Gelsenkirchen: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2024/25“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach dem Staatstheater Nürnberg blicken wir heute auf das Theater im Revier Gelsenkirchen.


Beste Produktion:
Kaija Saariahos Innocence über die Hinterbliebenen und Opfer eines Amoklaufs als deutsche Erstaufführung. Das Libretto von Sofi Oksanen ist schon ein unter die Haut gehender Krimi, Saariaho hat dazu eine packende Musik geschrieben, Regisseurin Elisabeth Stöppler bringt das eindringlich auf die Bühne.

Kluge Spielplanpolitik:
Während andere Häuser zeitgenössische Opern in fünf Vorstellungen innerhalb von drei Wochen als Pflichtübung abwickeln, erstrecken sich die neun Innocence-Vorstellungen über sechs Monate. Die Qualität der Aufführung kann sich so herumsprechen. Besucher, die das Stück schon gesehen haben, besuchen nach einigen Monaten auch noch eine weitere Vorstellung. So wird auch eine zeitgenössische Oper zu einem Erfolgsstück, das vom Publikum monatelang gefeiert wird

Erste Überraschung:
Im Augst 2024 wird bekannt, dass Intendant Michael Schulz nach 17 Jahren nach zum Beginn der Saison 25/26 nach Saarbrücken wechselt. Die nächste Spielzeit hat er aber noch geplant.

Zweite Überraschung:
Im April 2025 wird Frank Hilbrich als neuer Intendant ab der Saison 26/27 vorgestellt. Sein Essener Rigoletto von 2017 war eher schwach. Sein Falstaff, den er im Juni 2025 in Gelsenkirchen herausbringt, ist eine spielfreudige und gut gelaunte Arbeit. Seine Qualität als Intendant wird nicht nur von den eigenen Regiearbeiten abhängen, sondern von der Qualität des Ensembles und der weiteren Regiearbeiten sowie der Auswahl der Stücke.  

Vielseitiges Ensemble:
In Gelsenkirchen erlebt man ein echtes Ensembletheater, in dem die Sänger in den unterschiedlichsten Rollen glänzen und ihre sängerische Vielseitigkeit zeigen können:

  • Margot Genet beeindruckt erst als Braut in Innocence und lässt ihren Sopran als Gretel in Hänsel und Gretel, in La Boheme als Musetta und Nannetta in Falstaff funkeln.
  • Hejin Kim präsentiert sich mit auftrumpfenden Sopran ebenfalls als Gretel, außerdem als Boheme-Mimi sowie als Alice Ford in Falstaff.
  • Khanyiso Gwenxane singt mit seinem schönen Tenor den Bräutigam in Innocence und kann seine Belcanto-Qualitäten als Rodolfo in La Boheme und Fenton in Falstaff unter Beweis stellen.

Gäste:
Kommen in Gelsenkirchen aufgrund der Qualität des Ensembles kaum zum Einsatz. Ausnahme ist lediglich Innocence, wo Hanna Dora Sturludottir ein eindringliches Porträt der Opfer-Mutter singt und Folksängerin Erika Hammaberg als Schülerin Marketa.   

Ökologisches und ökonomisches Bühnenbild:
Für ihr Bühnenbild zu Hänsel und Gretel greift Heike Scheele auf ihre sehenswerte Ausstattung zu Das schlaue Füchslein aus dem Jahr 2022 zurück. Eine umweltfreundliche und finanziell kluge Entscheidung. Vielleicht macht dieses Modell Schule, zumal viele Bühnenbildner regelmäßig mit austauschbaren Schrägen, Wänden oder Innenräumen arbeiten, die sie von Stück zu Stück nur variieren.

Gesamteindruck:
Neben der herausragenden Innocence-Produktion bietet Gelsenkirchen mit Hänsel und Gretel, La Boheme und Falstaff sowie den beiden Musicals Der kleine Horrorladen und Der Mann von La Mancha einen am Zuschauer orientierten Spielplan mit beliebten Werken, die sehenswert auf die Bühne gebracht werden. In Gelsenkirchen wird Theater für das Publikum gemacht und nicht für die Kritiker. 


Die Bilanz zog Rudolf Hermes.