Megaro Mousikis
2. Aufzug am 21. Februar 2020
Überzeugender Wagner in Athen und Hoffnung auf mehr…
Wagner in Athen! Das war für mich eine Premiere, denn es dürfte eine der letzten europäischen Hauptstädte sein, wo ich die Musik des Bayreuther Meisters noch nicht hören konnte. Umso exotischer war dieser Ausflug nach Attika, in Verbindung mit der „Walküre“ am Teatro Real in Madrid. Ich war überrascht, auch naiverweise erst hier festzustellen, dass Athen drei Opernhäuser mit einer Gesamtsitzplatzkapazität von über 3.700 hat. Von ihnen weiß man allerdings in unseren Breiten wenig, in überschaubaren Grenzen abgesehen von dem funkelnagelneuen Glaspalast der Greek National Opera (GNO) der Stavros Niarchos Foundation mit der Stavros Niarchos Hall in Kallithea vor der Stadt, in der ich am ersten Abend eine völlig durchgeknallte „Fledermaus“ erlebte. Es gibt aber auch noch das ebenfalls von der GNO bespielte Olympia Theatre mit der Maria Callas Central Stage im Stadtzentrum, welches in der deutschen Besatzungszeit 1942 von den Nazis (!) – wohl in einem alten Kino – mit 700 Plätzen ausgebaut wurde. Und seit 2004 die völlig unter der Erde liegende, also unsichtbare Alexandra Trianti Hall (nach einer bedeutenden Sängerin), ein beeindruckendes Opernhaus mit 1.700 Plätzen und einer Bühnentechnik, die ihresgleichen sucht.
Alexandra Trianti war eine international herausragende griechische Liedsängerin mit einer Karriere zwischen 1920 und dem Ende 1950er Jahre. Sie sang u.a. in Den Haag, Paris, Leipzig, Stockholm, London, Amsterdam, Zürich, München, Hamburg, Rotterdam, Madrid, Malaga, Bilbao, Barcelona, Milan und New York (1953). Auch der einflußreiche Musikkritiker Alfred Einstein hob seinerzeit im Berliner Tageblatt ihre außergewöhnliche gesangliche Qualität hervor. Trianti machte sich sehr um die Entstehung der Athens Concert Hall verdient, in der dieser „Tristan“ aufgeführt wurde.
Seit etwa vier Jahren wird in der Alexandra Trianti Hall allerdings keine Oper mehr aufgeführt! Die Alexandra Trianti Hall ist integraler Bestandteil des Megaron – Athens International Conference Centre (Megaron MICC), im Jahre 2003 eingeweiht. Es liegt im Herzen der Stadt an einem großen Boulevard mit dem Opernhaus, dem riesigen Konzertsaal Hall of the Friends of Music (also die o.g. Athens Concert Hall) mit 1.960 Plätzen und weiteren drei kleineren Theatern, sowie weitläufigen Ausstellungsflächen, einem Dachrestaurant und einem großen subtropischen Garten. Ich meine, man könnte es als das Lincoln Centre von Athen bezeichnen…
In der Megaron Concert Hall residiert unter Stefanos Tsialis, seinem in Deutschland aufgewachsenen und die meiste Zeit in Leipzig lebenden Künstlerischen Direktor und Chefdirigent, das Athens State Orchestra – ältestes Orchester Griechenlands. Dieses Orchester führte unter Tsialis also auch den 2. Aufzug des „Tristan“ am 21. Februar auf.
Der Klangkörper hat eine durchaus interessante Geschichte. Deshalb seien mir hier einige Ausführungen dazu erlaubt. Das Orchester wurde als Orchester des Athener Konservatoriums 1873 gegründet und behielt diese Rechtsform, als Privatorchester, bis 1942. Während der Deutschen Besatzung 1942 wurde es ein Staatsorchester nach deutschem Vorbild, d.h. komplett staatsfinanziert mit bis zur Rente angestellten Musikern. Diese Rechtsform gilt bis heute.
Von 1927 bis 1936 war Dimitri Mitropoulos der Chefdirigent des Orchesters, der das Repertoire auch um die damalige Moderne erweiterte. Auch Mahler-Symphonien wurden gespielt, in einer Zeit, als der Komponist auch in Europa wenig aufgeführt wurde. In der Zeit von Mitropoulos gastierten in Athen wiederholt Bruno Walter, Richard Strauss, Felix Weingartner, Hans Knappertsbusch und Eugen Jochum, um nur wenige zu nennen, alles Kontakte, die Mitropoulos in Berlin als Assistent von Erich Kleiber knüpfte. So kann die Zeit von Mitropoulos als Goldene Zeit des Orchesters gelten.
Aber auch danach haben bedeutende Dirigenten mit dem Orchester zusammen gearbeitet, wie Igor Markevitch, Clemens Krauss, Lorin Maazel, Yuri Temirkanov, Michel Plasson, Vladimir Ashkenazy, Christoph Eschenbach, Vladimir Fedoseyev und namhafte Solisten wie Arthur Rubinstein, Wilhelm Kempff, Alfred Cortot, Fritz Kreisler, Jacques Thibaud, Pablo Casals, Mstislav Rostropovich, Alfred Brendel, Daniel Barenboim, Martha Argerich, Maxim Vengerov, Elisabeth Leonskaya and Leonidas Kavakos.
Das Orchester hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Qualitätssprung gemacht, was sich in wiederholter Zusammenarbeit mit bedeutenden Solisten und Dirigenten sowie Einladungen zu renommierten internationalen Festivals, wie dem "Flandern Festival" und dem "Brescia-Bergamo Festival" widerspiegelt.
Das Orchester hat bisher besonders das spätromantische Repertoire gespielt. Es war deshalb ausdrücklich sein Wunsch, nun einmal Wagner zu geben. So kam es zur Entscheidung, den 2. Aufzug von „Tristan und Isolde“ zu spielen, und zwar mit weltbekannten Solisten.
Stefan Vinke sang den Tristan mit dem ihm eigenen heldischen Aplomb, großer Ernsthaftigkeit im Ausdruck und einer immer baritonaler werdenden Mittellage, aber bei weiterhin heldentenoral glänzenden Spitzentönen. Dem Sänger scheint bei dieser Rolle mehr der dramatische Ausdruck als eine auch mit Zwischentönen und signifikantem Legato Wirkung suchende Vokalität zu liegen. Nicht immer ist die wünschenswerte Wortdeutlichkeit gegeben.
Petra Lang, die in diesem Jahr auch die „Walküre“-Brünnhilde in Bayreuth interpretieren soll, war eine wie immer unglaublich ausdrucksstarke Isolde. Ihre Mimik von verärgerter Grimasse beim nicht abklingen wollenden Hörnerschall aus dem Off gleich zu Beginn und das Leuchten ihrer Augen im strahlenden Gesicht in Erwartung von Tristans Ankunft ist mittlerweile schon legendär. Lang versteht es, mit einer von ihr besonders kultivierten Gesangstechnik Klangfarbe auf jeden Ton zu legen, nie wird forciert, immer ausgesungen, und auch die Hohen Cs in der Begrüßungsszene gelingen bestens. Allerdings scheint das doch nicht unwesentlich zu Lasten der Diktion zu gehen, denn man versteht oft nur recht wenig.
Die Slowenin Barbara Kozelj sang eine wundervolle Brangäne mit ausgezeichneter Stimmgebung ihres klang- und charaktervollen Mezzos, ebenfalls beeindruckendem mimischem Ausdruck im Dialog mit Isolde um die gefährliche Rolle Melots. Von der Höhe des Orgelbalkons ließ sie herrlich mahnende und den ganzen weiten Konzertsaal ausfüllende Brangäne-Rufe ertönen. Leider klingelte ausgerechnet beim ersten „Habet Acht…!“ auch ein hartnäckiges Handy… James Moellenhoff kam als – schon länger dienender – Marke hinzu und blieb gleich auf Abstand, wie auch sein vokaler Vortrag sich in gewissem Abstand zu den Leistungen der drei anderen Protagonisten befand. Sein Bass ist prägnant, hat auch gute Resonanz, klingt aber bereits etwas fahl, und es mangelt an einer einer differenzierteren Phrasierung, die dann auch mehr Emotionalität in die Stimme gebracht hätte. Moellenhoff konnte man aber nun bestens verstehen – auch schon einiges wert!
Dass er gleich nach seinem Monolog wieder von der Bühne musste, war ein Fehlgriff, denn man hatte durchaus eine gewisse Dramaturgie in diese konzertante Darbietung gebracht. So war der Dialog zwischen Isolde und Brangäne von großer emotionaler Intensität geprägt. Auch die Begrüßung Tristans nach dem kompromisslosen Verlöschen der Fackel hatte viel Theatralisches. So wurde es am Ende fast schon eine semi-konzertante Aufführung, ohne Notenpulte ohnehin und natürlich in Konzertfrack und Abendrobe. Am sprichwörtlichen Rand sei der Melot von Christos Kechris erwähnt, der sich nach seinem kurzen Auftritt am Bühnenrand ebenfalls gleich wieder verzog, obwohl er doch Tristan noch eine letztlich tödliche Wunde zufügen muss… Den Kurwenal sang Kechris eh aus dem Off – alles etwas undankbar für den Sänger und im Hinblick auf die Dramaturgie bis dahin inkonsequent.
Stefanos Tsialis dirigierte den großen Apparat des Athens State Orchestra mit acht Celli, sechs Kontrabässen und vollem Streicher- und Bläserbesatz mit höchstem Engagement sowie gutem Blick für die einzelnen Gruppen, sodass sich ein sehr transparentes Klangbild ergab und sich auch die gute Akustik des Saales mit seinen vier großen Klangbrücken zeigte. Man merkte den Musikern an, dass sie mit enormer Begeisterung bei der Sache waren, war es doch ihr Wunsch, wieder einmal Wagner zu spielen. Offenbar wurde auch sehr gut geprobt. Tsialis wusste die Sänger bestens zu führen und die Horn-Gruppe im Off gleich zu Beginn effektvoll miteinzubeziehen. Dieser konzertante „Tristan“ weckte Hoffnung, das hier bald mehr Wagner zu hören sein wird. Das war auch dem Applaus des zahlreich erschienen Publikums zu entnehmen.
Fotos: Klaus Billand
Klaus Billand/22.3.2020