Im Februar 1724 fand die Uraufführung von Georg Friedrich Händels Giulio Cesare in Egitto im Londoner King’s Theatre statt. Etwas mehr als 300 Jahre später ist es in Duisburg nun Giulia Cesare, die als römische Herrscherin auf den männlichen Cleopatro trifft, seines Zeichens Bruder des Tolomeo. Grund für diese umgedrehte Personenbesetzung ist die Frage der Regisseurin Michaela Dicu, ob Herrschen immer männlich und Verführen immer weiblich zu sehen ist. Daraus entwickelte sich die Frage: Was wäre, wenn Cleopatra ein Mann wäre und es bereits damals weibliche Politikerinnen in höchsten Positionen gegeben hätte? Im Programmheft wird dieser Geschlechtertausch stellenweise als „Experiment” bezeichnet – und als solches ist er leider missglückt, um dies gleich zu Beginn festzuhalten.

Da Julius Cäsar traditionell als Hosenrolle durch einen Mezzosopran gesungen wird, ist es durchaus konsequent, die Rolle nun komplett „weiblich” auszulegen. Auch die Besetzung der Cleopatra mit dem Sopranisten Dennis Orellana ist ein echter Glücksfall, denn einen männlichen Sopran darf man in der Oper nur selten bewundern. Darüber hinaus will die Regie stellenweise aber zu viel und verzettelt sich dabei leider das eine oder andere Mal. Um es kurz zu machen: Einen großen Mehrwert bietet diese Art der Erzählung nicht. Vieles ist eigentlich sogar genau wie immer, sodass unvermittelt der Eindruck entsteht, dass die Aussagen der Regisseurin im Vorfeld zur Produktion entweder zu hoch gegriffen oder nicht gut umgesetzt waren. Die Auseinandersetzung der Brüder Cleopatro und Tolomeo als Tennismatch zu inszenieren, kann man durchaus machen. Ob sich Cleopatro hierbei nun unbedingt die Tennisbälle in die Hose oder unter das T-Shirt stecken muss, sei dahingestellt. Richtig ärgerlich ist jedoch das Gefühl, das sich im Laufe des Abends einstellt, dass die Rolle der männlichen Cleopatra über drei Stunden hinweg mit allen möglichen homosexuellen Klischees gespickt wird. Dies soll der Idee nach „dem Mann” wohl die „weiblichen Attribute” gönnen, erzeugt in letzter Konsequenz aber genau das Gegenteil von dem, was dieses Experiment bezwecken wollte. Darüber hinaus entsteht der Eindruck, dass sich die Regie zu oft selber in vorgefestigten Rollenbildern verfängt. Diese regen die Zuschauer allerdings kaum zum Nachdenken an.

Die fast kammerspielartige Konstruktion der Oper, die eine große historische Geschichte voller Politik, Macht, Sex und Verbrechen auf wenige Personen herunterbricht, ist auch bei dieser Produktion geblieben. Hierfür hat Rifail Ajdarpasic eine sehenswerte Bühne entworfen, die geschickt mit den Großbuchstaben P, O, W, E und R spielt, die zusammen das Wort „Power”, also „Macht”, ergeben. Lediglich ein kleines Manko ist, dass das E besser etwas tiefer hängen sollte, da es sonst in 99 Prozent der Fälle wohl eher als kleines c wahrgenommen wird. Auch wenn sich das Verschieben der Buchstaben in den drei Stunden naturgemäß etwas abnutzt, bietet die Bühne doch genug Möglichkeiten, neue Räume entstehen zu lassen, die auch optisch beeindrucken. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried sind größtenteils an die Gegenwart angelehnt, lediglich der große Königsmantel des Tolomeo fällt hier bewusst aus dem Rahmen.

Die Duisburger Philharmoniker, ergänzt um die barocke Continuo-Gruppe, spielen unter der musikalischen Leitung von Attilio Cremonesi die historische Musik durchaus detailliert und präzise, hin und wieder hätte man sich aber beim Tempo eine größere Unterscheidung der einzelnen Stücke gewünscht. Und auch wenn Anna Harvey zu Beginn des Abends noch leichte Probleme hatte, sich gegen das Orchester durchzusetzen, gelang ihr im Verlauf des Abends doch eine sehr solide Interpretation des Cesare. Neben dem bereits zuvor erwähnten hervorragenden Dennis Orellana wurde insbesondere der Countertenor Maximiliano Danta in der Rolle des Sesto am Ende des Abends zu Recht stark bejubelt. Die weiteren Rollen sind mit Katarzyna Kuncio (Cornelia), Tobias Hechler (Tolomeo), Roman Hoza (Achilla), Annabel Kennedy (Nirena) und Peter Dolinšek als Gast für den erkrankten Torben Jürgens (Curio) durchaus passend besetzt. Etwas eigenartig wirkten in der besuchten Vorstellung die rund 105 Minuten bis zur Pause, in denen das Publikum keinen Zwischenapplaus spendete – nicht einmal zwischen dem ersten und zweiten Akt. In der Pause verließen einige Zuschauer zudem das Theater, sodass der ohnehin sehr spärlich gefüllte Zuschauersaal nach der Pause richtig verlassen wirkte.

Bei der Deutschen Oper am Rhein beschleicht einen leider zuletzt des Öfteren das Gefühl, dass die Produktionen zwar nie wirklich schlecht sind, aber eben auch viel zu selten große Euphorie auslösen. Anstatt ständig über das „Opernhaus der Zukunft” zu sprechen, sollte man verstärkt darauf achten, Theater für das Publikum zu machen, denn sonst ist das mit der Zukunft so eine Sache. Die Stücke dürfen durchaus polarisieren oder zum Nachdenken anregen, vor allem aber sollen sie die Menschen in den Theatersaal locken. In dieser Hinsicht können andere Häuser in NRW für die altehrwürdige Deutsche Oper am Rhein durchaus als Vorbild dienen. Ein richtig großer Publikumserfolg im Musiktheaterbereich wäre auch Düsseldorf und Duisburg mal wieder zu wünschen. Dass man dies kann, hat man ja in der Vergangenheit oft genug bewiesen. Im Fall von Giulio Cesare in Egitto gilt der auf der Homepage selber gewählte Untertitel „Sie kam, sah und siegte.“ leider nicht für diese Produktion.
Markus Lamers, 15. Dezember 2025
Giulio Cesare in Egitto
Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Deutsche Oper am Rhein – Theater Duisburg
Premiere: 30. November 2025
besuchte Vorstellung: 13. Dezember 2025
Inszenierung: Michaela Dicu
Musikalische Leitung: Attilio Cremonesi
Duisburger Philharmoniker und die Continuo-Gruppe
Weitere Aufführungen: 25. Dezember, 4. Januar und 18. Januar