Premiere: 8.10.2016, besuchte Vorstellung: 16.10.2016
„Gesegnet soll sie schreiten“ – ein Wunschgedanke
Bellinis Oper ist in Deutschland gar nicht so bühnenabstinent, wie man es bei diesem ausgepichten Belcanto-Werk annehmen könnte. Im Vorjahr wagte man es sogar in Coburg, und das südliche Nordrhein-Westfalen, Reiseregion des Rezensenten, bot in letzter Zeit Inszenierungen in Dortmund, Bonn, Krefeld sowie – erst im März dieses Jahres – in Gelsenkirchen. Speziell in diesem Falle wäre zu fragen, ob Essen mit seiner Neuproduktion des Guten nicht zu viel tut. Immerhin liegen beide Städte nur wenige Kilometer auseinander. Dass das Aalto Musiktheater rund 15 Jahre nach einer konzertanten „Norma“ (unter Stefan Soltesz und mit Luana DeVol in der Titelpartie) unbedingt nach einer szenischen Version süchtig war, ist nicht anzunehmen. Ein triftiger Grund hätte allenfalls sein können, dass für das schwierig zu inszenierende Werk ein besonders inspiriertes Regie-Team zur Verfügung stand.
Zur Stelle waren jedoch Tobias Hoheisel und Imogen Kogge (in dieser etwas unhöflichen Reihenfolge sind die Namen auf dem Besetzungszettel vermerkt). Er ist hauptberuflich Ausstatter, sie Schauspielerin, in diesem Bereich Künstler von anerkanntem Rang. Was sich unter ihrer Leitung jedoch am 16.10. bot (vierte Vorstellung nach der bedauerlicherweise versäumten Premiere am 8.10.), war biederes Stehtheater wie bei einer „Aida“ in Verona. Hoheisel hat zwar eine in ihrer architektonischen Kühle durchaus attraktive Bühne geschaffen (bewegliche, farbvariable Rundwände, vertikal strukturiert und immer wieder neu beleuchtet), aber als Regisseur bleibt er – wie auch seine Kollegin Imogen Kogge – quasi anonym, was Erinnerungen an eine fade Kölner „Anna Bolena“ zurückruft.. Es scheint, als haben sich beide an die Bemerkung des Chores kurz vor dem ersten Auftritt der Titelheldin gehalten: „Norma schreitet“ (alte Übersetzung). In der Tat wird dekorativ geschritten, in Pose gestellt, werden die Hände gerungen. Man kann nur hoffen, dass sich Hoheisel/Kogge nicht irgendwann „Lohengrin“ zur Brust nehmen. Dort lautet eine Chorpassage nämlich sogar „Gesegnet soll sie schreiten“.
Wenn die Aufführung dennoch hochgelobt wird, so wegen ihres wahrhaft exorbitanten musikalischen Niveaus. Giacomo Sagripanti lässt sogleich in der Ouvertüre Bellinis Qualitäten aufscheinen: Belcanto mit seinen oft so simpel erscheinenden Begleitfiguren, bei diesem Dirigenten aber essenzielle Kommentare; dazu bei Bedarf schlagkräftige, akkordisch präzise Dramatik. Die Tempi hält der Sagripanti stets vorwärts drängend, lässt kein übertrieben süßliches „Verweile doch, du bist so schön“ zu. Die Essener Philharmoniker spielen, als säßen sie im Orchestergraben der Mailänder Scala.
Bei den Sängern steht Albrecht Kludszuweit als tenoral klar konturierender Flavio für die hohe Qualität des Essener Festensembles. Die Berlinerin Bettina Ranch gehört ihm seit dieser Spielzeit an. Sie bietet als Adalgisa die früher ausschließlich gebräuchliche Mezzovariante, obwohl man heute vermehrt zur originalen Sopranfassung greift. Die dunklere Stimmfärbung hat nach wie vor viel für sich, vor allem, wenn sie zu einer heller timbrierten Norma günstig kontrastiert – wie jetzt. Diese Partie hat Katia Pellegrino inne, mit der Norma bereits durch etliche Bühnenaufführungen vertraut. Wenn man einige leicht scharfe Top-C´s nicht über Gebühr in Rechnung stellt, kann man dieses gleichermaßen belcanteske und mit dramatischem Furor gewürzte Rollenporträt nur bewundern.
Gianluca Terranova verfügt über einen feurigen, höhenglänzenden Tenor. welcher Verve und subtile Pianotönung zu vereinigen weiß. Mit einem kernigen basso profondo wartet Insung Sim als Oroveso auf. Liliana De Sousa macht aus der Clotilde, was aus dieser bedeutungslosen Partie halt zu machen ist. Die Kostümierung lässt sie allerdings wie eine bessere Putzhilfe aussehen. Prachtvoll der Chor (Jens Bingert) .Er muss freilich mit Schwertern fuchteln und synchron herum stapfen, dass Gott erbarm.
Christoph Zimmermann 17.10.16
Bilder siehe unten: Premierenbesprechung!