Die faszinierende Welt des Digitalen
Online-Uraufführung von "All For One And One For The Money" mit dem Ballet of Difference am 20. November 2020 am Schauspiel Köln/
Claudia Ortiz Arraiza. Foto: Thomas Scherme
Wie die sozialen Medien unsere Identität verformen und beeinflussen, davon erzählt Richard Siegals „Ballet of Difference“ am Schauspiel Köln in eindrucksvoller Weise. Die Performer reflektieren hier den Technokapitalismus der westlichen Gesellschaften auf vielfältige Art – tänzerisch-dramatisch und beim Gaming. Der amerikanische Choreograph befasst sich schon lange mit der faszinierenden Welt des Digitalen. Hier soll aber kein Bühnenstück dokumentiert werden. Siegal möchte vielmehr die digitalisierte Gesellschaft bloßstellen und entlarven. Der virtuelle Charakter der Performance steht im Mittelpunkt. Das Publikum soll die virtuelle Aura des Stückes immer wieder selbst erkunden. Dafür stehen auch Chats bereit. Youtoube, Instagram, Facebook und Twitter erscheinen plötzlich im Mittelpunkt zwischen seltsamen Moderatoren mit weinenden Katzenköpfen („I’m sorry“) und tanzenden Robotern. Die Logik des Techno-Kapitalismus wird bloßgestellt. Webcams und Online-Games spielen bei dieser ungewöhnlichen Performance eine fast unheimliche Rolle. Und das tänzerische Geschehen fächert sich immer weiter auf. Eine große Spinne treibt im Hintergrund einer Waldlichtung ihr unheimliches Unwesen. Zur künstlerischen Verstärkung hat sich Siegal neben der futuristischen Modeschöpferin Flora Miranda den Licht- und Video-Designer Matthias Singer sowie den suggestiven Musiker Lorenzo Bianchi Hoesch zu Hilfe geholt, der mit einem bewegenden elektronischen Soundtrack aufwartet. So kommt es zu einem intensiven Nachdenken und philosophischen Reflektieren über Gemeinschaft und Identitäten sowie ideelle und monetäre Werte im virtuellen Raum.
Nicolas Martinez. Foto: Thomas Schermer
Die Tänzerinnen und Tänzer Claudia Ortiz Arraiza, Diovani Da Silva Cabral, Martina Chavez, Jemima Rose Dean, Livia Gil, Douglas De Almeida Lima, Mason Manning, Nicolas Martinez, Andrea Mocciardini, Margarida De Abreu Neto, Evan Supple und Long Zou werden als Performer von den Schauspielern Alexander Angeletta und Yuri Englert ergänzt. Flimmernde Licht- und Farbspiele betören das Auge. Es ist eine völlig neue Welt, die sich dem Publikum hier in visuell vielfältigen Momenten erschließt. Weltall-Sequenzen und rasante Fahrten durch Landschaften, Gärten und Seen verwirren den Betrachter immer mehr. Er kann zwischen drei verschiedenen Streams wählen. Man hat wiederholt das Gefühl, dass verschiedene Ereignisse plötzlich gleichzeitig passieren. Eine Asiatin verspeist zwischen Spiegeleiern eine Unmenge von Nudeln und Spaghetti mit großem Appetit, dazwischen winden sich die Tänzer wie Schlangen über einem lichtdurchfluteten Untergrund. Der Phantasie sind bei diesem Farbenspiel keine Grenzen gesetzt. Der Zuschauer wird ohnehin aufgefordert, aktiv mitzumachen und sich auch bei den Offline-Momenten zu engagieren. Gelegentlich leidet das Geschehen an einer unglaublichen visuellen Überfrachtung, die aber dann doch aufgebrochen und überwunden wird. Diese Premiere hätte eigentlich bereits am 9. April 2020 gefeiert werden sollen. Aufgrund der aktuellen Corona-Probleme hat man sich nun doch zu einer Online-Uraufführung entschlossen, die durchaus eine gewisse revolutionäre Wirkungskraft hinterlässt. Der Schlussapplaus war jedenfalls begeistert und lautstark – für Richard Siegal und das BOD-Ensemble.
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