Premiere: 25. Juni 2021
Für diese Produktion des Opernstudios NRW fährt das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier die ganz große Technik auf: Nicht nur, dass es einen Laserahmen auf der Bühne gibt, nein! Das Publikum im Zuschauerraum benötigt auch noch Virtual-Reality-Brillen, um sehen zu können, was sich in den Köpfen der Figuren abspielt. Betrieben wird der ganze Aufwand für zwei Aufführungen vor 150 Zuschauern.
Von Giovanni Paisello wissen die hartgesottenen Opernfans, dass er schon vor Rossini den „Barbier von Seviglia“ vertonte.
Sein „Il Re Teodoro in Venezia“ war aber auch schon in Deutschland zu sehen: 2004 bei den Schwetzinger Festspielen als Produktion der Karlsruher Musikhochschule und 2006 an der Kölner Musikhochschule. Dieses Stück scheint also etwas für junge Sänger zu sein und auch in Gelsenkirchen handelt es sich nicht um eine Produktion des hauseigenen Ensembles, sondern das Opernstudio NRW, das seine Sängerinnen auf Essen, Dortmund, Wuppertal und eben Gelsenkirchen verteilt, ist hier zu erleben.
Die Geschichte dieses Stückes erinnert an deutsche Spielopern, ist aber gleichzeitig kapitalismuskritisch: Teodoro, der ehemalige König von Korsika, ist nach Venedig geflüchtet, und macht der Wirtstochter Lisetta schöne Augen. Sie ist zwar mit Sandrino verlobt, doch eine Heirat mit Teodoro versprechen ihr und ihrem Vater Taddeo den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg. Am Ende zeigt sich, dass König pleite ist, die Hochzeit platzt, und das Finale der Oper findet im Schuldturm statt. Paisello hat dazu eine typische Musik der Wiener Klassik geschrieben, ohne dabei die psychologischen Tiefen und die Originalität Mozarts zu erreichen. Dirigent Robin Phillips gibt der Musik am Pult der in Kammerbesetzung aufspielenden Neuen Philharmonie Westfalen den nötigen Schwung und kitzelt die Eleganz der Komposition heraus. Da macht das Zuhören und das Entdecken dieser kaum gespielten Oper Spaß.
Das Ensemble zeigt sich gut bei Stimme: Timothy Edlin singt mit hellem Bariton den König Teodoro, viel lyrische Qualitäten zeigt Adam Temple-Smith als sein Nebenbuhler Sandrino. Mit geschmeidigem Bass und komödiantischem Talent gefällt Demian Matushevskyi. Das abwechlungsreichste Rollenporträt präsentiert aber Wendy Krikken als Lisetta. Mit lyrischem Sopran bringt sie das Gefühlswirrwar der jungen Frau, ihre Träume, Sehnsüchte und Zweifel sehr schön zum Klingen. Eigentlich müsste die Oper „Lisetta“ heißen, so stark rückt diese Figur ins Zentrum. Einen kurzen aber starken Auftritt hat Mercy Malieloa als Melissa. Mit großem dramatischen Feuer stürzt sie sich in die einzige Arie, die sie singen darf, so dass man sich an die rachsüchtige Vitellia in Mozarts „Titus“ erinnert fühlt. Die Inszenierung von Sebastian Welker hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Natürlich ist man von der Technik und ihren optischen Spielereien beeindruckt, aber die Personenführung kommt oft zu kurz. Meist erlebt man in den Arien nur Rampenstehen. Natürlich können die Sänger aufgrund der Corona-Abstände nicht so ungezwungen agieren wie in normalen Zeiten, trotzdem wirkt der Laserrahmen, den Ausstatterin Galya Solodovnikova oft wie ein Hindernis, dass eine vernünftige Interaktion der Darsteller behindert.
Der nach hinten ansteigende Rahmen wirkt wie eine Wasserfläche, auf der grüne Algen schwimmen, aus denen die Sängerinnen immer wieder auftauchen. Haben sie größere Szenen so sitzen oder stehen sie auf Podesten, so dass sie in unterschiedlicher Höhe aus der Laser-Wasser herausragen. Mehr Bewegung ist dann aber nicht möglich. Originell ist auch die Idee mit den VR-Brillen: Wenn auf der Leinwand über der Bühne das Gesicht einer Figur erscheint, weiß der Zuschaue, dass er jetzt mit Hilfe der VR-Brillen nachschauen kann, was im Kopf dieser Figur vorgeht. Das Team aus Daniel Wolf und Max Friedrich erschafft fantastische 360-Grad-Bilderwelten, in denen die Figuren von Liebesglück träumen oder Todesängste ausstehen. Nutzt man die VR-Brille, sieht man aber nicht mehr, was auf der Bühne passiert. Einfacher wäre es gewesen, diese Filme über die Leinwand in das Geschehen zu integrieren. Da der Einsatz von VR-Brillen in der Oper noch am Anfang steht, wird dieser Bereich in den nächsten Jahren bestimmt eine spannende Entwicklung durchmachen.
Fotos:© Isabel Machado Rios