Premiere: 5. September 2019
Besuchte Vorstellung: 21. September 2019
Bei dem Verismo-Doppel „Pagliacci/ Cavalleria Rusticana“ hat die Regie meist nicht viel zu tun. Fremdgehen, Eifersucht und Tod müssen glaubhaft und mit viel Leidenschaft auf die Bühne gebracht werden, dann ist der Abend gerettet. In Amsterdam macht sich Robert Carsen mehr Mühe, verzahnt beide Stücke und siedelt sie in der Welt des Theaters an.
Robert Carsen beginnt mit „Pagliacci“, kann also dem ganzen Abend den Prolog voranstellen, den Roman Burdenko mit großer und leicht aufgerauter Stimme singt. Im weiteren Verlauf des Abends übernimmt der Bariton auch noch die Rollen des intriganten Tonio und des eifersüchtigen Fuhrmanns Alfio. Der von Chieng-Lien Wu bestens einstudierte Chor der Amsterdamer Oper sitzt Anfang im Publikum, repräsentiert also auch die anderen Zuschauer im Saal.
Carsen spielt nämlich mit dem Sein und Schein des Theaters, hat sich von dem italienischen Dramatiker Luigi Pirandello inspirieren lassen: Die Komödianten sind Opernsänger, die vom Publikum angehimmelt werden. Bühnenbildner Radu Boruzescu hat die Amsterdamer Bühne durch ein weiteres Portal verdoppelt. Erleben wir die Sänger in ihren scheinbaren Rollen, schauen wir von vorne auf den roten Vorhang, erleben wir sie privat und backstage, so dreht sich das Portal und wir schauen in die Beleuchtungsbrücken.
Tenor Brandon Jovanovich singt den Canio mit kräftiger und heller Stimme, seinen großen Monolog gestaltet er mit expressivem Ausdruck, verzichtet aber erfreulicher Weise auf die von Caruso eingeführten Schluchzer. Aylin Pérez glänzt als selbstbewusste Nedda mit schön geführtem höhensicherem Sopran, der auch dramatisches Potenzial erkennen.
Das Schlussbild von „Pagliacci“ präsentiert uns einen realen Tod auf der Opernbühne, doch wenn zu „Cavalleria Rusticana“ der Vorhang hochgeht, wird dies als reines Theater entlarvt. Die lebenden und toten Figuren gehen gemeinsam plaudernd von der Bühne ab, es war halt doch nur Theater.
Die Eifersuchtsgeschichte von „Cavalleria Rusticana“ ist nun in der Welt des Opernchores angesiedelt: Fahrbare Schminktische sind der Hauptbestandteil des Bühnenbildes. Der Osterchor wird als Probe im Chorsaal gezeigt. Lola, Alfio und Turridu sind Mitglieder des Chores, Mama Lucia ist die Theaterdirektorin oder Inspizientin. Trotz weitgehend leerer Bühne findet Carsen für diese Geschichte starke Bilder, so wenn Santuzza unter den Choristen, die dem Publikum den Rücken zugewandt haben, nach Mama Lucia sucht.
In den Genre-Szenen, nämlich Alfios Fuhrmannslied und Turridus Trinklied knirscht das Konzept jedoch ein bisschen. Zum Fuhrmannslied feiert Alfio seinen Geburtstag, doch wie passt der Text dazu? Ist es wirklich glaubhaft, dass im Chorsaal so heftig gezecht wird wie bei Turridus Trinklied?
Die Realität des Finales hinterfragt Carsen erneut: Santuzza und Mama Lucia bleiben auf der Bühne allein zurück, dann rast der rote Vorhang von oben herunter und kommt schließlich auf dem Bühnenboden zu liegen. Doch da ist die Bühne schon wieder leer, und das Publikum schaut in einen großen Spiegel und sieht sich selbst.
Auch die „Cavalleria“ ist stark besetzt. Anita Rachvelishvili ist eine feurig glühende Santuzza, Brian Jadge als Turridu verfügt über einen farbenreichen und stämmigen Tenor. Als Lola gefällt Rihab Chaieb mit weichem Mezzo. Eine echte Überraschung ist Elena Zilio als Mama Lucia. Die Sängerin steht seit 1963 auf der Opernbühne, sang in den 70er und 80er Jahren das große Koloraturfach und verfügt immer noch über eine hörenswerte und saubere Stimme.
Am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest stellt sich Lorenzo Viotti vor, der ab 2021 den Posten des Chefdirigenten in Amsterdam von Marc Albrecht übernehmen wird. In den Vor- und Zwischenspielen betont Viotti die lyrische und melodische Seite der Musik, in den Opern unterstreicht er den dramatischen Gehalt der Musik und ihre Emotionalität.
Da Robert Carsens Inszenierungen weltweit gefragt sind und als Koproduktionen über die Kontinente wandern, darf man gespannt sein, welches Opernhaus diesen Verismo-Abend nachspielt.
Rudolf Hermes 24.9.2019
Bilder DNO