Aufführung am 27.02.14 im Grand Théâtre (Premiere am 25.02.14)
Christoph Waltz inszeniert zu ersten Mal Oper
Es ist die letzte große populäre Oper des Hauptrepertoires, die noch vom Opernesprit des 19. Jhdts durchzogen ist, des „großen Opernjahrhunderts“. „Komödie für Musik“ in drei Akten nennen die Autoren das Werk; aber es ist auch von Weltschmerz und Melancholie durchzogen. Das liegt sicher nicht zuletzt daran, dass das Werk zugleich in zwei Endzeitepochen mit Dekadenzerscheinungen angelegt ist: in der vorrevolutionären Zeit des 18. Jhdts. und in der Endzeitstimmung vor dem Ausbruch der Mutter aller europäischen Kriege, der Entstehungszeit der Oper kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit der Selbstzerstörung des Kontinents. Was vielfach als musikalisches Paradoxon bezeichnet wird, nämlich die Rosenkavalier-Walzer anstelle der Menuette des Spätrokoko der „Originalhandlung“, ist nichts weiter als die Beglaubigung dieser epochalen Zweigleisigkeit. Fließen aus klassischer und Rokokozeit Einfälle von Molière (Der reiche eitle Bürger) und Mozart ein (Verkleidungskomödie im Kabinett), so kommen aus der Entstehungszeit, der lächerliche Standesdünkel des bedeutungslos gewordenen Landadels und die nach die Emanzipation strebende reich gewordene Bürgergesellschaft zur Geltung. Interessant ist, dass die „lüderliche“ Bettszene im ersten Akt zur Rokokozeit gar nicht anstößig gewesen wäre, während sie die Uraufführung der Oper im prüden Berlin von 1911 verhindert hatte, so dass sich die „interessierten“ Berliner in Sonderzügen nach Dresden schaffen ließen, um das zu sehen…
Immer mal wieder hat sich das „moderne Regietheater“ auch den Rosenkavalier vornehmen wollen. Aber dabei ist es meist bei interessanten Neubebilderungen geblieben, die das eine oder andere herausgehoben habe, aber an das Innere des Rosenkavaliers kamen auch Jungregisseure mit Neudeutungsversuchen nicht heran. Man kommt immer wieder auf das das Regiebuch von 1911 zurück. Das ging auch dem zweifachen Oscar-Preisträger Christoph Waltz nicht anders, der mit diesem Rosenkavalier seine erste Operninszenierung vorstellt. Es handelt sich um eine Koproduktion mit der Vlaamse Opera, die die Produktion am 15.12.2013 in Antwerpen herausbrachte, dem Royal Opera House Covent Garden und den Théâtres de la Ville de Luxembourg, die in Eigenregie zwei Vorstellungen im Grand Théâtre gab. Bis auf wenige Veränderungen am Bühnengeschehen und einige andere Akzentsetzungen bei den Personencharakterisierungen bleibt die Inszenierung beim lieb gewordenen Gewohnten.
Frühstück: Camilla Nylund (Feldmarschallin) und Stella Doufexis (Octavian) — Foto: Vicky Bettendorf
Annette Murschetz hat für das Geschehen das Bühnenbild gebaut: zuerst einen kleinen trapezförmigen hohen neoklassizistisch einfach anmutenden Raum mit hohen Wandpaneelen; dazu das obligatorische Himmelbett, drei Stühle und ein Schminktischchen. Die unaufdringliche Lichtgestaltung besorgte Franck Evin. Zum zweiten Aufzug sind die großen Wandfüllungen entfernt; der Raum ist nach hinten und zur Seite erweitert; die Intimität des Schlafgemachs ist aufgehoben; man befindet sich im großen Stadtpalais der Faninals. Schritt zurück für den dritten Aufzug: die Elemente werden während der Vorspielmusik wieder montiert, um das Extrazimmer im Beisl zu begrenzen. Die Kostüme von Eva Dessecker zeigen keinen betont-eindeutigen Zeitbezug. Von Verweisen auf das stilisierte achtzehnte und neunzehnte Jahrhundert reichen Sie auch in die Jetztzeit, womit schon mit den Kostümen, die dritte Zeitebene geöffnet wird.
Die Personenführung wirkt ziemlich zurückgenommen. Wie durch die zwar klassische, aber spärliche Ausstattung wird so der Musik auch hierdurch mehr Raum zur Wirkungsentfaltung gegeben. Das trifft vor allem für die tête-à-têtes und die klein besetzten Szenen, in denen die Regie die Figuren charakterisiert und ihnen Glaubwürdigkeit verleiht. Bei den „Massenszenen“ wirkt das hingegen teilweise tableauhaft steif (wie beim lever) oder auch den Beisl-Szenen. Auch fehlt schauspielerisch hier und da die letzte Wirkung; das kommt wie mit gebremstem Schaum über die Bühne. Der Überfall der „Lerchenauischen, die voller Branntwein gesoffen sind und aufs Gesinde (der Faninals) losgehn – zwanzigmal ärger als Türken und Kroaten!“ ist hingegen erfrischend kurz gehalten. Und beim Abgang des Ochs im dritten Aufzug hat sich der Regisseur etwas anderes einfallen lassen: inmitten einer johlenden Menge, in der alle noch eine Rechnung mit dem Baron offen haben, bahnt der sich Ochs mit seinem Leibdiener unter Aufwendung aller Kräfte seinen Weg aus dem Beisl. Baron Ochs auf Lerchenau ist etwas anders als üblich charakterisiert. Nicht als der fette, joviale und etwas tumbe, aber gar nicht so unsympathische Landadlige, sondern als äußerlich ziemlich distinguierter, gut gekleideter Herr, der aber – in Bedrängnis geraten oder um schneller zum Ziel zu kommen – plötzlich seinen bösen Charakter nach außen kehrt und gar gewalttätig wird. Hochgewachsen und schlank; keine Spur von einer Perücke, weshalb sogar der Text geändert werden musste (Faninal original: „Wie sollt‘ ich ihn nicht erkennen? Leicht, weil er keine Haar nicht hat?“)
Verdächtiges Verhalten: Christiane Karg (Sophie) und Stella Doufexis (Octavian) – beobachtet von Guy de Mey (Valzacchi) und Ezgi Kutlu (Annina)
Neben den erwähnten Werk-inhärenten Zeitebenen setzt die Regie dann doch noch die Gegenwart ein. Der Spuk im Extrazimmer des Beisls erfolgt nicht durch fratzenhaft Erscheinungen, sondern durch Beleuchtungswechsel, durch welchen hinter den halbdurchsichtigen Wandelementen die voyeuristische Menge sichtbar wird, die bei dieser delikaten Szene Öffentlichkeit herstellt. Da steht sie nun im Hintergrund und schaut zu, die gaffende Spaßgesellschaft der Neuzeit in ihrer Sensationslust, etwas vom Promi-Leben direkt mitzubekommen. Da wollen sie auch ein Souvenir mitbekommen und schlagen sich gar um das Taschentuch, das am Schluss der Oper der kleine Mohr aufheben sollte, womit der Schluss einen etwas anderen Akzent erhält.
Keine Zuneigung: Albert Pesendorfer (Ochs) und Christiane Karg (Sophie); im Hintergrund Guy de Mey (Valzacchi) und Ezgi Kutlu (Annina) — Foto: Vicky Bettendorf
Zuschauern, die den Rosenkavalier vielleicht das eine oder andere Mal gesehen haben, bereitet die Waltzsche Inszenierung des Werks einen abwechslungsreichen und unterhaltsamen Abend. Dazu wird dem Publikum eine musikalisch hochkarätige Vorstellung geboten. Für die musikalische Leitung hatten die Luxemburger Theater mit Stefan Soltesz einen den am besten ausgewiesenen Strauss-Dirigenten gewinnen können. Zwar wollte die gute erste Minute der aufwallenden temperamentvollen Ouvertüre nicht echt gelingen, klang breiig und wenig transparent, aber schon mit dem Umschwung zu den ersten lyrischen Takten des Vorspiels zeigte Soltesz, was sein Dirigat dann den ganzen langen Abend auszeichnen sollte: das filigrane Zeichnen der Feinheiten der Partitur, die Pastelltöne der Begleitung („Da geht er hin!, der aufgeblasne, schlechte Kerl!“). Dazu gestaltet Soltesz facettenreich die frivolen, ausgelassenen Töne und – vor allem im dritten Aufzug – setzte er mit dem großen Orchesterapparat auch die schrille „Kampfmusik“ à la Elektra um. Das hochkonzentrierte Orchester folgte ihm quasi fehlerfrei. Nuancenreich auch die Walzer: die kann man ja spielen wie in der Muschel eines Kurparks oder auch wie „La Valse“, deren Grundzüge Ravel etwa zeitgleich mit dem Rosenkavalier entworfen hatte. Soltesz tat das erstere nur in dezenten Anklängen, unterließ das letztere; aber ein etwas bedrohlicher Unterton war unüberhörbar. Für die kurzen Einwürfe des Chors hatte Jan Schweiger den aus Flandern mitgereisten Chor der Vlaamse Opera präzise und punktgenau einstudiert. Die Rollen der fünf vatersuchenden Kinder der Beisl-Szene waren Mitgliedern des Kinderchors der Vlaamse Opera übertragen worden (Einstudierung: Hendrik Derolez).
Handgreiflich: Stella Doufexis (Octavian) und Albert Pesendorfer (Ochs)
Bis auf die Feldmarschallin waren in Luxemburg die gleichen Solisten wie bei der Antwerpener Premiere besetzt. Die sang nun Camilla Nylund, die die Rolle weitgehend lyrisch anlegte. Sie konnte die „reife“ Mittdreißigerin mit ihrer Melancholie über die ablaufende Zeit durchaus beglaubigen. Mit bester Textverständlichkeit und ohne jede Schärfe brachte sie ihren warmen Sopran in den langen Bögen der Passagen zum Leuchten und überzeugte auch mit ihrer weichen Diktion im Parlando. Albert Pesendorfer war als kräftiger, hünenhaft wirkender Ochs auf Lerchenau zu erleben. Einige der ganz tiefen Töne erreichte er zwar nur knapp, aber die Gesamtheit der Partie gestaltete er stimmlich und darstellerisch überlegen; kultiviert und klangschön wie kraftvoll sein runder Bass, äußerlich nobel seine Erscheinung. Als Österreicher brauchte er den Dialekt in dieser Rolle nicht so derb und unglaubwürdig aufzusetzen. Stella Doufexis als Octavian war zwei Tage zuvor bei der Luxemburger Premiere noch krank und ließ sich stimmlich von der Seite vertreten; nun wagte sie den Einsatz und belohnte das Publikum mit ihrem gefühlvollen und bestens artikulierenden Mezzosopran, der weichen Mittellage und den glutvollen fokussierten Höhen. Man merkte leider im zweiten Aufzug, dass sie die Partie nicht durchstehen würde; so gelangte wieder Michaela Selinger im dritten Aufzug von der Seite zum Einsatz; mit sehr kraftvoller, viriler und etwas härterer Intonation das stimmliche Gegenstück zu Frau Doufexis. Ganz bezaubernd die dritte weibliche Hauptrolle: Christiane Karg als Sophie. Ihr Sopran scheint etwas reifer geworden zu sein, nicht mehr so hell mit umso mehr Wärme und Gestaltungskraft. Mit ebenso reiner wie leichter Intonation, nuancenreich und bestem Stimmsitz begeisterte sie ihr Publikum vor allem in den Passagen, in denen sie ihre Stimme betörend rein leuchten lassen konnte, dabei textverständlich bis in hohe Lagen. Wie zum Abschlussball angezogen war ihr der größte schauspielerische Einsatz zugedacht; sie und die nur wenig größere Stella Doufexis in etwas schlabberig sitzender Uniform gaben ein hübsches Teenager-Paar ab…
Albert Pesendorfer (Ochs) mit fünf vatersuchenden Kindern im Beisl
In weiteren Rollen sang Michael Kraus den Faninal mit finster, kernigem Bariton und brachte schauspielerisch seine eitlen Anliegen gut rüber: „Wär‘ nur die Mauer da von Glas, dass alle bürgerlichen Neidhammel von Wien uns könnten so en famille beisammen so sitzen sehn!…“. Mit Hanne Roos war ein beweglicher und stimmschöner Sopran als Leitmetzerin besetzt. Ezgi Kutlu mit rundem und gut fokussierten Mezzo sang die Annina, und Guy de Mey gab den Valzacchi mir geschliffenem Tenor – stimmlich sehr seriös wirkend. Nico Darmanin gab einen stimmlich sauberen, etwas nüchtern wirkenden Sänger; die Parodie wollte indes nicht recht gelingen.
Da man am Grand Théâtre erst um acht Uhr angefangen hatte, dauerte die Vorstellung (das Stück war kaum gekürzt) bis deutlich nach Mitternacht und endete in lang anhaltendem begeisterten Beifall aus dem ausverkauften Haus.
Manfred Langer, 01.03.14
Fotos (wo nicht anders vermerkt): Annemarie Augustijns