Premiere: 28.10.2017, Zweitvorstellung: 1.11.2017
Bemerkenswerter Einsatz für ein selten gespieltes Werk
Die Wahl der Hindemith-Oper „Mathis der Maler“ am Musiktheater im Revier ist ein Reflex auf die Reformation vor 500 Jahren. Ob es noch weitere musikalische Bühnenwerke gibt, welche auf dieses Ereignis anspielen – womöglich unter dezidierter Nennung des Namens Martin Luther – ist nicht verlässlich zu sagen. Hindemiths Wunsch, eine historische Figur zum Opernmittelpunkt zu machen (außer an Matthias Grünewald dachte auch an Johannes Gutenberg), stieß weder bei seinem früheren Librettopartner Bertolt Brecht noch bei Gottfried Benn auf Interesse. So verfertigte sich Hindemith sein Libretto höchstselbst, wobei er sich an der Sprachform Friedrich Hölderlin orientierte. Es erfordert also einige Aufmerksamkeit, dem Sujet (trotz hilfreicher Übertitel) auf der Spur zu bleiben. Und Hindemiths Musik ist bei allem dramatischen Aplomb und klangfarblicher Schattierung schon ein wenig spröde, zumindest in den ersten vier Bildern.
Dass die Uraufführung der Oper (1938 in Zürich) wohlwollend aufgenommen wurde, hatte sicher auch damit zu tun, dass Hindemith (wie Alban Berg bei seinen drei Bruchstücken aus “Wozzeck“) dem Bühnenwerk Instrumentalszenen vorausgehen ließ, welche als Sinfonie 1934 unter der Stabführung Wilhelm Furtwänglers ihre Premiere erlebten. Auch für die Oper setzte sich der Dirigent ein, wagte sogar einen kritischen Zeitungsartikel („Der Fall Hindemith“). Ob er sich mit der Figur des Mathis (schwankend zwischen sich selbst genügendem Künstlertum und gesellschaftlichem Engagement) in irgendeiner Weise identifizierte, wäre durchaus vorstellbar.
Hindemiths Oper beschreibt eben dieses Dilemma, für dessen Lösung es kein „Rezept“ gibt, zumal in politisch prekären Zeiten wie dem aufkommenden Nationalsozialismus. Flucht ins Ausland oder innere Emigration (unter welchen Konditionen auch immer) – das wurde auch bei Intellektuellen immer nach eigenpsychologischer Befindlichkeit entschieden und gestattet letztlich keine besserwisserische Kritik. Trotz eines tröstlichen Endes bleibt auch für Mathis die schicksalsschwere Frage bestehen: „Ist, dass du schaffst und bildest, genug?“ Da hilft die Überlegung „Dem Kreis, der uns geboren hat, kann man nicht entrinnen“ relativ wenig.
Hindemiths unverkennbar politisch gefärbter „Mathis“ ist somit ein Werk speziell für reflektiv veranlagte Zuschauer. Dass die Oper eine recht günstige Aufführungsstatistik in den ersten Jahren nach 1945 aufweist, nimmt nicht wunder. Doch dann gingen die Produktionen deutlich zurück, auch zwei Plattenaufnahmen (besonders repräsentativ die von Rafael Kubelik mit Dietrich Fischer-Dieskau, 1977) gerieten zu lediglich marginalen Zäsuren. Gelsenkirchens Aufführungsmut ist also nachdrücklich zu loben. Der starke Beifall in der besuchten zweiten Vorstellung galt aber wohl primär den sängerischen Leistungen und dem souveränen Spiel der Neuen Philharmonie Westfalen. Mit ihr sorgt Rasmus Baumann sowohl für vibrierende Dramatik und kraftvolles Pathos als auch für klangfiligrane Momente.
Die Oper beruft sich ziemlich exakt auf historische Vorgänge, ganz real auch auf die Figur Martin Luthers. Macht es da wirklich Sinn, wenn Kostüme (Renée Listerdal) das Geschehen in der Gegenwart verorten? Bühnenkleidung muss mitnichten in Pomp und Plüsch versinken, wenn sie sich an der im Libretto vorgegebenen Zeit ausrichtet. Am Musiktheater im Revier reiben sich Handlung und Kostüme jedenfalls recht häufig. Die Bühnenbildnerin Heike Scheele hat es leichter. Ihre zu immer neuen Räumen verschiebbaren hellen Wände (mit sakral wirkenden Rundbogen) wirken architektonisch sinnfällig, ohne mit realistischen Accessoires zu übertreiben.
Die Inszenierung des Intendanten Michael Schulz beginnt mit Filmaufnahmen eines künstlerischen wie auch erotischen Miteinanders von Mathis und Ursula, der Tochter des reichen Protestanten Riesinger, ein Verhältnis, welches glücklich abgeschottet scheint von den Vorkommnissen in der Außenwelt. Bis zur Pause (nach dem vierten Bild) wirkt die Regie etwas unverbindlich, vermag die sozialen Konflikte nur bedingt zu bebildern. Wirklich stark dann aber die Szene im Odenwald mit den plastisch geführten Chormassen. Beklemmend auch die Idee, dass die junge Regina unfreiwillig ihren geliebten Vater erschießt, indem ihr von radikalen Katholiken die Hand geführt wird. Diese kurze Szene wirkt wie ein Brennpunkt der religiös aufgeputschten Feindseligkeiten während der Reformationsjahre. Eine durchwachsene Inszenierung also, in der Summe dennoch weitgehend gültig.
Die weiblichen Sänger schneiden besonders gut ab. Yamina Maamar als Ursula lässt vokal wie auch darstellerisch ein komplexes Frauenschicksal entstehen. Zu ihrem leicht dunkel gefärbten Sopran kontrastiert Bele Kumberger (Regina) mit ihrer lichten Stimme, Almuth Herbst gibt der Gräfin Helfenstein nachdrückliches Profil. Aus dem Kardinal Albrecht von Brandenburg formt Martin Homrich einen starken, vitalen Charakter. Rein stimmlich wird er von Tobias Haaks‘ heldenfrischem Tenor (Hans Schwalb) leicht überflügelt. In der Titelpartie weiß Urban Malmberg ungeachtet leichter vokaler Anstrengungen durchgehend zu fesseln. In seinem hellen Straßenanzug wirkt er zunächst freilich wie eine nicht ganz rollenstimmige Mixtur von Brittens Aschenbach, Millers Handlungsreisendem und Künnekes Vetter aus Dingsda. Den Riedinger porträtiert Luciano Batinic mit seinem kraftvollen Bariton zutreffend. Unterschiedlich überzeugen Edward Lee (Capito), Joachim Gabriel Maaß (Pommersfelden), Jacoub Eisa (Waldburg), Tobias Glagau (Schaumburg) und Apostolos Kanaris (Pfeifer des Grafen).
Christoph Zimmermann 2.11.2017
Bilder siehe unten Premierenbesprechung!