02. September 2022, Kurhaus Wiesbaden
Krönender Abschluss des Rheingau Musik Festival
Das diesjährige Rheingau Musik Festival verwöhnte sein treues Publikum mit herausragenden Konzerten aller Art. Gestern gab es einen finalen musikalische Superlativ zu erleben, welcher zu den unbestreitbaren Höhepunkten der diesjährigen Saison gehört.
Zu Gast war das traditionsreiche Pittsburgh Symphony Orchestra und dessen langjähriger Chefdirigent Manfred Honeck. Als Solistin konnte die einzigartige Anne-Sophie Mutter gewonnen werden. Was für eine Kombination!
Beethoven: Violinkonzert D-Dur op. 61
Zu Beginn erklang das 1806 uraufgeführte Violinkonzert von Ludwig van Beethoven. Zu seiner Zeit war dieses Konzert so völlig andersartig. Allein der erste Satz dauert mit knapp 30 Minuten so lange wie manches gesamte Violinkonzert. Klopft hier in den Pauken beständig die Revolution oder gar das Schicksal an?
Dieses hoch virtuose Konzert gehört zum Kernrepertoire aller Solo-Geiger. Wie oft mag es die große Geigerin Anne-Sophie Mutter gespielt haben? Gerade einmal mit sechzehn Jahren nahm sie dieses Konzert mit Herbert von Karajan auf und seither spielte sie es auf der ganzen Welt.
In diesem Jahr sind es unglaubliche 45 Jahre, die Anne-Sophie Mutter in ihrer überragenden Weltkarriere zurückgelegt hat. Wie wunderbar war die gestalterische Frische und Beherztheit, mit der sie in Wiesbaden spielte, frei von jeglicher Routine, sondern äußerst energiegeladen! Manfred Honeck begann sehr akzentuiert mit der Einleitung. Spannung und Erwartung lagen in diesem Beginn. Honeck sorgte mit deutlichen Akzenten, vor allem auch in den wiederkehrenden vier Paukenschlägen für die notwendige Spannung. Das „Allegro ma non troppo“ nahm Honeck, wie gefordert, nicht zu eilig.
So konnte Anne-Sophie Mutter mit höchster Kantabilität ihre herrlich ausphrasierten Melodiebögen für sich sprechen lassen. Dabei ertönte ihr Spiel schnörkellos, stets natürlich und dabei völlig unaffektiert. In der Solokadenz nahm sich Mutter viel Zeit, die ausgebreiteten Themen weiterzudenken und virtuos zu gestalten. Und bereits hier war spürbar, dass Mutter mit ihrer Violine intensive Zwiesprache hielt. Mit höchster Andacht lauschte das Publikum diesen Zauberklängen. Keinen Muckser gab es! Dabei wirkte die Geigerin zutiefst mit dem hingebungsvoll begleitenden Orchester verbunden. Mit welchem Zartgefühl sodann das großartige Orchester mit feinsten abgetupften, äußerst leisen Pizzikati einstieg, verdient höchste Bewunderung.
Das Larghetto wurde äußerst leise und sehr getragen musiziert. Das Orchester agierte hier kammermusikalisch zurückgenommen, da ein Teil der Bläser und die Pauken in diesem Satz schweigen. Kontemplation und Reinheit fanden hier einen besonderen Raum in bester musikalischer Umsetzung. Hier demonstrierte Anne-Sophie Mutter ihre Sonderklasse. Bis ins kaum hörbare Pianissimo nahm sie den Seelenton ihres kostbaren Instrumentes zurück und verzichtete in weiten Teilen komplett auf das Vibrato. So erlebten die gebannten Zuhörer eine Reinheit und Innigkeit des Vortrages, wie er in dieser Perfektion und Hingabe einzigartig ist.
Wie groß dann der Kontrast in das beschließende Rondo, das zuweilen an Jagdmusik denken lässt! Voller Überschwang spielte Mutter dann ihre überragende Virtuosität aus, wiederum gekrönt durch eine ungemein schwierige Kadenz, die verblüffend selbstverständlich geriet. Honeck gab seinem Orchester die Sporen und dieser spielerische Überschwang gestaltete das Finale mitreißend in imperialer Klanggeste. Die große Künstlerin Anne-Sophie Mutter demonstrierte in Anmut, Bescheidenheit und höchster Könnerschaft, warum sie immer noch die Königin der Violine ist. Glücklich kann sich jeder schätzen, wer diese besondere Frau und Virtuosin live erleben konnte. Ein unvergessliches Erlebnis!
Riesige Begeisterung für die Künstler. Wie ein Mann erhob sich das Publikum zu einer stehenden Ovation. Anne-Sophie Mutter bedankte sich in einer kurzen, persönlichen Ansprache. Sie verlieh ihrer Freude Ausdruck, wieder in Konzertsälen spielen zu können und widmete ihre Zugabe („Sarabande“ aus Partita Nr. 2 d-moll BWV 1004) all jenen Menschen, die diesem besonderen Konzert nicht beiwohnen konnten. Eine berührende Geste.
Tschaikowski: Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64
Im Jahr 1888 entstand Tschaikowskis fünfte Sinfonie, die er als persönliches Bekenntnis seiner Seele verstand. In seinen drei letzten Sinfonien verfasste der Komponist programmatische Angaben, die er dann wieder verbannte. Zu viele Einblicke in sein Innerstes wurden von ihm formuliert. Das verbindende Element in diesen Werken ist die Macht des Schicksals. In den Sinfonien vier und fünf führt der Kampf mit dem Schicksal am Ende ins Licht, während in der beschließenden sechsten Sinfonie der Tod das letzte Wort hat.
Manfred Honeck nahm sich für den klagenden Beginn mit den wunderbar intonierenden Klarinetten viel Ruhe, das Schicksalsmotiv, das dieses Werk so prägt, intensiv zu beschwören. Wie aus dem Nichts blendeten die tiefen Streicher sich zunächst kaum hörbar ein. Mit untrüglichem Instinkt und tiefer Verbundenheit zur Musik traf Honeck traumwandlerisch sicher den rechten Puls, um diesem Meisterwerk alles zu geben. Großartig seine ausgewogene Dynamik, das Hineinhören in die Strukturen und das Ausmusizieren der weitläufigen Melodiebögen.
Und dann war es so weit! Der zweite Satz mit einem der schönsten Sologesänge des Horns, hingebungsvoll vorgetragen und mit schlankem Ton phrasiert. Gäbe es einen Oscar für die beste Solo-Darbietung eines Orchestermusikers, dann wäre der famose Solo-Hornist William Caballero eindeutiger Sieger in diesem Jahr! Mit perfektem Ansatz und feinster Agogik bot er sein Solo, das unvergesslich bleibt für jeden, der diesen Edelgesang hören konnte! Eine innige Zwiesprache mit den meisterhaften Kollegen an Klarinette und Oboe verlieh diesem Andante Cantabile eine faszinierende Wirkung. Mit größtem Gespür und perfektem Timing beschenkte Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra sein Publikum mit einer gewaltigen Kulmination größter Sehnsuchtsklänge, ehe das wild aufbrausende Schicksalsmotiv alles auflöste.
Leichtfüßig, mit erneuten Eintrübungen des Schicksalsmotivs und spitzen Dissonanzen in den Hörnern führte Honeck durch den Walzer, bevor er dann im beschließenden Andante Maestoso alle Schleusen öffnete und das hingebungsvolle Pittsburgh Symphony Orchestra völlig entfesselt aufspielen ließ.
Mit welchem Furor und größter Präzision dieser Elite-Klangkörper gerade diesen Satz interpretierte, gehört zu den Sternstunden in diesem Konzert-Jahr! Honeck baute immer wieder neue Klangballungen und Spannungsmomente auf, bevor die umwerfend dargebotene Coda, alle Zeugen dieses so denkwürdigen Konzertabends in ein kraftvolles Licht von Trost und Hoffnung stellte. So spannend und aufwühlend, tief bewegend kann die Musik des russischen Meisterkomponisten klingen, wenn ein hingebungsvoll wissend dienender Dirigent seine Passion auf ein Orchester überträgt, welches mit ihm diesen gemeinsamen Weg beschritt! Die Streicher begeisterten in ihrer sonoren Klangkultur und die Blechbläser spielten um ihr Leben, blitzsauber und perfekt in der Intonation.
Das Publikum war nun völlig euphorisch in seiner Begeisterung und jubelte aus vielen Kehlen. Manfred Honeck und das Pittsburgh Symphony Orchestra bedankten sich mit einem Ausschnitt „Panorama“ aus Tschaikowskis Ballett „Dornröschen“ und einem umwerfend virtuos vorgetragenen Galopp aus Aram Khachaturians „Maskerade“.
Dieser denkwürdige Konzertabend war ein Fest und großes Geschenk zugleich für das dankbare Publikum im ausverkauften Friedrich-von-Thiersch-Saal. Sternstunden sind selten, am 02. September 2022 war sie in Wiesbaden zu erleben!
Dirk Schauß, 03. September 2022
(c) Ansgar Klostermann