Aufführung am 15. Juni 2018
Hochlodernd
Die chinesische Pianistin Yuja Wang ist ein echter Hingucker. Ihre Modelfigur pflegt sie durch eine raffinierte, enganliegende Kleidung hervorzuheben. In der Kölner Philharmonie war das ein extrem beinfreies goldfarbenes Glitzerkostüm, dazu Schuhe mit Mount-Everest-Absätzen. Die schwarze Haarpracht ebenso gepflegt wie virtuos verwuschelt. Bei solch einer fragilen Erscheinung dürfte man vorrangig zarte Pianotöne erwarten (die Yuja Wang auch parat hat), aber Sergej Prokofjews 5. Klavierkonzert ist alles andere als zartbesaitet, fordert vielmehr zu einem Wettstreit von Solist(in) und Orchester auf, im gegebenen Falle dem WDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Jakub Hrusa.
Anders als später Dmitrij Schostakowitsch zog Sergej Prokofjew aus der kommunistischen Entwicklung in seinem Heimatland Konsequenzen und ließ sich in Frankreich nieder. Zwar besuchte er die Sowjetunion hin und wieder, aber selbst großzügige und lukrative Offerten der Regierung konnten ihn nicht dazu bewegen, sein neues Domizil aufzugeben, zumal ihm unverhohlen abverlangt wurde, bei künftigen Werken eine populärere Tonsprache zu bieten.
Bei seinem fünften und letzten Klavierkonzert (G-Dur, opus 55) – ein sechstes blieb unvollendet – rückt Prokofjew vom vorherigen romantisch angehauchten Virtuosenstil in diesem Genre ab. Die Musik klingt nunmehr nüchterner und entschlackter, was sich auch in einer gesteigerten Transparenz des Orchesterklangs niederschlägt. Ein pianistisches Schlachtengemälde mit rauschhaften Glissandi und perkussiven Steigerungen ist das Werk gleichwohl.
Yuja Wang spielte ihren Part mit unerschütterlicher manueller Sicherheit, welche freilich ihre ganze Konzentration erforderte. Auf dem podiumsnahen Sitz ließ ich das vom Rezensenten besonders gut beobachten. Dafür wurde ihm durch den aufgeklappten Flügeldeckel der Blick auf den Dirigenten entzogen. Die Füße von Jakub Hrusa waren immerhin sichtbar und ließen in ihrer quirligen Bewegung erkennen, welche Energie auch am Dirigentenpult waltete. Daß bei solch einem interpretatorischen Hochleistungssport die rhythmische Präzision schon mal in leichte Gefahr geriet, sei nur am Rande bemerkt.
Der enthusiastische Beifall für die bei allem Glamour bescheiden wirkende Yuja Wang führte zu gleich zwei Zugaben. Die Liszt-Bearbeitung von Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ ist zwar auch für flinke Hände gedacht, bietet aber dennoch Raum für das lyrische Potential des Liedes. Dem wurde die Pianistin gerecht. Daß virtuoses Feuer in ihren Adern aber besonders glüht, bewies zuvor eine „Carmen“-Fantasie, vermutlich die von Vladimir Horowitz.
Für die Wahl von Richard Straussens „Heldenleben“ läßt sich kein besonderes dramaturgisches Motiv erkennen. Vorsichtige Mutmaßung: das WSO hat diese Tondichtung einfach lange nicht mehr gespielt. Jakub Hrusa, seit zwei Jahren Chef der Bamberger Symphoniker, hat schon mehrfach am Pult dieses Klangkörpers gewirkt. Sein bereits bei Prokofjew zu spürender Elan machte auch bei dieser Tondichtung mächtig Wirkung. Diesem Werk kann man sich ja kaum mit einem Pastellpinsel nähern, hier gilt’s der großen musikalischen Geste. Auch wenn der Komponist die Identität seiner Person mit dem „Helden“ etwas herunter spielte: Strauss war zu sehr ein brillianter Egomane (siehe „Feuersnot“, „Intermezzo“, „Sinfonia domestica“ u.a.), als daß er nicht gerne eine Gelegenheit zur Selbstdarstellung ergriffen hätte. Die Eigenzitate in der Musik von „Heldenleben“ sprechen nachdrücklich dafür.
„Intermezzo“ und „Sinfonia domestica“ besitzen immerhin über weite Strecken Humor und Charme. „Ein Heldenleben“ wuchtet hingegen Marmorblöcke und stellt pathetische Denkmäler auf. Die Geigensoli („Des Helden Gefährtin“) sind redselig, die Generalpausen plakativ. Die Sympathie des Rezensenten für „Ein Heldenleben“ ist erkennbar keine besonders große. Der über weite Strecken wirkende melodische Sog und die opulente Instrumentation bleiben natürlich bewundernswert. Raffiniert im Ausdruck auch die Abrechnung mit „Des Helden Widersacher“ (spröde Quinten der Tuben). Zwanzig Jahre sollte die Kritikerschelte im „Krämerspiegel“ eine Fortsetzung erfahren.
Jakub Hrusa ließ die „Heldenleben“-Musik klangprächtig rauschend am Ohr des Publikums vorbeiziehen, und das WSO legte sich großartig ins Zeug. Besonders schöne Soli gab es bei den Holzbläsern, beim Horn und bei den Soli von Tobias Steymans, hauptamtlich Konzertmeister beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Das Publikum reagierte eminent beifallsfreudig. Bei allen Vorbehalten ist die überwältigende musikalische Kunstfertigkeit von Richard Strauss in der Tat enthusiastisch zu loben.
Die Aufführung wurde tags drauf im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr in der Essener Philharmonie wiederholt.
(c) yujawang.com
Christoph Zimmermann (17.6.2018)