Berlin: „Fidelio“, Ludwig van Beethoven

© Bernd Uhlig

Hoffnung und Trost spendeten und spenden in schweren, von Gewalt und Unrecht geprägten Zeiten Opern-und Theatererlebnisse wie ein „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ oder der Schlusschor aus Beethovens einziger Oper Fidelio. Geht es den Menschen aber (zu?) gut, dann dominieren auf den Bühnen weit über die Absicht von Autoren und Komponisten hinausgehende Brutalität und Ekel, und ein happy end ist schon beinahe ein Sakrileg und ein Leugnen der traurigen Tatsache, dass es irgendwo und leider immer noch Unrecht und Gewaltherrschaft gibt. Nur ist niemandem damit geholfen, dass sich ein Opernpublikum mit einem traurig endenden Fidelio kasteit, dass es seinen Anspruch auf ein erhebendes, Freude spendendes Opernerlebnis der Tatsache opfern muss, dass Beethovens hochgemute Botschaft noch nicht überallauf der Welt Realität geworden ist.

© Bernd Uhlig

In David Hermanns Inszenierung ist der mit froher Botschaft anreisende Minister ein eitler Geck, der nur um Publicity bemüht ist, das Volk wird rüde vom Schauplatz des Geschehens gedrängt und der Chor rattert den eigentlich jubelnden Schluss herunter, als gelte es, sich möglichst schnell einer unangenehmen Aufgabe zu entledigen. Mit dem Schlusschor haben moderne Inszenierungen immer ihre Probleme, und in der Staatsoper wurde er von in den Saal strömenden Choristen in Privatkleidung gesungen, aber nicht entstellt.

Ansonsten ist die Inszenierung gemäßigt modern mit dem Hang, zusätzliche Beweise dafür zu liefern, dass Opernlibretti unlogisch und ein Schmarren sind, so wenn niemand aus der Belegschaft bemerkt, dass die Gefängnismauer eingestürzt ist und wenn Solisten immer wieder dazu gezwungen werden, Leitern und steile Treppen ohne Geländer zu bewältigen. Ausgesuchte Feinheiten an zusätzlicher Grausamkeit wie ein Wasserhahn ganz nah, aber unerreichbar für Florestan könnten noch eine Steigerung erfahren, wenn es aus der undichten Leitung tropfen würde (Bühne und Kostüme mit viel Guantanamo-Orange Johannes Schütz).

© Bernd Uhlig

Die Premiere vor anderthalb Jahren hatte unter der unangemessenen Leistung des Florestan gelitten. Mit Valentyn Dytiuk hatte man nun einen Tenor gefunden, der schon mit dem gefürchteten „Gott, welch Dunkel hier“, einem angemessenen Schwellton und beachtlichem Squillo punkten konnte und auch im weiteren Verlauf der Vorstellung nicht enttäuschte. Wie sehr die verordnete Diskrepanz zwischen der namenlosen Freude und dem offensichtlich psychisch Gestörtsein eine solche Leistung erschwerte, sei dahin gestellt. Mit Flurina Stucki stand ihm eine würdige Partnerin mit leuchtendem, in der Höhe aufblühendem Sopran zur Seite, vom Gold ihrer Stimme stach im Quartett des ersten Akts der silbrig schimmernde Sopran der Marzelline von Lilit Davtyan angemessen ab. Immer wieder Angst um den Wolfram-Rodrigo-Bariton von Markus Brück hat man, wenn er Partien wie den Pizarro singt, der hier mehr ein Schreibtischtäter als ein Brutalo ist und sich klag- und widerstandslos von Rocco und Jaquino einbuddeln lässt. Gideon Poppe behauptet sich in dem eher selten anzutreffenden Fach gut und Tobias Kehrer ist als Kerkermeister nicht nur knorrig geradlinig, sondern mit allen Wassern gewaschen und einem hochklassigen dunklen Bass begabt. Eine vokale Labsal ist der Gefangenenchor (Leitung Jeremy Bines) mit Seung Yeop Lee und Tadeusz Milewski, auf Kontraste bereits in der Ouvertüre bauend das Orchester unter Stephan Zilias, das den Glauben an eine bessere Zukunft auch für die noch Geknechteten aufrechterhält.

Ingrid Wanja, 13. April 2024


Fidelio
Ludwig van Beethoven

9. Vorstellung am 12. April 2024
nach der Premiere am 25. November 2022

Inszenierung: David Hermann
Musikalische Leitung: Stephan Zilias
Orchester der Deutschen Oper Berlin