„Du schufst ihm die Not“, wirft Fricka ihrem Göttergemahl Wotan in der hochspannenden ehelichen Auseinandersetzung im zweiten Aufzug vor, weil Wotan durch seine Ränkespiele den heiligen Bund der Ehe zwischen Sieglinde und Hunding zerstörte, indem er seinen Helden Siegmund an Hundings Herd gelockt hatte. Vermutlich fand in diesem Satz Frickas der Regisseur John Fulljames den Ansatzpunkt seines Regiekonzepts dieser Neuinszenierung der WALKÜRE in Kopenhagen. Denn zu Beginn, wenn im Orchestervorspiel der Sturm tobt, sehen wir Wotan und seine Walküren an Schreibtischen sitzen, wo sie an Laptops und auf Reißbrettern die Handlung quasi entwerfen. Wotan spielt dabei den Künstler in weiter Leinenhose, langem Mantel, die Haare zu einem Dutt geformt. Er entwirft auch das Modell des Bühnenbilds (Bühne und Kostüme: Tom Scutt), das dann zum Auftritt Siegmunds in echt von hinten auf die Bühne gerollt wird. Es ist eine simple, gigantische Holztreppe, natürlich in Eschenoptik, denn schließlich hat Wotan ja die Weltesche bereits symbolhaft ins Modell gestossen. Wenn sich diese Treppe auf der Bühne nun dreht, sehen wir unter den Holzverstrebungen die Messi-Wohnung Sieglindes und Hundings, samt dem angekokselten Stamm der Weltesche, in den Wotan sein Schwert gestossen hatte. Im gleichbleibend fahlen (und damit einschläfernden) Licht (von DM Wood) kann man in der armseligen Behausung kaum was erkennen, nur dass Sieglinde dem Siegmund Waser aus einem Benzinkanister kredenzt. Erst als Siegmund zu „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ ansetzt, ändert das Licht: Die rechteckigen Leuchtröhrengerüste, welche sowohl als Trennwände sowie später auch als Schilde der Walküren dienen, leuchten nun frontal ins Publikum, zusätzlich zu zwei kalt-weiss blendenden Scheinwerfern vom Bühnenhimmel. Auch nicht angenehmer, als das dämmrige Licht der vorangegangenen Szenen. Siegmund muss also die Treppe hochstürmen für „Winterstürme…“, doch zur Vereinigung mit der Schwester und dem Herausziehen des Schwertes aus der Esche natürlich schnellstens wieder nach unten rennen. Stress und Gefahrensituation für den Sänger. Wotan und die Walküren stehen mit Drehbuch an der Seite und feiern die inzestuöse Geschwisterliebe mit Hurrarufen und einem Silberfolienplättchen ausstossenden Pistolenschuss. Wie bei „Wer wird Millionär“.
Zu Beginn des zweiten Aufzugs geht die Feier weiter. Brünnhilde tippt auch noch schnell was in Wotans Computer. Doch Fricka setzt dem Treiben mit dem eingangs erwähnten Auftritt zum Glück ein Ende. Die Personenführung und die Charakterzeichnung der Protagonisten gelingen dem Regisseur hier hervorragend, die Lichtdramaturgie ist viel gelungener und verbessert sich im dritten Aufzug noch mehr. In diesem Schlussteil dient die Treppe als Walkürenfelsen und Zugang zu Walhall für die gefallenen Helden. Die gigantische Treppe erfüllt hier ihren Sinn auf überzeugende Art, man kann nur hoffen, dass die königliche Oper eine kulante Unfallversicherung abgeschlossen hat, denn nicht alles Stolpern der Sänger auf diesen steil ansteigenden Stufen schien gewollt zu sein … . Wunderbar stimmungsvoll inszeniert war der Feuerzauber, das Hochfahren der Treppe mit dem das Schwert schwingenden Klein-Siegfried im Feuerschein darunter.
Warf die Inszenierung auch einige Fragen auf, so gelang von der musikalischen Seite her eine Sternstunde. Ich kann mich nicht erinnern, live je eine so herausragend besetzte und dirigierte WALKÜRE erlebt zu haben Thomas Søndergård leitete Det Kongelige Kapel mit wunderbar austarierter Dynamik, nie nachlassenden Spannungsbögen, feinem Sinn für herrlich herausgearbeitete Detailschönheiten der Partitur und hervorragender Balance zwischen Graben und Bühne. Auch im Parkett konnte man die fantastische Akustik des Hauses voll genießen. Die Sänger glänzten allesamt mit vortrefflicher Diktion und niemand war gezwungen zu forcieren – so muss Wagner klingen!
Tomasz Konieczny war ein phänomenaler Wotan, seine gestalterische Durchdringung der Rolle machte auch die ausuferndsten Monologe zum Erlebnis. Mal ganz nach innen gekehrt im zweiten Aufzug, wo er Brünnhilde seine Dilemmata offenbarte (weshalb der Regisseur hier das Licht ausschaltete und bei mit dem Werk weniger vertrauten Besuchern einen Zwischenapplaus provozierte, war mir ein weiteres Rätsel), dann wieder fulminant auftrumpfend in seiner Schelte und dem Abschied! Seine Gemahlin Fricka wurde von Hanne Fischer mit vornehmer Autorität und souveräner Intelligenz ausgestattet, sie zerpflückte Wotans Argumente mit dermaßen umwerfender darstellerischer und gesanglicher Souplesse, dass sie mir zum ersten Mal richtig sympathisch wurde. Frau Fischer möchte ich unbedingt in weiteren Rollen erleben. Mit Ann Petersen und Bryan Register war das inzestuöse Geschwisterpaar Sieglinde und Siegmund ideal besetzt. Ann Peterson verfügte über die wunderbar aufblühende jugendliche Stimmkraft, welche die Partie erfordert und Bryan Registers mühelos und klangschön anspringender der Tenor ist fabelhaft für den Siegmund. Ein musikalisches Traumpaar. Trine Møllers Brünnhilde hat mich regelrecht vom Sessel gehauen: Welch eine wunderbare Stimme, so frisch, unangestrengt und rein habe ich die Hojotoho -Rufe noch selten gehört. Ergreifend in der Todesverkündigung, kämpferisch attackierend im Einstehen für das Geschwisterpaar, Mitleid erregend im Annehmen der Strafe des Göttervaters. Weltklasse! Morten Staugaard last but not least gestaltete einen hinreißend grantigen Hunding!
Vortrefflich sangen die Walküren, selbst die beiden Einspringerinnen, welche vom Bühnenrand her sangen, fügten sich prächtig in den mitreißenden Gesamtklang des Walkürenritts ein.
Fazit: Musikalisch eine Sternstunde, szenisch mit ein paar Fragezeichen zur Bühnengestaltung. Trotzdem unbedingt empfehlenswert!
Leider ist keine Gesamtproduktion von DER RING DES NIBELUNGEN an der Oper Kopenhagen geplant. Irgendwie wäre man schon neugierig, wie sich das Regiekonzept über den gesamten Ring entwickelte.
Kaspar Sannemann, 12.3.22
Foto (c) KOK