Essen, Ballett: „Schwanensee“, Peter Tschaikowsky

Sie ist schon fast zu schön, um wahr zu sein, diese Produktion  von Tschaikowskis Ballettklassiker. Die beiden weißen Akte sind ein Musterbeispiel an zeitloser Schönheit und bestechend reiner Technik, an Präzision und Synchronität. Traumhaft. Dabei wird stets die elegante, beinahe ätherische Leichtigkeit gewahrt. Ein Riesenkompliment also an die gesamte Compagnie des Aalto Ballett Essen, den Choreografen Ben van Cauwenbergh und Monique Janotta, die für das Coaching der „Weißen Akte“ verantwortlich zeichnet. Bernd Hagemeyer hat die Bühne wunderbar klar ausgelichtet, Valeria Lampadova steuerte stimmungsvolle Videosequenzen bei. Das Bühnenbild und die Kostüme von Doris Gal sind von klassisch – romantischer Schönheit: Der erste Akt zeigt den Schlossgarten mit schmiedeeisernem Tor, im Hintergrund der See (Prinz Siegfried und sein Freund Benno kommen gerade vom erfrischenden Bad im See) und eine Hügellandschaft.

© Bettina Stöß

Der zweite und der vierte Akt spielen am und im See, mit viel Theaternebel, einem riesigen schwarzen Tuch für die Welle, die Siegfried in die Tiefe reißt und fantastischem Licht. Im dritten Akt befinden wir uns in einem prunkvollen, spätgotischen Festsaal. Hier werden die stupend ausgeführten Nationaltänze vorgeführt, einer mit verblüffenderer Akrobatik und perfekterer tänzerischer Souveränität als der andere. Der ungarische Tanz wird angeführt von Marie Van Cauwenbergh und Benjamin Balazs, der spanische von Yusleimy Herrera León und William Emilio Castro Hechevarría, der italienische wird rasant ausgeführt von den zwei Paaren Anna Maria Papaiacovou, Joel Dichter, Sena Shirae und Matheus Barboza De Jesus. Im polnischen Tanz sind es Julia Schalitz und David McMillan Mikkelsen, die ebenso zu begeistern vermögen wie Yuki Kishimoto und Kieren Bofinger im virtuos dargebotenen russischen Tanz.

Wie gesagt, da reihte sich eine begeisternde Gala-Performance an die nächste! Eine besondere Freude breitet sich beim Publikum auch immer über den berühmten Tanz der kleinen Schwäne aus: Yusleimy Herrera León, Sena Shirae, Anna Maria Papaiacovou und Yanelis Rodriguez bleiben ihrem Auftritt nichts an verblüffender Beinarbeit auf der Spitze schuldig, genauso wie die beiden großen Schwäne Yuki Kishimoto und Julia Schalitz an Eleganz und schwerelos schwebendem Spitzentanz. 

© Bettina Stöß

Mariya Tyurina verblüffte und berührte mit ihrer außerordentlichen Virtuosität, wirkte kalt und berechnend als Odile und mit Eleganz leidend als Odette. Siegfried wurde mit kraftvoller Geschmeidigkeit und raumgreifenden Sprüngen von Moises León Noriega interpretiert, zusammen mit dem quirligen, virtuos tanzenden Benno von Davit Jeyranyan war Siegfried noch von burschikoser Fröhlichkeit zu Beginn des ersten Aktes, doch unter den strengen Blicken seiner Mutter (diese elegante Königin wurde von Yulia Tsoi gespielt, eine sehr pantomimisch angelegte Rolle) wurde er ernster, introvertierter. Der bedrohliche Rotbart war bei David Bassénz bestens (heißt unheimlich) aufgehoben.

Wenn auch das, was man auf der Bühne erleben durfte etwas gar klinisch sauber und somit blutleer war, so erspürte man die ganz großen Emotionen durch die Musik: Das dräute bedrohlich, da stiegen Gänsehaut erregende, spätromantische Schwaden hoch, da wurde Dramatik spürbar. Wolfram-Maria Märtigführte die erneut hochklassig aufspielenden Essener Philharmoniker zu mitreißender Interpretation, mit vielen herrlich herausgearbeiteten Soli der Holzbläser und transparentem Musizieren in den kammermusikalischen Passagen (z.B. im Russischer Tanz).

© Bettina Stöß

Gewählt wurde für diese schöne, auf der Originalchoreografie von Marius Petipa und Lee Iwanow fußende Produktion das Happy End: Es war alles nur ein böser Traum des Prinzen, Odette und er sind in einer Art von Harfen umspielter Apotheose vereinigt. Nett und familienfreundlich – als Erwachsener hätte ich mir gerne ab und zu etwas subversiven „Dreck“ im ganzen klinisch reinen Getriebe gewünscht. Andererseits ist es sehr zu begrüßen, dass die Tänzer auch mal wieder zeigen können, was sie in all den vielen Jahren des harten, entbehrungsreichen Trainings gelernt haben und nicht an Choreografen geraten, die ihnen sagen, sie sollen das alles vergessen.

Kaspar Sannemann 22. Dezember 2024


Schwanensee
Peter Tschaikowsky
Aaalto Theater Essen

20. Dezember 2024
Premiere 27. Januar 2018

Choreografie: Ben van Cauwenbergh und Monique Janotta
Wolfram-Maria Märtig
Essener Philharmoniker