Berlin: „Tom Sawyer“, Kurt Weill

Ohne Zweifel ein Herz für Kinder hat die Komische Oper Berlin, denn nur einige Wochen nach der Uraufführung der Kinderoper Pippi Langstrumpf gibt es nun bereits wieder eine solche, allerdings erst fast ein dreiviertel Jahrhundert nach der Planung  und der Fertigstellung der ersten fünf Songs für Tom Sawyers Abenteuer, die Kurt Weill kurz vor seinem Tod noch vollenden konnte. Nun haben sich John von Düffel des Librettos, eben dieser zusammen mit Kai Tietje der Liedtexte und dazu Kai Tietje sich des Arrangements angenommen, alles nach einer Konzeption von Ulrich Lenz, Tobias Ribitzki, Kai Tietje und John von Düffel- und man kann sagen: „Nicht immer verderben viele Köche den Brei“. Sie haben ein gut zwei Stunden dauerndes Werk geschaffen, das am 18. Februar seine Uraufführung erlebte und mit nicht enden wollendem Jubel bedacht wurde.

Tom Schimon (Tom Sawyer) / Foto: Barbara Braun

Wenn Mark Twains Roman gleich nach seinem Erscheinen in den USA auf den Index gesetzt wurde, dann sicherlich nicht aus dem Grund, der ihn heute einigen Eiferern verdächtig macht. Damals missfiel der Zensur die Verherrlichung des Lotterlebens, das Huckleberry Finn zweifellos führt, und auch an Tom dürfte man damals einiges auszusetzen gehabt haben. Vor allem die legere Sprache einschließlich vieler Kraftausdrücke hatte Anstoß erregt. Um allen Angriffen von vornherein die Spitze zu nehmen, hat sich das im Hier und Heute verantwortliche Team damit aus der Affäre gezogen, dass man den „Nigger Jim“ einfach wegließ und aus „Indianer-Joe“, dem „Halbblut“ (was für eine Vokabel!), einfach Killer-Joe machte.

Ansonsten orientiert sich das Libretto angenehm dicht am Roman, und die Inszenierung orientiert sich ebenso angenehm am Libretto, so dass man regietheatergeplagten Erwachsenen nur empfehlen kann, sich an dieser so ungewöhnlich Vorlage und Libretto respektierenden Produktion zu erfreuen. Die Rezensentin tat es und ebenso erging es Tochter und Enkelin derselben.

Ferdinand Keller (Alfred Temple), Tom Schimon (Tom Sawyer), Kinderchor / Foto: Barbara Braun

Neben den drei bereits erwähnten Aufgaben hatte Kai Tietje auch noch die der Orchesterleitung übernommen und verhalf einer schwungvollen, klangreichen, musicalnahen Musik mit Südstaatenanklängen zum Erklingen, aus der man manchmal auch etwas Dreigroschenoperhaftes zu vernehmen glaubte. Phantastisch die drei auf die Bühne beorderten Blasinstrumente, ebenso die Einsätze des Kinderchors, dessen Leiterin Dagmar Fiebach auch gleich noch den Gesang für die Tante Polly von Caren van Oijen übernahm, die indisponiert nur spielen, aber nicht singen konnte.

Man möchte denken, für Kinderopern spart man an der Ausstattung, aber in der Komischen Oper ist das Gegenteil der Fall. Es gibt einen wundervollen Zwischenvorhang mit Mississippilandschaft, die Drehbühne wird in der Inszenierung von Tobias Ribitzki phantasievoll eingesetzt, Friedhof, Höhle, Insel sind voller phantastischer Atmosphäre (für die ist auch die Lichtregie von Olaf Freese mitverantwortlich) und das alles, wie auch die allein für die vielen Kinder überaus einfallsreichen Kostüme, ist Stefan Rieckhoff zu verdanken.    

Caren van Oijen (Tante Polly), Ensemble, Kinderchor / Foto: Barbara Braun

Gar nicht so einfach ist es, Halbwüchsige wie Tom und Huckleberry Finn, die ordentlich etwas zu singen haben, rollendeckend zu besetzen. Mit beiden gelang es, denn Tom Schimon hatte das bubenhafte Aussehen und einen dem nicht zaghaften Orchester gewachsenen Bariton. Ebenfalls vom Musical kommt Michael Heller, der einen charmanten Huckleberry mit durchdringendem Charaktertenor gab und wie fast alle Mitwirkenden angenehm textverständlich war. Josefine Mindus setzte ihren leichten lyrischen Sopran für die Becky Thatcher ein und konkurrierte mit Elisabeth Wrede (Amy) um die Gunst Toms, mit Christoph Späth (Killer-Joe) und Carsten Sabrowski (Muff Potter) waren zwei verdiente Ensemblemitglieder sonore Stützen des Abends. Theo Rüster aus dem Opernstudio bewies gleich in zwei Partien (Lehrer, Pfarrer), dass beachtenswerter Nachwuchs in den Startlöchern steht. Allen Generationen kann nur ein Besuch der Produktion empfohlen werden.  

Ingrid Wanja, 19. Februar 2023


„Tom Sawyer“ von Kurt Weill

Komische Oper Berlin

Uraufführung am 18. Februar 2023

Inszenierung: Tobias Ribitzki

Musikalische Leitung: Kai Tietje

Bühne und Kostüme: Stefan Rieckhoff

Orchester der Komischen Oper Berlin