Köln: „Cabaret“, John Kander, Joe Masteroff und Fred Ebb

Bereits im Februar 2020 feierte das Musical Cabaret in einer Produktion des St. Pauli Theaters eine umjubelte Premiere in Hamburg und zieht dort seitdem das Publikum immer wieder in seinen Bann. Als Conférencier steht der bekannte Chansonnier und Schauspieler Tim Fischer auf der Bühne, den die damalige Kritik der Welt in der „Rolle seines Lebens“ sah. Und tatsächlich gelingt es ihm, mit einer treffenden Mischung aus Groteske und innerlich leicht verletzlicher Persönlichkeit eindrucksvoll durch den Abend zu führen. Durch eine Kooperation mit ATG Entertainment ist die Produktion des St. Pauli Theaters nun erstmals außerhalb Hamburgs zu sehen und feierte nach einem Gastspiel in Hannover am 30. Juli 2024 ihre NRW-Premiere in der Kölner Philharmonie. Dort ist das Musical bis zum 4. August zum Abschluss des diesjährigen Kölner Sommerfestivals zu sehen.

© Kerstin Schomburg

Interessant ist die Entstehungsgeschichte des bekannten Musicals. Nach dem Buch Leb wohl, Berlin, in dem Christopher Isherwood seinen Berlinaufenthalt Anfang der 1930er Jahre autobiographisch verarbeitete, entstand 1951 das Theaterstück Ich bin eine Kamera von John van Druten. 1955 folgte die Verfilmung, bevor am 20. November 1966 das Musical unter der Regie von Harold Prince am New Yorker Broadway uraufgeführt wurde. Dass der Erfolg bis heute ungebrochen ist, ist wohl auch der mit acht Oscars ausgezeichneten Verfilmung von Bob Fosse aus dem Jahr 1972 zu verdanken. Unvergessen ist hier Liza Minnelli als Nachtclubsängerin Sally Bowles. Die Nachtclubsängerin lernt im legendären Kitkat Club den relativ erfolglosen amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw kennen. Kurz darauf zieht sie – nach der Trennung von ihrem früheren Liebhaber – in das von Bradshaw gemietete Zimmer in der Pension von Fräulein Schneider. Dort wohnen auch der alte jüdische Gemüsehändler Herr Schulz und das junge Fräulein Kost, die, um ihre Rechnungen zu begleichen, auch schon mal mehrere Matrosen gleichzeitig möglichst unauffällig abschleppt. Als wäre das nicht schon genug Konfliktpotential, bekommen auch die Nationalsozialisten immer mehr Zulauf, so dass sich schnell eine explosive Gemengelage entwickelt. Besonders berührend ist in diesem Zusammenhang immer wieder das Ende des ersten Aktes, wenn bei der Verlobungsfeier von Fräulein Schneider und Herrn Schulz die unterschiedlichen politischen Ansichten aufeinander prallen und Fräulein Kost Der morgige Tag anstimmt. Ein Moment, der angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen traurig stimmt und tief unter die Haut geht.

© Kerstin Schomburg

Berührend ist auch die Leistung von Angela Winkler und Peter Franke als altes Liebespaar, das am Ende leider nicht zueinander findet. Auch wenn beide in den ersten Minuten bei der Interpretation ihrer Rollen etwas zu sehr den tatterigen Greis geben, finden sie schnell in ihre Rollen und überzeugen dann auf ganzer Linie. Sehr schön ist hier auch die Szene, in der Herr Schulz seiner Vermieterin eine Ananas mitbringt und wie beide sich anschließend im hohen Alter ihre Zuneigung gestehen. Auch die anderen Rollen sind hervorragend besetzt. Als Nachtclubsängerin Sally Bowles erinnert Anneke Schwabe im Kostüm stark an Liza Minnelli, überzeugt aber stimmlich auf ihre ganz eigene Art. Ihr zur Seite steht Sven Mattke als Clifford Bradshaw, der vor allem, sicherlich auch rollenbedingt, schauspielerisch glänzen kann. Neben Holger Dexne als Ernst Ludwig und Anne Weber als Fräulein Kost komplettieren sechs weitere Darstellerinnen und Darsteller das Ensemble. Die Inszenierung von Ulrich Waller und Dania Hohmann trennt die beiden Ebenen der Pension Schneider und des Kitkat-Clubs geschickt durch wenige Requisiten und lässt der Geschichte ansonsten ihren Raum.

© Kerstin Schomburg

Wenn gegen Ende des Abends Tim Fischer fast abgeschminkt auf der Bühne steht und Herr Schulz leicht verwirrt im Mantel mit aufgenähtem Judenstern allein im Bühnenhintergrund über die Straße irrt, geht dies unter die Haut.  Schön anzusehen ist dagegen die Eröffnungssequenz in Form eines Stummfilms aus jener Zeit, in der Clifford Bradshaw im Zug nach Berlin Ernst Ludwig zum ersten Mal begegnet. Ein weiteres Highlight der Produktion ist die siebenköpfige Live-Band, die unter der musikalischen Leitung von Mathias Weibrich die Hits des Musicals schwungvoll auf die Bühne bringt. Es ist schön, dass diese sehenswerte Inszenierung mit einer rundum passenden Besetzung dank ATG Entertainment nun auch außerhalb Hamburgs zu sehen ist, auch wenn sich in diesem Falle sogar eine weite Anreise nach Hamburg gelohnt hätte.

Markus Lamers, 31. Juli 2024


Cabaret
Musical von John Kander (Musik), Joe Masteroff (Buch) und Fred Ebb (Gesangstexte)

Philharmonie, Köln

Premiere: 30. Juli 2024

Inszenierung: Ulrich Waller & Dania Hohmann
Musikalische Leitung: Mathias Weibrich

Trailer

Weitere Aufführungen bis zum 4. August 2024