Wolfgang Amadeus Mozart
Premiere: 4. November 2021
Besuchte Vorstellung: 19. November 2021
Claus Guths „Don Giovanni“ hat eine lange Reise durch Europa hinter sich. 2008 kam die Inszenierung bei den Salzburger Festspielen heraus und wurde dort 2010 und 2011 wiederaufgenommen. Ab 2012 wurde die Inszenierung von der Berliner Staatsoper unter den Linden nachgespielt, 2016 von der Oper Amsterdam und 2020 vom Teatro Real in Madrid. In Amsterdam gab es nun eine Wiederaufnahme, in der ein Großteil der Rollen neu besetzt wurden. Dabei erlebte man viele Sängerinnen und Sänger, die man auch von den deutschen Bühnen kennt.
Berühmt ist diese Inszenierung für das spektakuläre und hyperrealistische Waldbühnenbild von Christian Schmidt. Natürlich fragt man sich, warum das Personal sich dort aufhält: Ist der Wald ein Fluchtpunkt abseits der Zivilisation, wo man den unterdrückten Trieben freien Lauf lassen kann? Vom Zauberwald in Shakespeares „Sommernachtstraum“ hat dieses Szenario nämlich wenig, so handfest geht es dort zu: Die Frauen verfallen dem Titelhelden reihenweise.
Prägend für diese Produktion ist auch, dass Giovanni schon in der ersten Szene vom Komtur einen tödlichen Bauchschuss verpasst bekommt und er während der nächsten dreieinhalb Stunden verblutet. So schlüssig die Idee ist, Don Giovanni nicht durch eine übernatürliche Macht sterben zu lassen, so unglaubwürdig ist es, dass er hier einen Großteil der Handlung relativ munter sportlich im Wald unterwegs ist.
Dirigent Jérémie Rhorer lässt die Fortissimo-Akkorde der Ouvertüre mit einer knallharten Brutalität spielen, die dann auch im Finale wieder aufgegriffen wird. Insgesamt leitet er am Pult des Nederlands Kamerorkest aber eine höchst differenzierte Aufführung. So fein schattiert und voller Zwischentöne hat man diese Oper selten erlebt. Zudem ist die Balance zwischen Bühne und Graben perfekt.
Auch vokal ist diese Aufführung hochkarätig: Den Don Giovanni singt Seth Carico, der von 2010 bis 2019 Mitglieder der Deutschen Oper Berlin war. Er verfügt über einen männlichen und kernigen Bariton, dem man auch einen fliegenden Holländer zutrauen würde. Einen aufgedrehten Leporello gibt Adrian Sampetrean, der seine Karriere im Studio der Bayerischen Staatsoper und der Düsseldorf-Duisburger Deutschen Oper am Rhein begann. Trotz großer Bassstimme legt er die Partie ganz leicht und komödiantisch an.
Auch Adela Zaharia kennt man als Belcanto-Spezialistin von der Rheinoper, wo sie in dieser Saison noch in „La Traviata“ und „Lucia di Lammermoor“ zu sehen sein wird. Ihre Amsterdamer Donna Anna ist feurig, leidenschaftlich und dramatisch. Der Don Ottavio ist Long Long von der Staatsoper Hannover. Sein Tenor klingt sehr männlich, ist schön gefärbt und beherrscht zudem die Kunst des Pianos. Wo anderen Sängern die Stimme wegbricht, kann er noch schöne und zarte Töne gestalten.
Sopranistin Amanda Majeski kennt man als Premieren-Marschallin des Frankfurter „Rosenkavalier“. Ihre Donna Elvira singt sie mit koloraturfreudiger und klarer Stimme. Eine quirlige und lyrische Zerlina ist Lilian Farahani. Mit flinkem Bass gibt Frederik Bergmann den Masetto, während Rafal Siwak als Komtur mit nachtschwarzer Stimme glänzt.
Die Amsterdamer Oper bietet auch in den nächsten Monaten ein Programm, das für deutsche Opernfans interessant ist. Tatjana Gürbacas Osloer „Traviata“ wird ab 4. Dezember gezeigt, Manfred Trojahns neue Oper „Eurydice – die Liebenden, blind““ wird am 5. März 2022 uraufgeführt, und Barrie Kosky wird einen dreiteiligen Puccini-Zyklus ab 12. April 2022 mit „Tosca“ beginnen.
Rudolf Hermes, 23.11.21