gehe, frag nicht warum“. Er singt es zurückhaltend, etwas gedämpft mit einem verklingendem Piano am Schluss. Seine Interpretation findet viel Gefallen beim Publikum, was es durch starken Beifall ausdrückt.
Von Johann Strauss dann aus seiner Operette „Indigo und die 40 Räuber“ die Arie der „Furie“ „Nichts kann mich mehr rühren“. Und hier lässt Annika Egert die Puppen einmal so richtig tanzen. Teilweise schrill und mit beißendem Ausdruck, gestaltet sie diese Frauengestalt, mit der man eigentlich gar nichts zu tun haben möchte. Hier kann sie auch ganz umfassend mit ihrer Mimik, ihrer Gestik und ihrer gesamten Darstellung brillieren. Ein kleines Kabinettstückchen, welches man kaum mehr zu Gehör bekommt. Donnernder langanhaltender Applaus nach diesem rasanten Stück.
Nach diesem musikalischen Galopp dann die beiden Protagonisten in dem zärtlichen gefühlvollen Duett „Lippen schweigen, flüstern Geigen“ aus „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár. Eine wunderschöne einschmeichelnde Musik, die das Publikum verzaubert und von beiden kongenial wiedergegeben wird. Annika Egert sucht immer den Blickkontakt zu ihrem Partner, der diesen leider nicht sehr oft erwidert. Dann aber kommt es doch noch zu einem gemeinsamen Walzer zu den Schlussklängen. Selige Walzermelodien, die den Zuhörern direkt ins Herz gehen.
„Lonely House from Street Scene“ von Kurt Weill interpretiert dann Semjon Bulinsky. Dieses überwiegend doch recht ruhige getragene Stück liegt ihm recht gut in der Kehle, er bringt es mit zartem Ansatz seines schönen zurückhaltenden Tenors und es gefällt den Zuhörern gut.
Das „Schwipslied“, die Einlage aus der Operette „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauss bringt dann Annika Egert zu Gehör. Und hier kann sie ihr komödiantisches Talent voll ausspielen. Mit einer Flasche Champagner und ihren beiden Schuhen in den Händen betritt sie die Bühne und kann dann mit ihren darstellerischen und gesanglichen Talenten das Publikum regelrecht mitreißen. Sicherlich ein Höhepunkt des heutigen Konzerts. Stürmischer Beifall umbraust diesen tollen Auftritt.
Dann zum Abschluss beide Sänger in „Im Feuerstrom der Reben“ aus der unsterblichen Operette von Johann Strauss „Die Fledermaus“. Und noch einmal lassen beide ihre stimmliche als auch gestalterische Klasse erkennen, noch einmal schwingen sie sich gemeinsam im Walzertakt und bringen dieses feurige Duett locker, gekonnt und ausgezeichnet auf die Bretter, die die Welt bedeuten.
Nach diesem offiziellen Abschluss des Stipendiaten Konzerts „Coburger Operettenzauber“ tritt Dr. Ingolf Roßberg, der Vorsitzende der Deutschen Johann Strauss Gesellschaft auf die Bühne und überreicht Annika Egert unter tosendem Applaus die Urkunde über das Stipendium der Gesellschaft. Er betont hierbei, dass es keine bessere hätte treffen können und mit dem heutigen Konzert die Verleihung mehr als gerechtfertigt und verdient ist. Allen drei Künstler wird dann ein schöner Strauß Blumen und eine gute Flasche Wein überreicht und dann kommen – wie erhofft – noch Zugaben.
Zuerst singt Annika Egert aus der wunderschönen, leider auch viel zu selten aufgeführten Operette von Johann Strauss „Die Tänzerin Fanny Elßler“ das gefühlvolle, mit Koloraturen gespickte und zu Herzen gehende Lied „Draußen in Sievering blüht schon der Flieder“. Und noch einmal zeigt die junge Künstlerin, was sie schon alles draufhat. Perlende Koloraturen, runde volle stimmschöne Passagen, keinerlei Höhenängste und insgesamt eine runde tolle und mit Beifall gespickte Leistung. Eine wundervolle Zugabe von einer Künstlerin, die mit Leib und Seele in ihrem Beruf aufgeht, der man anmerkt, wie sehr ihr das Singen und Spielen Spaß macht und dieser Spaß und diese Freude gehen auch auf das begeisterte Publikum über. Von ihr wird man in Zukunft sicher noch oft hören. Ein wundervoller Vormittag neigt sich dem Ende zu und wird von den drei hervorragenden Künstlern, denn unser Pianist David Grant ist ja bei allen Stücken federführend dabei, mit der Wiederholung der feurigen zwei Herzen im Dreivierteltakt von Robert Stolz begeisternd abgeschlossen.
Viel Beifall, viel Applaus für einen anregenden und aufregenden Vormittag und allen Künstlern, aber natürlich besonders unser Stipendiatin allen Erfolg dieser Erde.
Manfred Drescher, 21.11.2022
„Coburger Operettenzauber“
Gemeindehaus in Coburg
Stipendiaten Konzert mit Annika Egert
Deutsche Johann Strauss Gesellschaft
Pianist: David Grant