Besuchtes Konzert am 23. Oktober 2020 im HR-Sendesaal
Katia und Marielle Labèque (Klavier), Andrés Orozco-Estrada (Dirigent)
Bryce Dessner: Konzert für zwei Klaviere und Orchester
Antonín Dvořák: 8. Sinfonie
Rhythmische Finesse
Großer Dank ist dem Hessischen Rundfunk zu zollen, der es den Zuhörern ermöglichte, in der omnipräsent geschürten Corona-Panik, eine Stunde der musikalischen Seligkeit zu erleben. Ausgezeichnet ausgearbeitet war das durchdachte Hygiene-Konzept, so dass das Publikum sich im hr-Sendesaal gefahrlos fühlen konnte. DANKE an alle Beteiligten!
Im Rahmen seiner deutschen Erstaufführung erlebten die Zuhörer das Konzert für zwei Klaviere und Orchester des US-Komponisten Bryce Dessner, der eine „Corona-Fassung“ für reduziertes Orchester im Sommer 2020 schrieb.
Als Gitarrist der amerikanischen Rockband »The National« ist Dessner bekannt und derzeit beim Hessischen Rundfunk »Composer in Residence« in dieser Spielzeit. Stilistisch lässt seine kompositorische Handschrift Elemente der Minimal Musik erkennen, ebenso sind Anklänge des Jazz zu vernehmen. Dessner hat dieses Werk den Schwestern Labèque gewidmet, die während der Komposition, die 2018 ihre Uraufführung erlebte, im aktiven Dialog mit Dessner standen. Bis 2022 darf dieses Werk ausschließlich von diesen Künstlerinnen gespielt werden.
An den beiden Klavieren war nun also das berühmte Schwestern-Duo Katia und Marielle Labèque zu erleben. Beide Künstlerinnen agierten perfekt aufeinander eingestimmt. Ihre Virtuosität und die gestalterische Empathie waren faszinierend im musikalischen Erlebnis. Keinerlei Unsicherheit in den hoch virtuosen Läufen des ersten Satzes. Herrlich das Zusammenspiel der ostinaten Rhythmen mit dem Orchester. Immer wieder ertönte leitmotivisch eine viertönige Sequenz, die vom Orchester beantwortet wurde. Dessner gelang eine faszinierend eingängige Komposition mit einem intensiven Farbspektrum. Das hr-Sinfonieorchester war von seinem Dirigenten Andrés Orozco-Estrada hervorragend einstudiert. Mit großer Begeisterung und ebensolcher Souveränität blieb der fabelhafte Klangkörper der Komposition nichts schuldig. Die beiden Künstlerinnen und der Dirigent verblüfften mit ihrem intensiven musikalischen Dialog. Ein hinreißender Auftakt!
Im zweiten Teil wurde das Publikum mit einer mitreißenden Darbietung von Antonín Dvořáks 8. Sinfonie beschenkt. Der Komponist leitete selbst die Uraufführung seines Werkes 1890 in Prag. Unendlich sind seine genialischen melodischen Einfälle und der pulsierende Rhythmus der musikalischen Themen.
Der scheidende Chef-Dirigent Andrés Orozco-Estrada kann eine intensive Beschäftigung mit dem Werk des tschechischen Meisterkomponisten vorweisen. Verschiedene CD-Einspielungen zeigen seine Affinität zu dieser Musik.
Mit Elan und Kantabilität intonierte die homogene Cellogruppe das choralartige Eingangsthema, gefolgt von subtilen Blechbläserfarben im Dialog mit den Vogelstimmen der Holzbläser. Freude und rauschender Lebensenthusiasmus wurden vom Dirigenten und seinem Orchester ausgezeichnet zur Geltung gebracht.
Im Adagio kam die Musik völlig zur Ruhe. Sehnsucht, Impressionen einer weiten Landschaft mit einem feinen Chor aus Naturlauten in einer nie endenden Melodie formulierte Dvořák in einem hinreißenden Satz musikalischer Vollendung. Orozco-Estrada ließ die Melodie blühen und atmen. Immer wieder begeisterte sein überragendes Timing, die Überlegenheit in der dynamischen Gestaltung.
Das sensible Orchesterspiel geriet berührend und transparent zugleich. Auch in den Forte Aufschwüngen blieb die Klangkultur jederzeit gewahrt. Die Zeit stand still, das Eintauchen der Seele in den musikalischen Kontext geriet geradezu mustergültig.
Ein heiteres Intermezzo dann im Walzer des dritten Satzes, den der Dirigent bereits als Spannungsaufbau zum beschließenden „Allegro ma non troppo“ begriff. Großzügig ausgestaltet intonierten die Streicher das Haupthema.
Im vierten Satz ließ Orozco-Estrada sein Orchester mit intensiven Fanfaren in den Trompeten losstürmen. Die Hörner konnten da mit ihren grellen Trillern trefflich Paroli bieten. Völlig souverän dann das herrlich virtuose Solo der Flöte. Lebensfreude pur und tänzerischer Elan waren allgegenwärtig.
Das hr-Sinfonieorchester zeigte den ganzen Abend in allen Orchestergruppen hohe Spielkunst. Es war ein stimmiger Dialog zwischen Dirigent und dem fabelhaften Klangkörper. Die Musiker agierten gelöst und begeistert. Eine ungewöhnliche Klangerfahrung bot sich dem Zuhörer, bedingt durch die halbierte Streicherbesetzung. So erklang das Orchester sehr transparent und der Wechsel zwischen Streichern und Holzbläsern geriet besonders intensiv.
Das hr-Sinfonieorchester war in großer Spiellaune. Perfekt realisiert war der heikle Unisono-Einsatz der Trompeten im vierten Satz mit überwältigender Strahlkraft, Bravo an die Trompeter Lars Ellenson und Norbert Haas!
Solo-Flötistin Clara Andrada de la Calle verwöhnte vor allem im zweiten und vierten Satz mit einfühlsamer und virtuoser Kantilene.
Großes Lob auch an die Klarinettisten Tomaž Močilnik und Sven van der Kuip, die mit warmer Tongebung den zweiten Satz veredelten.
Konzertmeister Florin Iliescu feuerte seiner Streichergruppe mit unermüdlichem Einsatz an und berührte tief mit seinem Solo.
Besondere Akzente kamen von Lars Rapp an der Pauke, der mit unterschiedlichen harten Schlägeln sehr gut die prägnanten Rhythmen formulierte.
Alles in allem also eine hervorragende Interpretation des HR-Sinfonieorchesters mit seinem Dirigenten Andrés Oroczco-Estrada.
Das Publikum zollte große Begeisterung
Dirk Schauß, 24.10.2020